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Internationale Sammler-Zeitung
Nr. 4
öfter als einmal; jener ist das Produkt einer manuellen
Fertigkeit, deren Grad oft nur durch äußere, für die physische
und moralische Entwicklung des Individuums ganz gleich
gültige Einflüsse bestimmt wird, dieser ist das Resultat der
Persönlichkeit und Außenwelt, aus allen, auch den ver
schiedenartigsten Berührungen beider hervorgegangen.
Man spricht sehr viel von einem Wesen, von einem so
genannten Geiste der Handschriften und scheint hierunter
nichts anderes zu verstehen, als eben jenen allgemeinen'Aus
druck der Individualität, wir möchten sagen, die algebraische
Formel derselben, welche in den Buchstaben der Hand
schrift eingeschachtelt sein soll. Wenn man aber diese
Geisterbanner fragen möchte, durch welche irdischen, sicht
baren Symptome diese Idee aus der Form und Lage der
einzelnen Schriftzeichen hervortrete, sie würden eine klare Ant
wort wohl schuldig bleiben müssen. Denn die Gemeinplätze,
daß ein an Schattenstrichen und Schroffheit laborierendes
Manuskript von Pedanterie, ein flüchtiger, regelloser Feder
zug von Genialität, ein hin und herschwankendes Buch-
stabengemengsel von Charakterschärfe zeuge u. dgl. m.,
leben zwar in aller Munde, aber auch nicht die Erfahrung
eines Einzigen kann sie als Gesetz, geschweige als Regel
hinzustellen wagen.
Dennoch gibt es einen Standpunkt, von welchem aus
dieses Steckenpferd auch dem Unbefangenen als ein statt
liches Flügelroß erscheinen muß, welches ihn vom trockenen
Ackerschollen seiner wirklichen Existenz zur heiteren Himmels
höhe einer idealen Götterversammlung hinaufträgt. Wir
setzen nämlich voraus, daß unsere Autographe nicht etwa
nur Mitglieder eines bunten Stammbuchklubs sind — wiewohl
auch diese, bei mehr als gewöhnlicher Sorgfalt wenigstens,
angenehme Ferngläser der Vergangenheit werden können —
sondern, daß sie von der Hand wirklich großer Männer her
rühren, mag nun diese Größe bürgerlicher oder sittlicher
oder künstlerischer Natur sein. Tn diesem Falle besitzen
wir gleichsam ein Vermächtnis ihrer unsterblichen Hand, zu
dessen Erwerb uns zwar kein Testament, aber unsere freudige
Anerkennung ihrer Größe berief; wir dünken uns ihnen
näher, ja Verwandte derselben zu sein. Und sind wir es im
Geiste, so Schlagen wir uns mit jedem Worte ihrer Hand
schrift eine Brücke in ihr ganzes gewaltiges Ideenreich, so
schlingt jeder Satz derselben ein Liebesband zwischen uns
und ihrem Verfasser, so entfaltet sie selbst vor unserem inneren
Auge sich zu einer Weltkarte seines Tuns und Treibens, so
wird sie uns der Zauberschlüssel zu den Wundergärten seiner
Werke, die Himmelsleiter, auf der zu dem selig Träumenden
die Engel seines höheren Ebenbildes herniedersteigen.
Ist uns vielleicht gar das schöne Los gefallen, daß jene
Teilchen, jene Demokritos-Tdee hochgefeierter Wesen, zunächst
und nur allein für uns bestimmt sind, daß wir nicht durch
Handel, sondern durch Wandel dazu gelangten, so stehen
wir bei Betrachtung derselben in einem Gemäldesaale, welcher
die schönste und stolzeste Biographie von uns selbst enthält.
Ähnliche Ansichten mögen es sein, welche in den ge
bildetsten Kreisen des Publikums dieser Art von Sammlungen
ihre Anhänger verschafften und dem Raritätengelüste an
berühmten Pantoffeln, welthistorischen Schlafmützen und
vielbesprochenen Schnupftuchsfragmenten hoffentlich den
Todesstoß geben werden. Wie groß übrigens die Zahl der
Autographenliebhaber oder vielmehr, wie groß die Lieb
haberei ist, ergibt sich aus dem pretium affectionis, bis zu
welchem ihre Objekte gestiegen sind. So wurden in einer
am 10. v. M. zu Wien abgehaltenen Autographenauktion
ein Brief von Goethe um 11, ein 21 Zeilen starkes Manu
skript von Lessing um 16, ein französischer Brief der
Mali bran um 9, 12 Zeilen von Raphael Morghen um 8,
eine Handschrift von Jean Paul in Quart um 12fl. C.-M.
losgeschlagen. Bei vielen Exemplaren war, wie die Aufträge
abwesender Liebhaber bewiesen, nur der Mangel an be
mittelten Mitbewerbern Ursache, daß sie nicht um das
Doppelte und Dreifache jenes Preises erkauft wurden, um
welchen sie wirklich erkauft worden sind, obschon bereits
letzterer gewöhnlich das Vierfache ihres Ausrufswertes betrug.
Übel kamen hingegen die deutschen Schriftstellerinnen durch,
welche entweder gar nicht oder nur um geringe Preise, er
standen wurden. Andere, übrigens interessante Handschriften
scheinen deshalb keine Abnehmer gefunden zu haben, weil
sie uni verhältnismäßig große Summen nur den Besitz, des
NamenSzuges oder der Unterschrift versprachen. Im ganzen
gingen jedoch die meisten Nummern von Bedeutung um hohe
Preise ab, so daß diese reichhaltige Auktion dem Verkäufer
und Käufer gleich erfreulich sich gestaltete“.
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Die Autographenauktion, von der im vorstehenden Ar
tikel die Rede ist, hat am 17. Juni 1839 stattgefunden.
In dem Artikel „Die ersten Autographenauktionen", den
Dr. Tgnaz Schwarz in der „Internationalen Sammler-
Zeitung“ (Jahrg. 1909, Nr. 7, S. 101 u. f.) veröffentlichte,
teilte er über diese Versteigerung mit: „Zwischen der zweiten
und dritten Gräfferschen Auktion brachte der Antiquar
Bader am 17. Juni 1839 ,am Schlüsse der gräflich
Fuclisschen Bücherlizitation* eine kleine Autographen
sammlung zur Versteigerung. Der Katalog enthält 276 ein
zelne Stücke, eine Anzahl von Signaturen und zwei Stamm
bücher aus dem 18. Jahrhundert, darunter zwei Briefe und
ein Musikstück Beethovens, die zwei ersten 4 4 fl., das
letztere für 10 fl. verkauft; Goethe mit einem Brief,
datiert Karlsbad, 10. Mai, 79 Zeilen 11 fl.. (Bader), ferner
eine große Anzahl mehr oder minder bedeutender Stücke,
flüchtig katalogisiert und zumeist zu Spottpreisen abgegeben.
Interessant sind die im Anhänge ausgebotenen Stammbücher;
das eine, das des Leipziger Theologen Karl Friedrich
Meischner, mit einer großen Anzahl Eintragungen und
Silhouetten berühmter Persönlichkeiten aus der Zeit von
1779 bis 1783, (erworben von A. von Franck für 25 fl.),
das andere G. F. Lorenz gehörige, mit Widmungen von
Goethe, Weimar 1776, Lenz, Eckhof, Lessing, Jacobi etc.,
(verkauft für 20 fl.)“.
Das erste grönländische Buch.
Knud Ras müssen, der bekannte Grönlandforscher, be
spricht in „Politiken“ eine in ihrer Art einzig dastehende
literarische Neuerscheinung: das erste Buch eines
Grönländers, das auch in der Eskimosprache geschrieben
ist. Es hat den für unsere Ohren nicht gerade wohl
klingenden Titel „Singnagtugaq“, was auf Deutsch „Der
Traum“ heißt. Der Autor ist der grönländische Pfarrer
Matthias Storch, ein geborener Eskimo, der in Nordgrönland
in äußerst primitiven Verhältnissen aufgewaclisen ist, kraft
seiner ungewöhnlichen Begabung aber eine außerordentliche
Laufbahn hinter sich hat. Während seiner Jugend führte er
das Leben eines Eskimos, wurde dann von einem Pfarrer er
zogen und durch dessen Vermittlung schließlich nach Kopen
hagen gesandt, wo er eine vollständige wissenschaftliche Aus
bildung erhielt, auf Grund deren er kürzlich zum Pfarrer für
seine Landsleute ernannt wurde.
Stoichs Buch ist von Anfang bis zu Ende eine Kampf
schrift. Frei von dem primitiven Autoritätsgefühl aller übrigen