Seite 72
Internationale Sammler-Zeitung
Nr. 5
Es liegt eben doch nicht im Wesen des Deutschen,
so viel an Haß, an Verleumdung, an Übertreibung auf
zubringen, den Gegner — ob den politischen, ob den
nationalen —■ so völlig zu verkennen und sich so an
den eigenen Übertreibungen trunken zu machen, wie es
das romanische Volkstum vermag. Jedem, der sich
irgendwelche Illusionen über das eigentliche und letzte
Wesen des französischen Volkscharakters macht —
falls es heute solche sonderbaren Schwärmer bei uns
geben sollte — sei das Studium dieser Karikaturen
angelegentlichst empfohlen, Und er wird von seiner
Krankheit schnell geheilt sein. Denn niemand wird
wohl bezweifeln, daß der eigentliche Charakter des fran
zösischen Volkes, auch wenn im letzten Jahrzehnt eine
kleine Gruppe Einsichtiger versuchte ihn umzuwandeln,
. . . daß dieser Volkscharakter seit 44 Jahren irgend
welche nennenswerten Veränderungen durchgemacht
hat.
Man wird mir gewiß gern verzeihen, wenn ich den
Leser nicht allzuweit in dieses Meer von Schmutz und
Blut, von Haß und Gift hineinführe, aber es w T äre auch
wirklich kein angenehmer Spaziergang. Man lasse mich
lieber etwas länger bei anderen Dingen verweilen, die
wenigstens noch einen Schimmer von Humor und Witz
haben. Auch die wenigen Proben des ersten werden ja
genügen, so daß man nach weiteren nicht mehr lüstern
sein wird.
Heinrich Schneegans weist schon in seiner „Ge
schichte der grotesken Satire“, welche sich haupt
sächlich mit Rabelais befaßt, auf das Material von
Spottbildern auf Napoleon III. hin und zeigt, wie von
Tag zu Tag, je mehr der Glücksstern des Regenten
sinkt, das Spottbild von Satire zur Groteske übergeht,
um sich endlich in ausschweifendsten Übertreibungen
zu überschlagen. Badinguet, der Name des Maurers,
in dessen Kleidung Napoleon III. im Jahre 1847 aus
der Festung Ham entfloh, wird nun ganz der seine und
der seiner Dynastie. Unliebsame Gegenstände werden
die Insignien seiner Macht; das Papierpferd, das Zeichen
der Kokotte, sein Reittier; der Galgen sein Heim; die
Kugel des Galeerensträflings hängt an seinem Fuß;
die Nase wächst aus zum monströsen Unding, das War
zen und Pilze schmücken und das Tätowierungen trägt
wie der Arm eines Athleten. Die ganze Gestalt geht
ins Tierische über, wird zum Schwein, zum „Pore der
Tuilerie“, zur Harpyie, zum Papageien, zum wider
lichen Nashornvogel, zu Jacquot dem Dritten. Der
Dreispitz wie der Zjdinder erscheinen eingetrümmert,
und Hirschgeweihe schießen aus dem entstellten Schädel
empor. Man stellt ihn als Glücksritter dar, der 1848 —
ein Bild des Jammers — mit.eingebeultem Hut. umge
kehrten Taschen nach Frankreich kommt und es 1870
als grienendes Schweinchen mit Beuteln voll Goldes,
mit gestohlenen Millionen verläßt, dem Wegweiser fol
gend, der nach Kassel weist.
Steht Napoleon I. auf der Vendome-Säule, so ist
Napoleon III. ein noch höherer Ehrenplatz am Galgen
gegeben. Er hängt dort mit seiner großen Nase und dem
wohlgcdrehten Schnurrbart, und auf der Brust hat er
ein Schild mit dem Index all seiner Verbrechen. Einzig
aus einer Lithographie von Ancourt spricht so etwas
wie Mitleid mit einer gefallenen Größe. Aber sonst —
wie viel Spott wird auf ihn gehäuft, wie viel Wut, wie
viel Verachtung! Er wird zum Robert Macaire, dem
von Daumier geschaffenen Gründertyp, und Faustin
hängt ihm •— das Gesetz parodierend, das zur Karikatur
die persönliche Erlaubnis des zu Karikierenden ver
langte — einen roten Zettel um, auf dem zu lesen ist:
„Ich autorisiere den Karikaturisten Faustin. mein
Zerrbild zu veröffentlichen.“ Als Herrscher über die
tolle Dcmi-Monde, kutschiert er bald mit seinen drei
Maitressen: Not, Hunger und Elend durchs Land.
Endlich sinkt er ganz, wird zum Kinderspott, zur
Marionette, wird zum Leiermann, dessen Orgelklänge
Eugenie mit Gassenhauern begleitet, während der
kleine Prinz Lulu als Äffchen seine Künste zeigt. Die
Angriffe und Karikaturen auf Eugenie aber sind meist
so, daß sie hier auch nicht andeutungsweise wieder
gegeben werden können. Gegen Thiers und Favre aber,
gegen alle Männer der Republik, richten sich später
genau die gleichen Angriffe; nicht einer, der nicht als
gemeinster Lump und Verräter dargestellt wird. Keiner
der Generäle, der nicht gekauft war. Daß Bismarck als
reitender Uhrenhändler nach Berlin zurückkehrt, daß
die Landwehrleute ganze Wagen voll Stutzuhren und
Boulschränken fortschafften, muß gegenüber den an
deren Dingen fast als Schmeichelei betrachtet werden.
Denn die anderen Dinge sind zu wild und zu bluttriefend,
zu schmutzig und zu grotesk, als daß wir sie hier nennen
wollen.
Verweilen wir lieber etwas länger bei den Karika
turen und Schilderungen des Paris bloque. Hier kommen
manchmal Laune und Witz zu ihrem Recht, und hier
zeigt sich auch der staunenswerte Kontakt, den die
französischen Zeichner immer mit dem Leben gehabt
haben. Wir sehen, wie die Frauen stundenlang geduldig
beim Bäcker und Schlechter Queue bilden und froh
sind, wenn sie endlich ein Stück Pferdefleisch erwischen.
Die Königinnen des Tages werden Kartoffel- und Mohr
rübe, und auf Hunde, Ratten und Katzen macht man
Jagd. Unter dem Einfluß unsicherer Gegenwart, frag
licher Zukunft werden die lockeren Bande der Moral
noch lockerer. Wir hören die rohen Witze der Wacht
posten, das dumpfe Garde l’Obus, das die Sapeurs Pom
piers von den Dächern brüllen. Wir begleiten die Luft
schiffer, die in Ballons über das feindliche Lager hin
gleiten und stehen Wacht mit den hungernden frierenden
Vorposten .Eine Unzahl von Folgen hat das Paris
assiege gezeitigt. In den Karikaturen Molochs, eines
der wüstesten und unangenehmsten Burschen jener
Zeit, spielt sich das ganze Leben von oben nur in wenig
anderen Formen unten in den Kellern von Paris ab.
Die Keller sind so feucht, daß die Schläfer des Morgens
über und über mit Pilzen besät sind, wenn sie nicht von
Ratten aufgefressen wurden. Und trotzdem alles, wie
oben . .. Rivalität und Eifersucht. .. Haß und Liebs ...
Maitressenwirtschaft bis dahin. . . Soirees mit galonierten
Dienern, Höflichkeit und Zeremoniell. . ., selbst Schule
wird in den Kellern abgchalten. Ein Mann flüchtet
mit Vogelbauer und Stiefelknecht in den Keller. „Aber
Herr Müller, wo haben Sie denn Ihre Frau?“ rufen die
schon versammelten Hausbewohner. ,,Richtig, war es
mir doch gleich, — als ob ich etwas vergessen hätte!“ —
Etwas feiner sind die Arbeiten von Cham, die vom
gleichen 1 hema erzählen. Auf einem Blatt ringt
Heinrich IV. auf seinem Standbild die Hände, selbst
das eiserne Pferd hat man ihm unterm Leib fortge
führt, um es zu schlachten. Die Tiere des zoologischen
Gartens, die lange kein Futter erhalten haben, mischen
sich ■ friedlich, den Marktkorb am Arm — zwischen
die wartenden Frauen, und die erschrecken, wie ihnen
die dicken Köpfe der Eisbären, Tiger und Löwen über
die Schulter blicken. Für das Bombardement wird als
empfehlenswerte 1 rächt ein Polsterkostüm vorge-
schlagen, das die Menschen in rundliche Sofakissen und
längliche Schlummerrollen verwandelt.
Bei solchen Dingen können Auge und Sinn sich
immerhin ausruhen von dem Wust von Roheit und
wilder Beschimpfung, von Haß und grotesker Vcr-
zeirung, den sie hinter sich gelassen haben, wenn sie