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Seite 38 
Internationale •Sammler -Zeitung 
Nr. 3 
Von den historischen Städten nördlich von der Aisne- 
front sind zum Glück Laon und auch Noyon gänzlich 
unberührt. Die beunruhigenden Nachrichten, daß Noyon, 
um das wiederholt gekämpft worden ist, beschädigt sei, haben 
sich nicht bestätigt. Die Kathedrale wie das Hotel de ville 
sind unverletzt. Bei den notwendig gewordenen Zerstörungen 
einzelner Orte zwischen der Nordgrenze Frankreichs und der 
Aisnelinie ist ganz deutlich zu verfolgen, wie die Heeresleitung 
überall sorgsam um die Erhaltung der historischen Bauten 
bemüht gewesen ist. Bei der Beschießung und der daran ange 
schlossenen Einäscherung eines Teiles von Rethel ist die hoch 
gelegene Kirche St. Nicolas, an deren Süd- und Ostseite sich 
nur ein einziges langgestrecktes Trümmerfeld hinzieht, mit 
ihrem reizvollen spätgotischen Südportal völlig unversehrt er 
halten. An der Schlachtfront nördlich und östlich von Verdun 
und um den Argonnerwald, sowie vor der Woevrc in der vor 
deren Linie des Operationsgebietes sind natürlich eine ganze 
Reihe von Ortschaften bei dem Hin- und Herwogen des Kampfes 
mehr oder weniger zerstört, doch konnten dafür auf dem Wege, 
den unsere Truppen nach dem Süd westen genommen haben, 
gerade die wichtigsten Monumente sämtlich sorgsam geschont 
werden. Völlig intakt sind die Kirchen zu Mez.'eres und Mouzon, 
ganz unversehrt ist in ihrer Ausstattung die spätgotische Wall 
fahrtskirche zu Avioth nördlich von Montmedy und ebenso die 
frühgotische Wallfahrtskirche zu Mont, südlich von Stenay, mit 
ihrem so überraschend reichen Figurenportal. Ganz unberührt 
ist ebenso mit ihren Schätzen, denStiftungen der französischen 
Könige, eine dritte berühmte Wallfahrtskirche, Notre-Dame de 
Liesse, östlich von Laon. 
Unsere Hauptsorge gilt jetzt den Denkmälern von Reims 
und Soissons, die beide von unseren Truppen eng eingeschlossen, 
beide von den Franzosen aus Stellungen hinter der Stadt und 
in der Stadt selbst auf das hartnäckigste verteidigt werden. 
In Reims hat die Aufstellung von schweren Batterien unmittelbar 
vor der Kathedrale, die von Fliegern festgestellte Ansammlung 
von Truppenmassen und von Munitionskolonnen auf der Place 
du Parvis vor der Westfront und die Benützung des nördlichen 
Turmes als Signalstation für Lichtsignale, wie am Tag offenbar 
auch als Telephonstation, unsere Artillerie gezwungen, nachdem 
sie den strengen Befehl unserer obersten Heeresleitung ent 
sprechend lange sich vor der Beschießung der Kathedrale 
selbst gescheut hatte, den ehrwürdigen Bau widerstrebenden 
Herzens unter Feuer zu nehmen. Nach den übereinstimmenden 
französischen Berichten war ir der Nacht des 13. September sogar 
ein Scheinwerfer auf dem einen Turm aufgestellt. Durch die 
Mitteilungen unserer obersten Heeresleitung ist es außer allem 
Zweifel, daß eine starke Artillericgruppe unmittelbar nordöstlich 
vor der Kathedrale, wahrscheinlich unter dem Schutz der dich 
ten Bäume auf dem breiten Boulevard de la Paix, in der Rich 
tung auf Nogent-1’Abbesse aufgestellt war, von dessen Höhen 
aus am 18. September die Beschießung des Zentrums der Stadt 
stattfand. Die Kathedrale mußte direkt als Kugelfang für jedes 
etwas zu hoch über diese Stellung hinausfliegende deutsche 
Geschoß wirken. Und ebenso ist eine zweite Gruppe schwerer 
Artillerie in der Südvorstadt unmittelbar vor der ehrwürdigen 
Abteikirche St. Reini aufgestellt worden, wieder in der gleichen 
Absicht und mit der gleichen Wirkung. Auf den Bau der Kathe 
drale sind überhaupt nur zwei Volltreffer unserer schweren 
Artillerie gerichtet worden, der eine schon am 18. September, 
ein Schuß aus einer 15 cm-Haubitzc, der andere aus einem 
21 cm-Mörser. Ich habe mittels des Scherenfernrohrs vom Fort 
Bcrru aus, einer Entfernung von zirka 6 km und noch günstiger 
von dem Abhang vor dem Fort Brimont, aus dem Gehölz 
vor dem von uns genommenen, aber von den Franzosen unaus 
gesetzt unter Feuer gehaltenen, trostlos zerschossenen Schlöß 
chen Brimont, aus der Entfernung von 5'5 1cm, an einem völlig 
klaren Dezembervormittag die Kathedrale beobachten können. 
Das Zeißsche Scherenfernrohr läßt bei denkbar größter Schärfe 
und plastisch-stereoskopischer Wirkung zumal für den, der 
den Bau kennt imd ganz genau weiß, was er zu suchen-hat, 
selbst aus ziemlicher Entfernung noch die Details erkennen — 
am besten natürlich bei einem Vergleich mit älteren Aufnahmen. 
Die ganze Substanz des Bauwerkes steht danach noch bei der 
Reimser Kathedrale. Wohl fehlt das Dach, das bei der ersten Be 
schießung am Nachmittag des 19. November in Brand aufgegan 
gen ist, aber die Turmfront steht noch mit. den beiden mächtigen 
stumpfen Westtürmen, die beiden Querschiffgiebel stehen, 
die feine durchbrochene Galerie, die das Hochschiff abschließt, 
ist erhalten, und in dem Strebesystem der Nordseite, die vor 
allem unserer Artillerie zugänglich war, ist keine Lücke zu 
entdecken. An der Spitze des Nordturmes ist die eine innere 
Ecke durch eine Granate weggeholt, cs scheint aber hier nur die 
Bekrönung des einen Strebepfeilers abgeschlagen zu sein. 
Das sind die an der äußeren Silhouette erkennbaren Schäden. 
Die übrigen großen Kirchenbauten stehen noch, vor allem 
St. Remi mit seiner von den beiden kleinen romanischen 
Türmen flankierten Westfront; durch den Chorabschluß der 
Kirche ist eine Granate eingeschlagen und hat hier das Gewölbe 
stört. Das sind freilich nur die Beobachtungen in dem äußeren 
Rahmen der Bauwerke. Über den Zustand des Innern der 
Kathedrale und vor allem über die Beschädigungen der kost 
baren Skulpturen, mit denen das Nordportal und besonders 
die Westfront übersät ist, läßt sich aus unseren Stellungen 
nichts feststellen. Die Abbildungen, die die französische , Illu 
stration“, der „Miroir“, der amerikanische „Outlook“ gebracht 
haben, zeigen zumal an dem nördlichen Seitenportal der 
Westfront schwere Beschädigungen, eine Reihe von Figuren, 
hat die Köpfe verloren, bei anderen hat sich die ganze Vorder 
seite losgelöst. Die Skulpturen des Wimpergs haben sehr ge 
litten, der große Kruzifixus ist herabgestürzt. Die Zerstörungen 
sind aber nicht durch die Granaten selbst oder etwa durch die 
Rückwirkung von dem Abprallen der großen Gcschoße auf 
dem Platze vor der Kathedrale hervorgebracht, sondern durch 
den Brand, der das große und nur allzu solide Baugerüst 
ergriffen hat, das für die noch immer im Gange befindliche 
Restauration des Nordwestturms diesen Teil der Fassade ver 
kleidete. Die Flammen, die die ganze Front lang emporschlugen 
und die leider auch das Innere mit der hölzernen Ausstattung 
an Kanzel und Beichtstühlen ergriffen, haben den Kalkstein 
der Skulpturen völlig ausglühen müssen, die herabstürzenden 
Balken haben dann unmittelbar vor dem linken Seitenportal 
einen Flammenherd gebildet, unter dem zumal die großen 
Figuren in den Gewänden leiden mußten. 
In Soissons habe ich aus der vordersten Stellung unserer 
Schützengräben aus der Entfernung von nur 2400 m aus 
günstigster Position von oben herab während des Granat- 
feuers die Denkmäler der Stadt beobachten können. Die 
Kathedrale stand am 7. Dezember noch wenig verletzt da. 
Sie hatte im ganzen nur vier Hauttreffer aufzuweisen. An dem 
zweiten Strebepfeiler an der Nordseite des Chores war ein Stück 
unterhalb der Fiale herausgeschlagen. Am Langhaus westlich 
vom Querschiff ist eine Granate durch das Dach und scheinbar 
durch' das Gewölbe eingedrungen und hat den Zwickel zwischen 
zwei der Fenster des Obergadens zerrissen-, Der unvollendete 
Nordturm war in einem späteren Aufsatz durch ein Geschoß 
getroffen, das aber die Architektur des eigentlichen Baues 
nicht weiter berührte, und der eine vollendete Südturm ist 
durch eine Granate in der Flöhe des Obergeschosses getroffen. 
Ton der Front von St. Jean-des-Vignes, die allein noch von 
der alten Abtei übrig geblieben ist, in der Thomas Becket 
neun Jahre lebte, die den Turm der Kathedrale noch um 
9 m an Höhe übertrifft, weisen die Türme noch Spuren der 
Beschießung von 1870 auf. An dem Südturm ist die eine Spitze 
abgeschossen. In beiden Fällen aber, in Reims wie Soissons, 
war die Beschießung leider noch nicht beendet, und wenn die 
Franzosen foitfahren, fast allnächtlich den Turm der Kathedrale 
von Soissons für Lichtsignale zu benutzen, so wird unsere 
Artillerie keine Möglichkeit haben, als diese die Sicherheit und 
das Leben unserer Truppen dauernd gefährdenden Positionen 
zu zerstören.
	        
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