Nr. 5
Internationale Sammler-Zeitung
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Standort unlösbar verbunden und muß für diesen Ort und
zwar so erdacht und durchgeführt werden, daß es stets seine
Gesamtwirkung beibehält. Ob Einzelheiten mehr oder weniger
zu sehen sind, kommt weniger in Betracht.
Außerdem wird, je größer die bemalte Wand sein wird,
die Entfernung zum Beschauen immer größer werden, was
in der Ausführung berücksichtigt werden muß, oder wenn
der Kaum die notwendige Distanz nicht ermöglicht, wird
die Wand in kleinere Unterabteilungen aufgelöst werden
müßen, um mehrere selbständig wirkende kleinere Bilder zu
erhalten. Die Gesamtarchitektur des. Raumes wird auch die
ganze Linienführung und Massenaufteilung des Wandbildes
bestimmen, ebenso wie die farbige Erscheinung zur archi
tektonischen Idee stimmen muß.
So ergibt sich, daß die Wandmalerei eine ganze Reihe
von Bedingungen erfüllen muß, noch bevor sie zu einer eigenen
Wirkung gelangen kann, daß der Künstler gewissermaßen
mit gebundener Marschroute arbeitet. Wenn man nun aber
vermuten sollte, daß diese Umstände diese Kunst hemmen
könnten, so irrt man, denn gerade die schönsten Wandge
mälde entstammen der Zeit, in welcher der Künstler volle
Rücksicht auf die Erfordernisse des Raumes nahm. Und man
kann es offen aussprechen, daß ein gutes Wandbild nur der
Künstler schaffen kann, der entweder selbst aus dem Dekora
tions-Handwerk hervorgegangen ist oder der dieses Hand
werk vollständig kennt. Ebenso wie ein guter Plastiker nur
der werden kann, welcher seine formale Vorstellung aus seinem
Gefühl für das Material schöpft, ebenso kann nur der Künstler
ein gutes Wandbild ersinnen und ausführen, dessen ganze
Vorstellung aus seinem Gefühl für die Eigentümlichkeiten
der zu schmückenden Wand und des zu benützenden Ma
teriales hervorgeht.
Der Stil, den ein gutes Werk ausspricht, ist nicht das
Resultat irgendeiner klügelnden Verstandestätigkeit, sondern
das Resultat aus einer harmonischen Verbindung persön
licher Ausdrucksweise mit den einzig dafür entsprechenden
Mitteln. — Solange diese persönliche Art mit den angewendeten
Mitteln und in voller Harmonie mit allen Erfordernissen des
entsprechenden Raumes steht, so ergeben sich jene wunder
samen Gebilde an Malerei, die wir heute noch bei den Meistern
des 14. und 15. Jahrhunderts bewundern müßen. Weit größere
Künstlerindividualitäten haben diese Zeiten abgelöst, voll
ständige Herrschaft über Perspektive, Anatomie, über den
menschlichen Körper wurde errungen, die größte persönliche
Freiheit in der Darstellung schier unmöglicher Sachen finden
wir vor, ja endlich steigert sich das Können zur größten Will
kür, so daß kein Gesetz mehr den alles spielend beherrschenden
Künstler mehr zu binden hat, er kann sich austoben und die
tollsten Einfälle bringen, die kühnste Virtuosität feiert
Triumpfe, bis sie altersschwach in Spielereien endet.
Der Vortragende schloß seine j ^interessanten und
lehrreichen Ausführungen mit folgenden Worten: Wir
modernen Menschen, die wir das alles zu überschauen
vermögen, wir fühlen uns aber wieder zu dem
Anfang, zu jenen Zeiten hingezogen, wo noch der
handwerkliche Künstler, leise tastend nach dem Ausdruck
seines Innenlebens rang, so ganz seine Seele ohne Nebenab
sichten schlicht und echt aussprach und bescheiden, nur an
das Gesamte dachte, selbst aber ganz hinter seinem Werke
verschwand. Und betrachten wir, was all die modernen Sucher
auf dem Gebiete der Monumentalkunst wollen, so finden
wir, daß ihr Suchen wieder nur ein Tasten nach jenen Ge
setzen ist, die die so herrlich bescheidene Kunst des 13. und
14. Jahrhunderts beherrschten.
Französische Kriegskarikaturen 1870.
Von Georg Hermann/(Berlin.)
Die königliche Bibliothek zu Berlin besitzt in ihrer
Kriegssammlung des Jahres 1870/1871 zehn starke Bände
voll von Karikaturen französischen Ursprungs. Diese
zehn Bände enthalten keine Zeitschriften, sondern nur
Einzelblätter. Meist sind diese Einzelblätter großen
Formats und meist koloriert — denn sie waren wohl
alle für den Straßenverkauf bestimmt. Es mögen das
ungefähr siebenhundert Blatt sein, die hier vereint sind.
Eine gewiß erstaunliche Menge, denkt man; aber man
wird sich noch mehr wundern, wenn man erfährt, daß
es kaum ein Zehntel der Gesamtproduktion ist. Der
Katalog von Jean Berlcux (Paris 1890) führt sieben
tausend Blatt auf und soll nach Aussage von Kennern
und Sammlern noch unvollständig sein. Er ist 220 Seiten
stark, macht die Werke von 200 Künstlern namhaft,
unter denen sich 170 fortlaufende Serien von Karika
turen befinden. Manche mit 20 bis 30 Blättern, einzelne
sogar mit 50 und 75 Blättern. Außerdem nennt er noch
43 in regelmäßiger Folge erscheinende Witzblätter.
Diese Zahlen mögen einen Begriff geben von der Rolle,
die in den politischen und kriegerischen Kämpfen der
Jahre 1870/1871 die Karikatur in Frankreich spielte.
Trotz ihrer Ungeheuern Breite aber ist die künstlerische
Ausbeute dieser Epoche der Karikatur sehr gering.
Denn wenn auch der wilde Pulsschlag der Zeit manchem
Wucht und Schlagkraft verlieh, so jagte doch das Fieber
dieser Zeit zu schnell, als daß irgend etwas künstlerisch
ausreifen konnte.
Wer also starke künstlerische Werte in diesen
Blättern sucht, wird nicht auf seine Rechnung kommen.
Einzig wenige Arbeiten des alten, damals schon halb-
blinden Daumier heben sich neben ein paar wuchtigen
allegorischen Blättern aus dem unerhörten Wust von
Rohem und Mittelmäßigen.
Volkspsychologisch jedoch sind diese Karikaturen
außerordentlich beachtenswert. Ja mehr als das: sie
sind villeicht der beste und schärfste Steckbrief, der
je über die französische Volksseele geschrieben wurde,
gewiß, haarscharf und genau; denn er wurde ja bis in
die feinsten und letzten Merkmale von Deliquenten
selbst ausgefüllt. Alle üblen und fragwürdigen Eigen
schaften der französischen Volksseele, die sonst oft
durch einen leichten und gefälligen Kulturfirnis ver
deckt sind, treten hier ungetrübt und klar ans Licht.
Man begreift plötzlich, daß es für gewisse Worte der
deutschen Sprache, für alles, was die Gemütssphäre
heim Deutschen tangiert, im Französischen keine Über
setzungen, ja kaum Umschreibungen gibt. Selbst wenn
wir der Karikatur jedes Recht zugestehen wollen, das
in ihrem Wesen hegt, selbst wenn wir alle Verzweiflung,
alles Unglück eines besiegten Volkes mit in Anrechnung
bringen, so bleibt doch eine solche Restsumme von Haß,
Verleumdung, Roheit und wilder Übertreibung, von
Geifer, Schmutz und schäumender Wut, von Härte
und Mitleidslosigkeit, von Ungerechtigkeit und bös
williger Verkennung, daß wir, der Struktur unseres
Wesens nach, den Dingen ganz fremd gegenüberstehen;
genau in derselben Weise, wie wir den seelischen
Äußerungen irgendwelcher Halbwilden gegenüber
stehen würden.