MAK
Nr. 16/17 
Seite 203 
Internationale Sammler-Zeitung 
und Schauplätze wieder, die im jetzigen Weltkriege eine 
Kolle spielen oder mit ihm in irgendeiner Beziehung stehen. 
Da sehen wir die Dardanelleneinfahrt mit dem Schloß und 
Kriegs- und Handelsschiffen, ferner Bilder vom Bosporus. 
Sehr eingehend ist Konstantinopel geschildert, von dem 
ebenso wie von der Umgebung vortrefflich ausgeführte Bilder 
vorliegen. Auch die Hagia Sophia erscheint im Bilde, und das 
Leben am Hofe des Sultans wird vorgeführt. In der Ebene 
von Troja läßt der hochgebildete Reisende die Ruinen eines 
Palastes aufnehmen. Serbien, Bulgarien und Griechenland 
sind mit zahlreichen Ansichten von Landschaften und Volks 
leben vertreten. Sehr interessant sind die Bilder von Malta 
sowie die Aufnahme der Befestigungspläne von Lavalette. 
Einen großen Teil des Reisewerkes nimmt Italien ein. 
Der Schöpfer der ausgezeichneten Aquarelle ist zurzeit 
noch nicht festgestellt. Dagegen tragen die Abbildungen 
antiker Statuen den Namen des Zeichners Tommaso 
Arrighetti. 
Die Geschichte eines Tizian. 
Nach Zeitungsberichten. 
Herr von Bode, der Generaldirektor der Berliner 
königlichen Museen, weilte vor einiger Zeit in Wien. 
Da ihm seine Geschäfte Zeit ließen, besuchte er 
die dortige Galerie der bildenden Künste, wo 
rüber er in der ,,Kunstchronik“ (siehe Nr. 2 vom 
8. Oktober d. J.) in nachstehender Weise berichtete: 
Ein Tizian im Magazin 
der Wiener Akademie- 
Galerie. 
Bei der Umhängung 
dieser leider so arg vernach 
lässigten und in den aller 
ungünstigsten Räumen 
schlecht aufgestellten 
Sammlung alter Meister 
ist ein Tizian zum Vor 
schein gekommen. Ich 
war nicht wenig erstaunt, 
als ich vor einigen Tagen, 
unmittelbar nach Wieder 
eröffnung der italienischen 
Abteilung der Galerie, 
vor einem mir völlig un 
bekannten, stattlichen, 
farbenprächtigen Bilde mit 
der Darstellung der Er 
mordung Lukrezias 
durch Tarquinius 
stand, das in jedem 
Pinselstrich sich als 
eigenhändiges Spätwerk 
Tizians bekundet, dessen 
Name auch auf dem 
Zettel am Rahmen an 
gegeben ist. Auf meine 
Anfrage beim Diener er 
fuhr ich, daß das Bild vor 
etwa sechs Jahren gelegent 
lich in Wien um bare 
4000 Kronen gekauft 
worden, aber nicht zur Aufstellung gekommen sei; bei der 
jetzigen Neuordnung habe er die Herren Künstler auf das 
Bild imMagazin aufmerksam gemacht und erreicht, daß 
es ausgestellt worden sei. Lhid ein solches Bild hatte man 
doch wohl in der Annahme, daß man ein der Galerie nicht 
würdiges Stück eingehandelt habe — in das Magazin verbannt! 
Das Bild stellt in fast lebensgroßen, bis zu den Knien 
gesehenen Figuren Tarquinius dar, wie er mit dem Dolch 
die nur leicht bekleidete Lukrezia überfällt. In der Handlung 
ist cs nach Tizians Art in seiner späteren Zeit wenig bewegt, 
fast nüchtern, aber in der Färbung ist es von einer lichten 
Helligkeit und Pracht, in der Behandlung von einer Breite 
und Meisterschaft, die sofort an Tizians späteste Werke, 
namentlich die Stäupung Christi in der Münchener Pinakothek 
erinnert. Ein helles Gelb, verschiedene Rot sind neben 
einem schmutzigen Weiß die maßgebenden Farben, die 
in kurzen, derben Pinselstrichen nebeneinander gesetzt 
sind und erst in einer gewissen Entfernung zu 
einem köstlichen Farbenbukett zusammen wirken. Mit 
den Lukreziabildern 
Tizians in der Sammlung 
Ch. Butler (versteigert, für 
Philipp II. gemalt) und im 
Hofmuseum hat diese Kom 
position nur wenig Ver 
wandtschaft. Bode.“ 
Ehe die Nummer noch 
nach Wien gelangt war, 
erhielten einige Blätter 
Telegramme aus Berlin, 
worin mitgeteilt wurde, 
daß Herr von Bode 
in einem Magazin der 
Akademie der bildenden 
Künste einen Tizian 
entdeckt habe. Was 
natürlicher, als daß die 
Zeitungen sich an den 
Rektor der Akademie 
mit der Bitte wandten, 
ihnen nähere Angaben 
über die angebliche 
Entdeckung Bodes zu 
machen, von der man 
ja in der Akademie auch 
etwas wissen mußte. 
Der derzeitige Rektor 
der Akademie, Herr Pro 
fessor Rudolf Bacher 
äußerte sich gegenüber 
einem Mitarbeiter der 
„Zeit“ (siehe Nummer 
vom 10. Oktober) wie 
folgt: 
„Es ist nichts Neues, daß die Wiener Akademie angegriffen 
wird. Was den Fall des Tizian-Bildes betrifft, so stimmt wohl, 
daß das Bild vor mehreren Jahren auf einer Wiener Auktion 
angekauft wurde und in der Galerie der Akademie, wie es bei 
neuen Ankäufen oft geschieht, nicht gleich aufgehängt wurde. 
Es bestand aber für die Wiener Akademiker niemals ein 
Zweifel, daß es sich um einen Tizian handelt. Das Bild, 
das die Bedrohung der Lukretia durch-Tarquinius 
darstellt, stammt aus der späten Zeit Tizians, ist nicht ganz 
fertig, sondern mehr skizzenhaft und kann kaum neben 
die anderen Meisterwerke des Künstlers gestellt werden. 
Für die Akademie war das Bild, das vielfach übermalt 
und lasiert ist, sehr interessant, denn es gewährt 
Fig. 1. 
Der Tizian in der Wiener Akademie-Galerie.
	        
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