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Internationale S a m m 1 e r - Z e i t. u n g
schon so lang und ausschließlich dem Kriege gewidmet
sind, sowie den Kriegsbildern und photographischen
Aufnahmen aus dem Felde werden neben den ernsten
auch diese Spott-Medaillen wertvolle Dokumente der
Fig. 3.
Goetz, „Kulturträger“.
großen Zeit bilden und in keiner Sammlung fehlen.
Es sind mit einfacher, aber sicherer Linienführung
und haarscharfer Charakteristik hingesetzte Relief-
kompositioncn; man kann sagen, ins Plastische über
tragene Karikaturzeichnun gen.
„Kulturträger“ nennt sich, sehr bezeichnend,
eine schöne Plakette in ovaler Form (Fig. 3). Der Zar
Nikolaus, König Georg von England und in ihrer
Mitte Herr Po in ca re werden von ihren farbigen
Bundesgenossen, den Indern, Australiern und Senegal
negern liebevoll umarmt. Auf der Rückseite liest man
in ehernen Lettern: „Zur Schande sei es laut gesagt,
zum Spotte. Er wird in Euch nagen, daß Ihr die wilden
Horden jagt auf jene, die Kultur nach fernsten Landen
tragen.“ Einen ähnlichen Vorwurf hat die etwas
kleinere runde Medaille „England und Indien“,
deren Beschreibung, obzwar nicht abgebildet, wir uns
nicht versagen möchten. Ein keck gezeichneter Eng
länder mit dem typischen kurzen Pfeifchen im Munde
befördert —■ „all right“ — Truppen und Kriegsmaterial
auf schwer bepackten Elefanten nach dem Kriegs
schauplatz in Europa. Rückwärts ist die Landung im
Hafen von Marseille zu sehen. Bekränzte Triumph
pforten mit den Flaggen und Wappen der Republik
begrüßen die Ankunft der exotischen Krieger, denn „nous
sommes sauves“. Der schwarze „Ausrufer“ im Vorder
gründe verkündet dem Publikum eine „grandattraction“.
Daß der unerhörte Treubruch Italiens auch dem
Humoristen der Plastik viel Stoff zur Darstellung
bietet, ist nur natürlich: „Italiens Politik der
freien Hand“ (Fig. 4) zeigt uns den mit dem Dolch
herumfuchtelnden Italiener auf dem Rücken des
Doppeladlers reitend, dem russischen Bären entgegen,
der ihn mit offenen Armen empfängt. Diese ganze
Gruppe ist wohl besonders schön in den gegebenen
Raum hinein komponiert. Der Revers (Fig. 5) ist hier
wirklich die „Kehrseite der Medaille", denn nun wird
der gefangene Italiener von einem österreichischen
und einem deutschen Krieger eskortiert. Wer diese
komische Figur so vor dem gefällten Bajonett herlaufen
sieht, muß lachen und denkt sich, wenn er zufällig
ein Wiener ist: So ein Katzelmacher! Die Inschrift
besagt: „Dreibundschmarotzer •—- Treubundverrotzer“,
ebenso bajuvarisch derb als richtig.
f# 3 Ein köstliches' Stück an Humor und Persiflage ist
..Der Bittgang am Balkan" (Fig. 6). E gland,
Rußland (mit der Knute) und Frankreich bitten knie
fällig um die Gunst des Balkans. Im Hintergründe
steht, noch unschlüssig, Italien.
In einem schönen goldenen Käfig eingesperrt
erscheinen auf der Rückseite (Fig. 7) die drei Balkan
könige Ferdinand von Rumänien, Konstantin
von Griechenland und Ferdinand von Bulgarien.
Könige zwar, doch, wie es scheint, nicht immer ganz
frei in ihren politischen Handlungen und Ent
schließungen. „Bitte! Balkan! streit für uns“, ruft
der Vierverband. Rußland erscheint bei diesem Bitt
gang mit starkem Arm und geballter Faust, England
schüttelt aus seinem Füllhorn Gold aus in schwerer
Menge, Frankreich hängt sein Herz und Italien aller
dings nur köstliche Früchte als Angebinde an das
schöne Kerkergitter. Wir bemerken, daß diese Medaille
ausgeführt wurde, bevor Bulgarien unser Bundes
genosse am Balkan geworden ist, also eine unterdessen
Geschichte gewordene Phase des Weltkrieges darstellt.
An den Beginn des großen Weltkrieges im Vorjahre
werden die Medaillen „Frankreich" (Fig. 8 und 9)
und „Rußland“ (Fig. 10) erinnern. „Marianne“ mit
der Jakobinermütze (die ausschreitende weibliche
Figur ist künstlerisch trefflich durchgeführt) hatte
durch länger als vier Dezennien Rache gesät, die nun
als zischelnde Schlangen- und Natternbrut lebendig
geworden ist. Am Revers dieser Medaille schreitet
der gallische Hahn gar stolz einher und zertritt die
„Genfer Konvention“. Im Hintergründe des Bildes
türmen sich Dum-Dum-Geschosse auf. Ja, „allen
Respekt vor der grande Nation“. Der Kampf des
deutschen Aars mit der russischen Hydra und ihren
Verbündeten auf der Medaille „Rußland“ fügt der
Künstler auf der Rückseite die Worte bei: „Rußland
und seine Henkersgesellen, der räudigen Hydra raub
gierig Bellen, an deutschem Geiste sollen zerschellen.“
Endlich sei noch aus der großen Anzahl der Goetz-
schen Kriegsmedaillen „Lusitania“ (Fig. 11 und 12)
besprochen. Im Avers drängt sich die Menge am
Schalter der Cunard-Linie, wo leider „Freund Hein“
die Fahrkartenausgabe besorgt. Es geht in den sicheren
Tod, aber „Geschäft über alles“! Der Revers zeigt
uns den Untergang des stolzen Schiffes auf hoher Sec.
Darunter die Legende: „Der große Dampfer Lusitania
durch ein deutsches Tauchboot versenkt. 5. Mai 1915.“
Die Goetzschen Kriegsmedaillen sind keine Prä
gungen, sondern ausschließlich in Bronzeguß aus
geführt, was sie besonders wertvoll macht, da ja be
kanntlich die Bronzemedaille ziseliert werden muß
und deshalb jedes Stück sozusagen ein Original darstellt.
Fig. 4.
Goetz, „Italiens Politik der freien Hand“ (Avers).
Die Stücke, welche unsere Abbildungen in natürlicher
Größe zeigen, sind in Wien sowohl in der Kunst
händler g E. Hirschler & Co. (Plankengasse) als auch
in den bekannten Medaillenhandlungen erhältlich.