Nr. 16/17
Internationale Sammler-Zeitung
Seite 207
Chronik.
Bibliophilie.
(Die Versteigerung der Bücherei Sello.) Aus Berlin
wird uns geschrieben: Die Versteigerung der Bücherei Sello,
die in Rudolph Lepkes Kunstauktionshause vier ganze Tage
in Anspruch nahm, hat einen Ertrag von rund M 30.000
erbracht. Das bemerkenswerte Stück war die Handschrift
eines Tagebuches von Ferdinand Lassalle, das er am 1. Jänner
als lSjähriger begann und das eine Reihe von jugendlichen
Selbstbekenntnissen enthält. Sie erzielte M 310. Ein anderes,
gedrucktes Tagebuch, Lavaters „Geheimes Tagebuch“ in
zwei Teilen, ein schönes in Pergament gebundenes Stück mit
hübschen Vignetten im Text, wurde für M 48.-— zugeschlagen.
Für Lessingsche Erstausgaben wurden gute Preise bezahlt.
So brachte Minna von Barnhelm M 150 und die Urausgabe
der Hamburgischen Dramaturgie M 49.—. Eine seltene, voll
ständige Ausgabe von Müllers Griechenlieder fand fürM 20. : —•
einen Käufer. Muthers Geschichte der'Kunst im 19. Jahr
hundert erzielte sogar M 165. Die von J. Ph. Palm verlegte
berühmte Druckschrift „Deutschland in seiner tiefsten Er
niedrigung“, wegen der Napoleon den Verleger erschießen
ließ, wurde für M 41.—• zugeschlagen. Für die Erstausgabe von
„Des Knaben Wunderhorn“ wurden M 105 und für „Trost
Einsamkeit“ M 165 gezahlt. Eine mit Kupfern geschmückte
Cornei 11 e-Ausgabe in prachtvollem Einband erzielte M 230.
Recht billig war ein ziemlich gut erhaltenes Exemplar von
Morie Encomion mit der Druckmarke Hans Vanir zu Ulm
(1518), das fürM 9.— erworben wurde. Für eine gute Ausgabe
von Frey tags Werken, 22 Bände, wurden M 52. — angelegt, die
Memoires pour servir ä l’histoire de la Maison de Brandebourg
in einem sehr schönen alten Lederbande wurden bis auf M 50.—
getrieben. Goedekes Grundriß, ohne vollständig zu sein,
ging für M 74.— an seinen Erwerber, Gleims Kriegslieder aus
dem Verlage von Chr. Hr. Voß, mit allen Musikbeilagen,
kamen auf M 82.—. Um M 1.—- höher wurden Geßners
Schriften in zwei Bänden bewertet.
(Ein Tolstoi-Lexikon.) Wie aus dem soeben veröffent
lichten Jahresberichte der Petersburger und Moskauer Ver
legervereinigung hervorgeht, wird demnächst ein umfang
reiches Werk erscheinen, das den Titel „Tolstoi-Enzyklopädie“
führen und in zwanzig Bänden Leo Tolstois sämtliche Gedanken,
nach Stichw'orten geordnet, enthalten wird. Die Inhaltsüber
sicht des Werkes, die allein einen Band füllen wird, ist derartig
angeordnet, daß man mit leichter Mühe unter beliebigen
Stichworten alle Meinungen und Ansichten Tolstois vereinigt
finden wird, die der Dichterphilosoph in seinen sämtlichen
Werken niedergelegt hat; die übrigen Bände werden nicht
weniger als 25.000 Tolstoizitate enthalten. Die Ausgabe des
ganzen Werkes, dessen Plan in die achtziger Jahre zurück
greift und namentlich von Tolstois bekanntem Freunde
Tschertschkoff gefördert worden ist, wird zunächst in rus
sischer Sprache erfolgen, eine billigere Übersetzung ins Eng
lische befindet sich in Vorbereitung. Die endgültige Ordnung
des Stoffes ist nach den Gesichtspunkten erfolgt, die Tolstoi
für sein letztes Werk, den „Vorlesungszyklus“ gewählt hatte.
Übrigens kannte Tolstoi selber das Unternehmen und unter
stützte es dadurch, daß er bei der Niederschrift neuer Arbeiten
im Manuskript regelmäßig die Stellen mit einem Kreuz be-
zeichnete, deren Aufnahme in das künftige Lexikon er für
wünschenswert oder nötig hielt. Im Jahre 1907 hat er die bis
dahin in der Handschrift fertiggestellten Teile der Enzyklo
pädie zur Ausarbeitung des „Vorlesungszyklus“ selbst benutzt
und meinte damals, das Werk werde seine wahre Lebens
geschichte, die Lebensgeschichte seines Gedankens, bilden.
Wenn die Veröffentlichung des Lexikons nicht früher erfolgt
ist, so geht das auf einen ausdrücklichen Wunsch des Dichters
zurück, der seine Freunde ersucht hatte, die Ausgabe erst
einige Jahre nach seinem Tode ins Werk zu setzen.
(Franz Ehrle.) Am 17. Oktober vollendete Pater Franz
Ehrle, S. J., der langjährige Präfekt der vatikanischen Biblio
thek, sein 70. Lebensjahr. Pater Ehrle ist ein Gelehrter von
internationalem Ruf. Alle Forscher, ohne Unterschied der
Nationalität und der Konfession, die für ihre Studien die
Schätze der Vaticana zu benutzen hatten, schätzen in ihm
nicht nur den kenntnis- und verdienstvollen Kollegen,
sondern auch den unermüdlichen, allezeit hilfsbereiten und
liebenswürdigen Berater. Über seinen Lebensgang hat der
gelehrte Prälat dem ,,Buchhändler-Börsenbaltt“ selbst einige
interessante Mitteilungen zugehen lassen. Zu Isny in Württem
berg geboren, in Feldkirch und später in Münster und Maria-
Laach ausgebildet, war Ehrle von 1877 bis 1878 als Kaplan
des Arbeitshauses von Prescot in Lancashire tätig, und aus
dieser Wirksamkeit ging seine vielbenutzte Abhandlung
„Zur Geschichte des Armenwesens“ hervor. Später übernahm
er die Leitung der bekannten Zeitschrift „Stimmen aus Maria-
Laach", die er zum Teil von Brüssel aus führte. Entscheidend
wurde für ihn die Übersiedelung nach Rom, wohin ihn 1889 von
Brüssel aus die Eröffnung des vatikanischen Geheimarchives
führte. Dort gelangte er von. seinen Studien über die Scholastik
zur Erforschung der Geschichte der päpstlichen Bibliothek
sowie des gesamten mittelalterlichen Buchwesens, und es
war nach, seinen Leistungen auf diesem Gebiete nur natürlich,
daß er 1890 in den Verwaltungsrat der vatikanischen Biblio
thek berufen wurde. Fünf Jahre später starb der Präfekt dieser
Bibliothek, Monsignore Carini, plötzlich an einem Herz
schlage, hauptsächlich wohl infolge eines in der Vaticana ent
deckten Diebstahles. Unter diesen Umständen ließ sich in
den Kreisen der Hofprälaten niemand zur Übernahme seiner
Nachfolge bereit finden; so wurde Ehrle zunächst zum provi
sorischen Veiwaltcr und 1895 endgültig zum Präfekten der
Vaticana ernannt. In dieser Stellung hat der deutsche Forscher
eine höchst segensreiche, für die weitere Entwicklung der
Bibliothek bahnbrechende Wirksamkeit entfaltet. Die all
gemeine Ei Öffnung des unvergleichlichen vatikanischen Hand
schriftenbesitzes für die Gelehrtenwelt ist und bleibt Ehrles
unvergängliches Verdienst; dazu kam die Schaffung einer
ausgezeichneten 60.000 Bände umfassenden Handbibliothek.
Schriftstellerisch ist der treffliche Gelehrte u. a. mit einer
Reihe kunstgeschichtlicher Arbeiten hervorgetreten, unter
denen seine Untersuchungen über die Fresken des Pinturicchio
in den Appartementi Borgia hervorzuheben sind. Sein Haupt
werk aber ist die oben erwähnte, bibliographisch und kultur
historisch gleich wertvolle „Geschichte der päpstlichen Biblio
thek“ (lateinisch, Band I 1889), deren Vollendung die gelehrte
Welt erwarttmgsvoll entgegensieht. Seit dem Eintritt Italiens
in den Weltkrieg hat Pater Ehrle sein Amt an der Vaticana
(wenigstens zeitweilig) niedergelegt und sich nach Feldkirch
zurückgezogen. Von der Schätzung, die Ehrle in der wissent-
schaftlichen Welt genießt, zeugt die Tatsache, daß er Ehren
doktor von Münster, Loewen, Oxford und Cambridge ist,
und daß die wichtigsten gelehrten Gesellschaften, auch die
Berliner Akademie der Wissenschaften, ihn unter ihre Mit
glieder zählen.
Bilder.
(Ein Beethovenbild von Waldmüller.) In der Aus
stellung deutscher Kunst des 19. Jahrhunderts zu Leipzig
befindet sich auch ein in dortigem Privatbesitze befindliches
Bildnis Beethovens von der Hand G. F. Waldmüllers,
das durch seinen Gegenstand wie durch den Meister des Werkes
gleichermaßen Aufmerksamkeit verdient. Das Bildnis stamm-
aus dem Jahre 1823 und nimmt in der Reihe der Beethovent