Nr. 15
Internationale Sammler-Zeitung
Seite 193
Die Sicherung der Kunstschätze Venedigs.
Der „Corriere della Sera“ veröffentlicht einen langen
Artikel über Venedig zu Kriegszeiten, dem wir die
folgenden Angaben über die Maßnahmen zum Schutze
seiner Kunstschätze entnehmen:
Die illustrierten Zeitungen haben bereits die ersten
Proben dieser Arbeiten wiedergegeben — man sah den
Dogenpalast, die untere Loggia mit Mauerwerk, die obere
mit Holzbalken gestützt, die Ecken in der ganzen Höhe
der beiden Loggien mit Stein gepolstert, so daß sie
kriegerischen Türmen gleichen — man sah die Ecke
des Markusdoms, gegen die Piazzetta hin vermauert,
um dem schlanken Säulchen, das sie trägt, einen Halt
zu geben; das Portal von Sant’ Alipio durch eine Wand
von Sandsäcken geschützt, die Pferde heruntergeholt,
um sie in Sicherheit zu bringen und die Fassade um
ihr Gewicht zu erleichtern, und im Innern die Statuen der
reichen Ikonostasis mit Filz gepolstert und in Lein
wand gehüllt, und rings umher Berge von Sandsäcken
zum Schutze des Ziboriums der Altäre, des Evangelien
ambons, des „bigonzo“ (des zweistöckigen Epistel
ambons), so daß man in einer vergoldeten Kornkam
mer statt in der goldenen Markuskirche zu weilen
scheint. Man sah endlich den Vorhang von Sandsäcken
und Brettern, der die Loggetta bedeckt, und dcnKäfig,
in dem Colleoni eingeschlossen ist, die Schutzarbeiten
an der Fassade des Ospedale, die Sandhaufen, in denen
die Löwen des Arsenals ersticken. Aber wie viele Arbei
ten wurden nach diesen ersten ausgeführt! Wie man
bereits aus den Museen die berühmtesten Werke, d. h.
fast alle, förtschaffte, so wurden die Carpaccios in San
Giorgio degli Schiavoni, die Tintorettos der Scuola die
San Rocco und manch andere Leinwand anderer
Kirchen abgenommen und in Sicherheit gebracht. Das
Museo Correr hat von selbst, daran gedacht, seine
prächtigen Sammlungen in einem bombensichern Raum
unterzubringen, wie die Markusbibliothek ihre kost
barsten Kodices. Auch die Privaten, ohne sich um be
sondere Zufluchtsstätten für sich selbst zu kümmern,
haben dafür gesorgt, die Kunstschätze zu sichern, deren
sic in ihren Palästen eine so reiche Zahl besitzen. Im
Palazzo Labia wurde ein eigenes Gerüst zum Schutz
der Decke errichtet, welche die Fresken Ticpolos trägt.
Nachdem durch die Stützarbeiten die Statik des
Dogenpalastes gesichert war, bedeckte man im Hofe
die Riesentieppe, die Bronzezisternen, die Statuen
(Adam und Eva) von Andrea Riccio, und in den obern
Sälen wurden sämtliche Gemälde von Wand und Decke
gelöst, ln den großen Bogengang wurde — und keine
Zufluchtsstätte war ihrer würdiger — der Stall für die
(Bronze-) Pferde von S. Marco eingemauert und eben
falls mit Sand gedeckt. Im Baptisterium wurde der
Taufstein in eine Sandburg eingemauert, die jedoch
offen bleibt, damit man gleichwohl taufen kann. Die
Pala d’oro, die Bronzekandelaber, die Hängelampen der
Kuppeln wurden im Panzerraum des Schatzes unter
gebracht. Und •— was man nicht sieht, aber was von
besonderer Wichtigkeit ist — mit einer genialen Arbeit
wurden die Kuppeln verstärkt, so daß eine Bombe im
schlimmsten Falle sie durchschlagen, aber nicht zum
Einsturz bringen könnte.
Und in den Nebenkirchen, die man nur deshalb so
nennt, weil San Marco sie alle überragt, z. B. in der von
Santa Maria dei Miracoli, bewunderungswürdig wegen
ihrer Reliefs, wurden die Pilaster des Haupt- und der
Seitenportale unter Brettern verborgen, und mit Sand
säcken die Balustraden um den Altar und zu Seiten der
Treppe und alle die Statuen und Bildhauerarbeiten
Tullio Lombardos gedeckt. In der Frarikirche wurden
die Gemälde fortgeschafft und die Statuen Andreas
von Vicenza, der hl. Hieronymus von Vittoria, die
Statuen.über der Sakristeitüre und die der Denkmäler
für Giacomo Marcello und Niccolo Tron ausgefüttert
und in Leinwand eingekleidet.
Der Verfasser des Artikels berichtet dann von den
an San Marco vorgenommenen Restaurationsarbeiten,
die in der Erneuerung der Wölbungen des „Paradiso“
und der „Apokalypse“ sowie in der Wiederherstellung
des Portals von Sant’Alipio in seinen ursprünglichen
Zustand bestehen. Gleichzeitig hat der Neuaufbau der
Rosenkranzkapelle in S. Giovanni e Paolo, welche der
unheilvolle Brand von 1867 mit zwei der berühmtesten
Meisterwerken Gian Bellinis und Tizians vernichtete,
begonnen. Alle Überreste von dem Originalbau, den
Vittoria zur Erinnerung an die Seeschlacht von Lepanto
errichtete, kommen wieder zur Verwendung, und das
übrige wird nach den alten Zeichnungen und Abgüssen
ergänzt.
Das neue Museum in Lübeck.
Dieser Tage ist in Lübeck das neue Museum für Kunst-
und Kulturgeschichte im Beisein von Senat und Bürgerschaft
seiner Bestimmung übergeben worden.
Im Frühjahr 1911 gaben Rat und Bürgerschaft ihre grund
sätzliche Zustimmung dazu, daß die kunst- und kulturge
schichtlichen Sammlungen aus dem zu eng gewordenen Muse
umsgebäude am Dom ausziehen und im alten St. Annenkloster
ein neues Heim erhalten sollten. Das St. Annenkloster ist im
ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts entstanden. Wohl
habende Bürger hatten es damals erbauen lassen, um ihren
Töchtern eine Unterrichtsstätte zu bieten. Nach der Refor
mation wurde es Armenhaus, später Gefängnis und diente
bis in die Neuzeit als Werk- und Zuchthaus. Mit einem Auf
wand von 140.000 Mark, wozu noch etwa 50.000Mark für die
Einrichtungsarbeit kommen, ist numehr das Kloster zu einem
Museum umgebaut worden. Mancher Besucher wird vielleicht
außen eine hübsche Fassade suchen, die andeutet, was für
Kostbarkeiten das Gebäude birgt. Nichts von dem ist zu finden;
nur eine nüchterne Ziegelmauer strebt in die Höhe.
Das Museum besteht aus vier Gebäudeflügeln, die sich im
Erdgeschoß als Kreuzgang und gewölbte Hallen, im Ober
geschoß als eine Flucht von Sälen um den rechteckigen Kloster
hof schließen. Der große Kreuzgang und die angereihten Hallen
sind von so bedeutender architektonischer Schönheit, daß es
sich empfahl, sie mit aller Sorgfalt zu erhalten und als bedeutend
sten Rest der Lübecker Klosterbauten des Mittelalters der
Öffentlichkeit zugängig zu machen. Da der ausgezeichnete
Grundstock des Museumsbesitzes gerade die Sammlung der
mittelalterlichen kirchlichen Kunst Lübecks ist, so trifft mit
dem Stilcharakter und der Ausdehnung dieser Klosterräume