Seite 108
Internationale Sammler-Zeitung
Nr. 8
werden und so sehr uns das in Meißen erzeugte braune
Steinzeug als wichtigste Phase in der Entwicklung des
europäischen Porzellans verständlich und notwendig
erscheint, so sehr müßte es als unnötiger Rückfall in
eine überwundene Vorstufe des Porzellan-Arkanums
bezeichnet w r erden, wenn Wien, das 1/1/ schon im
Besitze der geheimnisvollen Porzellanmasse war, 1724
einer Kunststadt vom Range Nürnbergs mit jeden
falls nur minderwertigem Steinzeug hätte imponieren
wollen.
Die englische Kriegsliteratur.
Über die Kriegsliteratur der Engländer erstattet Philipp
Roth in einer Reihe im Buchhändler-Börsenblatte erschienener
Abhandlungen einen interessanten und reichhaltigen
Bericht.
Er beginnt mit den amtlichen Veröffentlichungen,
der Zahl nach drei, die alsdann unter dem Titel „Großbri
tannien und die europäische Krisis“ auch gesammelt als soge
nanntes „Penny Blue Book“ erschienen sind. Von dem ur
sprünglichen Weißbuche sind hintereinander drei verschiedene
Drucke erschienen, die als bibliographische Kuriositäten
dauernd ihren Wert behalten werden. In der ersten Ausgabe
war nämlich das Datum einer Depesche Vivianis an den
französischen Botschafter in London glattweg auf den 31. Juli,
einen Freitag, gefälscht worden, obgleich in der Depesche selbst
von „gestern, Freitag“ gesprochen wird! Dies wurde in dem
zweiten Drucke richtiggestellt, aber dabei passierte das böse
Versehen, daß man neben dem richtigen Datum die Bemerkung
„gestern, Freitag“ im Texte wieder stehen ließ und sich so
zum zweiten Male Lügen strafte! Erst im dritten Drucke
wurde auch dieser ärgerliche Fehler beseitigt; mit Recht er
innert Roth angesichts dieser naiven Schwindeleien der eng
lischen Regierung an das ironische Wort Swifts: „So allge
mein auch das Lügen ausgeübt wird und so leicht es aussieht,
so ist es doch erstaunlich, daß es noch so wenig, zur Vollkommen
heit gebracht worden ist, selbst von denen, die am berühm
testen in dieser Fähigkeit sind.“
An die amtlichen Veröffentlichungen schließen sich die
Sammlungen von Ministerreden, und speziell die von
Asquith und von Lloyd George, die herausgegeben worden
sind, um die öffentliche Meinung Englands durch die bekannten
Schlagworte gründlich zu bearbeiten. Hier tauchen denn
alsbald Bernliardi, Trcitschke und Nietzsche als Apostel
des neuen Germanismus und seines Kriegsevangeliums auf.
Diesen Männern ist ein recht erheblicher Teil der englischen
Kriegsliteratur gewidmet. Bernhardis wie Nietzsches Schriften,
die schon vor dem Kriege ins Englische übersetzt waren, sind
in billigen Kriegsausgaben veröffentlicht worden; es wird er
zählt, daß die Bernhardi-Bücher in Massenauflagen von 30.000
Exemplaren und mehr gedruckt worden sind. Treitschkes
Persönlichkeit und Schriften, deren Übertragung ins Eng
lische sich Adam L. Gowans gewidmet hat, sind überhaupt
erst seit dem Kriege und durch den Krieg in England bekannt
geworden. Die übrigen englischen Agitationsschriften grup
pieren sich in erster Linie um „The Kaiser“, der in den ihm
gewidmeten Büchern und Broschüren bald als der „entlarvte
Kaiser“, bald als der „wirkliche Kaiser“ und bald als der be
kannte „War Lord“ erscheint, und natürlich fast durchweg
ebenso gehässig und verlogen dargestellt wird, wie er gerade
von englischer Seite vor dem Kriege mehr als einmal in unan
genehmer Weise beschmeichelt worden ist. Die eigentliche
Hetzliteratur im engsten Sinne ist recht umfassend und zum
Teil überaus gemein; den Vogel schießt wohl die schamlose,
bei Newnes erschienene Verleumdungsschrift „Deutsche Scheuß
lichkeiten" ab, als deren Verfasser sich Le Queny an den
Pranger gestellt hat und die zum Teil mit Abbildungen nach
geiälschten Photographien versehen ist.
Die sogenannten intellektuellen Kreise Englands stehen,
soweit die Literatur dies erkennen läßt, ganz überwiegend unter
dem Banne der amtlich ausgegebenen Schlagworte. Die von
Mitgliedern der Oxforder Geschichtsfakultät herausgegebene
Schrift „Warum wir im Kriege sind" versichert dem Publikum
zwar, die Verfasser hätten sich bemüht, den Gegenstand
historisch zu behandeln, wimmelt aber in Wahrheit von Ent
stellungen historischer Tatsachen. Unter den Mitgliedern
wissenschaftlicher Kreise, die gleichfalls im Sinne der amtlichen
englischen Politik Schriften veröffentlicht haben, wären noch
J. Holland Rose aus Cambridge, Ramsav Muir aus Man
chester und John Kirkpatrick aus Edinburg zu nennen.
Die Zahl der Literaten, die sich an der Kriegsliteratur beteiligt
haben, ist gering; das bekannteste Erzeugnis dieser Gruppe
ist das kleine Buch von H. G. Wells, das schon in seinem
Titel „Der Krieg, der dem Kriege ein Ende machen wird“ den
phantastischen Schriftsteller verrät. Äußerst fruchtbar aber
sind auch in England die Dichter gewesen; es sind bereits bis
Ende Dezember an die 60 einzelne Bändchen mit Gedichten er
schienen, allerdings einschließlich der zum Teil altes Material
enthaltenden Anthologien. Unter den englischen Kriegsge
dichten finden sich manche hübsche, wie zum Beispiel „Wach,
auf, England" vom Pocta laureatus Robert Bridge, angemessen
im Ton und stark in der Sprache, vielleicht das Beste von
allen. Durch rein menschliche Töne spricht ein Gedicht „Tn
den Schützengräben“ von Maurice Hewlett an, worin ein
Solaat im englischen Schützengraben bei silbernem Mond
schein seine Heimat im Geiste sieht und daran denkt, daß
drüben im deutschen Schützengraben ein anderer wohl Ähn
liches empfinden möge.
Sehr kennzeichnend für den Geist der englischen Un
wahrhaftigkeit ist die Tatsache, daß die Schriften, die über
die Gerechtigkeit der englischen Politik und des Krieges eine
andere Auffassung haben, als die Regierung und die Masse der
Zeitungen, in den englischen Bibliographien einfach nicht mit
aufgeführt werden! Die einzige Ausnahme bildet die auch bei
uns bereits bekannt gewordene Schrift von Shaw „Gesunder
Menschenverstand über den Krieg“. Im übrigen rühren die
Schriften dieser Gruppe meiat von Sozialisten her; in den
Veröffentlichungen von Brailsford, G. H. Norman, George
Benson, E. D. Morel und Clifford Allen können die Eng
länder, wenn sie wollen, genug und mehr als genug von Wahr
heit über sich und über Deutschland lesen.
Zur Vervollständigung des Bildes sei endlich bemerkt,
daß auch in England eine sehr umfangreiche Literatur ent
standen ist, die dem Bedürfnisse der Menge über alle möglichen
Dinge der Politik, des Heer- und Marinewesens und dergleichen
in den verschiedenen Ländern Bescheid zu wissen, Rechnung
trägt. Auch Kriegskochbücher sind in England erschienen,
allerhand Prophezeihungen über den Gang und das Ende
des Krieges sind verbreitet und auch Kriegsliedcr, Märsche
und Hymnen sind komponiert worden, obwohl das ja gerade
nicht die Stärke der Engländer ist.