Nr. 6
Internationale S a m m 1 e r - Z e i t u n g
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brandt (großenteils nach Kassel und Braunschweig
zurückgeholt), sieben Rubens (teilweise ebenfalls
wieder in Kassel und Braunschweig; darunter „der
Sieger“ in Kassel, den Napoleon so sehr liebte, daß er
ihn eine zeitlang in seinem Arbeitszimmer behielt),
drei Jakob Ruisdael, zwei Steen (der „Heirats
kontrakt“ aus Braunschweig und das „Bohnenfest“
aus Kassel), acht Tcniers, fünf Ter bürg (unter anderem
die Kasseler Lautenspielerin), zwei Tizian (der eine
offenbar die jetzt, glaube ich, dem Veronese zuge
schriebene Kleopatra in Kassel), zwei Veronese,
vierundzwanzig Wondermanns usw.
Unter den Zeichnungen wird ein heiliger Sebastian
und eine Kreuzigung dem Altorfer zugeschrieben, ein
Petrusmartirium und ein heiliger Stephanus dem Cra-
nach, ein Proportionenblatt von 1512 dem Dürer.
Für die schwäbische Malerei wäre es wichtig, wenn ein
heiliger Hieronymus mit dem Monogramm C. W.
wirklich von dem bekannten Monogrammisten her-
rühren sollte.
Das ist nun nur ein ganz kleiner Teil der Kunst
beute der großen Armee. Wir haben ja bekanntlich
1870 den Pendulendiebstahl im großen betrieben.
Dabei ist es lustig, wie eine Lüge auf ihren Urheber
zurückprallt. Der Pendulendiebstahl läßt sich als franzö
sische Erfindung geradezu ethnologisch nachweisen.
Die Pendule bildet den von dem kleinen Manne in
Frankreich heißersehnten Schlußstein der Zimmer
einrichtung; als Aufsatz auf dem Kaminbord. Wir haben
kein Kamin, am wenigstens unsere kleinen Leute, und
brauchen diesen Schmuck nicht. Der unersättliche
Hunger nach Pendulen ist also aus der Seele des Fran
zosen heraus erklärlich, für unsere Leute wäre er ganz
ungereimt. Der Pendulenraub ist ein 'ins Deutsche
nicht übersetzbarer Gallizismus.
Auch in diesem Krieg haben wir in Belgien Zahlloses
an Einrichtungs- und Kunstgegenständen zusammen
geraubt. Vorne an „Adam und Eva“ von dem Genter
Altar. Die nach wie vor seelenfroh und ruhigen Gemütes
im Brüsseler Museum hängen. Aber soweit wie Frank
reich haben wir Barbaren es an tätlicher Kunstfreund
schaft doch nicht gebracht. Hier ist uns ein unerreich
bares Vorbild hingestellt. Hänge dich auf, Figaro!
Frkf. Z.
Das Erdbeben und die alten Kunstwerke in Italien.
(Schluß*.)
In Sora ist neben der berühmten barocken Wallfahrts
kirche der heil. Restituta auch der dem von Casamari
nachgebildete Kreuzgang von San Domenico gründlich
zerstört. Das Schloß der Piccolomini in Balsorano
ist gänzlich verschwunden, selbst die Fundamente sind
gespalten. Eine, unbewohnbahre Kulissenstadt ist Veroli
geworden, das zwar keine hervorragenden Bauten besaß,
aber in seiner Gesamtheit pin vollkommenes, unberührtes
mittelalterliches Architekturbild von höchstem malerischen
Keiz bot. Glücklicherweise wurde der 1572 Herber über
geführte Schatz der Abtei von Casamari gerettet. Er
besteht aus prachtvollen Stücken, wie namentlich das Trag-
kreuz aus getriebenem, auf Holz genietetem Silberblech, das
silberne Kopfreliquiar, ein Armreliquiar und zwei Reliquien
kästchen, alle um 1290 im Auftrag von Abt Giovanni Bove
angefertigt. Das Schloß auf dem Monte San Giovanni
Campano droht auf die Stadt herabzustürzen.
In Fcrentino, wo schon 1350 ein Erdbeben die alte
Akropolis hcrabstürzte, hat die neue tellurisclie Erschütterung
den auf deren Fundamenten errichteten Präfekturpalast rein
wegrasiört. Auch die Porta sanguinaria, die dem altrömischen,
aus den Zeiten der Republik stammenden Mauerring ange
hört, ist dem Einsturz nahe. Unter dem zum Teil ein
gefallenen erzbischöflichen Palast wurden die ihm als Fundament
dienenden großartigen Reste einer Villa des aus der Geschichte
des zweiten Triumvirates bekannten Konsuls Pansa bloß
gelegt. InBoville Ernica stürzte die Decke des Kirchleins
San Pietro I-Iispano ein, wo einige Mosaikenreste des aus
gehenden Ducente (darunter ein angebliches Fragment der
„Navicella“ Giottos) aufbewahrt wurden, und schwere Risse
weist auch der edle bramanteske Bau des Palazzo Aliprandi auf.
In Anagni hat sich die Fassade der Kathedrale von dem
übrigen Baukörper losgelöst und mußte gestützt werden; die
kostbaren Fresken des 12. Jahrhunderts in der Krypta blieben
hingegen ohne nennenswerten Schaden.
* Siehe Nr. 5 der „Internationalen Sammler-Zeitung“.
In Aquila mußte die Fassade der Kirche von Santa
Maria, di Collemaggio wegen einer zweifachen Senkung gestützt
werden. In Albe Fucense ist die Kirche von S. Nicola
volkominen zerstört, und von San Pietro, einem wunderbaren
Kleinod der Kosmatenkunst, sind Apsis und Dach herunter
gefallen und das ganze Innere ist dem Einstürze nahe.
In Celano ist das Schloß schwer beschädigt, vor allem
das Innere und der Säulenhof. Die Barockkirche von San
Francesco, sowie die Kirche del Carmine sind bis auf einen
Teil der Fassade vollkommen zusammengebrochen. In der
Kollegiatkirche von Celano, deren mittelalterliche Fassade
teilweise zerstört wurde, kamen dagegen durch Einsturz der
barocken Stuckdecken die alten Wölbungen mit Fres
ken des Trecento zum Vorschein.
Die Kathedrale von Sulmona zeigt in der Apsis einen
breiten Riß. Die Fassaden der Annunziata- und der Grabes
kirche haben sich verschoben, in San Francesco hängt eine
Langscite nach außen über. Tn San Benedetto del Marsi ist
San Francesco zusammengestürzt. In Avezzano ist alles
zerstört. Vom Schloß stehen bloß das Tor und die Hälfte
der Außenmauern aufrecht. Die Bestandteile des schönen
Portales von San Nicola sind bereits wieder aufgefunden
worden. Nur leichte Risse trug die berühmte Abtei San
Clemente a Casaria in der Provinz Teramo davon.
Dies sind die wichtigsten Daten in dem traurigen
Inventar der durch die Katastrophe des 13. Januar ver
nichteten Kunstgüter. Leider erhalten wohl die meisten von
dem unermeßlichen Reichtum der Abruzzen an Kunstschätzen
erst nach deren teilweiser Zerstörung Kunde, denn die Kunst
handbücher schweigen sich darüber aus, und der Italicn-
reisende läßt sie seitwärts liegen. Diese Denkmäler aber
erwecken uns eine Zuversicht: die gesunde, prächtige Menschen
rasse, die nach so vielen Katastrophen stets von neuem ihre
Kirchen, ihre Burgen und Städte wieder aufbaute, wird auch
den letzten Schlag zu überwinden wissen und über den öden
Trümmerhaufen neueWerte, ästhetische und materielle, schaffen.