Nr. 9
Seite 125
Internationale Sammler-Zeitung
Eine Reichsgründungssammlimg.
(Die Schenkung des Dresdner Ober-Landesgerichtsrates Tischer.)
Der „Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums“ in
Nürnberg berichtet über eine Reichsgründungs
sammlung, die dem Museum zugefallen ist.
Der im Jänner 1912 in Dresden verstorbene Oberlandes
gerichtsrat Tischer hat eine Sammlung von etwa 1400 Münzen
und Medaillen, die sich wesentlich auf die Ereignisse der Jahre
1813—1815, 1848 - 1849, 1864, 1866 und 1870/71 und auf die
großen Männer der Zeit der Reichsgründung beziehen, sowie eine
kleine Autographensammlung (Briefe Kaiser Wilhelm L,
Bismarcks u. a.), eine Sammlung alter deutscher Briefmarken
sowie eine ansehnliche Zahl von Büchern, Zeitungen, Photo
graphien usw., die alle dem gleichen Zweck und Gedanken
dienen, liinterlassen und letztwillig den Wunsch ausgesprochen,
daß diese „Reichsgründungssammlung“, zu deren weiterem
Ausbau er auch einige Mittel bereitstollte, dem Germanischen
Nationalmuseum zur Aufbewahrung, Schaustellung und Ver
waltung überlassen werde, damit sie so einem größeren Besucher
und Benutzerkreis zugänglich sei und patriotisch anregend
wirke. Nach längeren Verhandlungen mit der Tischerschen
Familienstiftung in Dresden ist nun diese ganze Sammlung dem
Museum überwiesen worden und neuerdings in einzelnen Teilen
zur Ausstellung, die als eine wechselnde gedacht ist, gelangt.
Im Einverständnis mit dem Vorstand der Familienstiftung
wird künftig bei der Vermehrung der Sammlung auch auf
Geschichte und Denkmäler des gegenwärtigen großen Krieges
Bedacht zu nehmen sein, da ja dieser Krieg der Gründung des
Deutschen Reiches die letzte Vollendung zu bringen bestimmt
scheint.
Kurz vor Ausbruch des Krieges konnte das Museum noch
eine sehr bedeutende Erwerbung machen. Es ist ein Prunkhelm
aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Über einen Eisenhelm,
dessen Grundform zwischen einer welschen Beckenhaube und
einer Schallern steht, ist ein Löwenkopf aus vergoldetem Kupfer
gestürzt. Der eigentliche Helm, der möglicherweise aus der
Umarbeitung eines älteren Stückes hervorgegangen ist, besteht
aus Stücken, welche unter sich durch Nieten in fester Verbindung
stehen. Der Nackenschutz besteht zwar aus zwei Teilen in der
Form von Schiebungen, dieselben sind aber nicht beweglich,
weil eine Bewegung durch den Sturz unmöglich gemacht worden
wäre. Die mittelmäßige Ausführung zeigt, daß der Eisenhelm
nur die Unterlage für den Sturz bilden sollte, der ihn fast
ganz bedeckt und nur durch den offenen Rachen die Öffnung für
Augen und Nase des Trägers freiläßt. Die Ausführung des
Löwenkopfes ist von höchster Vollendung in der dem 15. Jahr
hundert eigenen Verbindung von strenger Stilisierung mit
äußerstem Realismus. Erstere zeigt sich in der gesamten Ge
staltung, wie in den Locken der Mähne, letztere in der Ver
schneidung der Flächen, durch welche der Schein lebendigen
Pelzwerkes bis zur Täuschung erhoben wird. So ist der Helm
für die Geschichte des Waffenwesens wie für die des Kunst
gewerbes von hoher Bedeutung. Die Erhaltung ist gut, wenn
auch nicht tadellos. Beide Teile waren schon ursprünglich
durch einige Nieten verbunden. Nachdem Ausläufer einzelner
Locken und einige Zähne abgebrochen waren, wurden im
19. Jahrhundert Ergänzungen vorgenommen und Helm und
Sturz durch eine größere Zahl kleiner Nieten fester miteinander
verbunden. Später wurden diege wieder durchschnitten,
so daß jetzt beide Teile wieder getrennt sind.
Auch die Skulpturensammlung hat noch im Laufe des
Juli eine wertvolle Bereicherung erfahren durch das Linden-
lxolzrelief einer knieenden jugendlichen Heiligen mit Buch,
das, wie jener Prunkhelm, im Münchener Kunsthandel erworben
wurde. Es war ursprünglich Bestandteil eines Altarwerkes und
bildete dessen rechten Flügel, da die Figur im Dreiviertelprofil
nach links gerichtet ist. Da sie nur 1-17 Meter in der Höhe mißt,
können auch die Dimensionen des ganzen Altares nur bescheiden
gewesen sein. Er hatte also wohl in der Seitenkapelle einer
größeren Kirche oder in der Hauskapelle eines wohlhabenden
Bürgers oder Schloßbesitzers seine, Stelle. Das geringe Größen
verhältnis brachte von selbst eine größere Zierlichkeit in der
Einzelbehandlung mit sich. Wir haben kein Werk von berau
schendem Schwung vor uns, sondern eine Schöpfung, deren
Kennzeichen Anmut, stille Versenkung, sinnende Ruhe sind.
Auffassung und Technik haben ein reifes Können zur Voraus
setzung und lassen auf einexr Meister schließen, bei dem es kein
unruhiges Hin- und Herwägen mehr gibt, der auf dem Boden
einer unbedingten Sicherheit steht. Daß das Relief der schwäbi
schen und in deren Rahmen der Ulmer Schule zuzuweisen ist,
darüber waltet kein Zweifel ob. Es steht den beglaubigten Werke
Jörg Syrlins des Jüngeren so nahe, daß man, wie Dr. Fr. Tr.
Schulz in einem Bericht ausführt, ihn auch als den Meister
des Reliefs in Anspruch nehmen darf. Er hat es im zweiten
Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts geschaffen, also in einer Zeit,
in der seine Kunst die höchste Reife erlangt hatte. Die Figur
auf eine bestimmte Heilige zu deuten, ist darum schwierig,
weil das Buch allein kein eigentliches Kennzeichen ist. Am
häufigsten begegnet es bei Katharina von Alexandrien als
Zeichen ihrer großen Gelehrsamkeit. Sie ist die Patronin der
Philosophen und Schulen. Auch wird sie von den Schiffern als
Nothelferin angerufen.
Wenn auch in den Ankäufen seit Ausbruch des Krieges
große Zurückhaltung beobachtet werden mußte, so ist doch
erfreulicherweise in den Geschenken für die Bibliothek ein
ähnlicher Rückgang nicht eingetreten. Es sei auch auf die
wertvolle und interessante Gabe des Spediteurs und königlichen
Handelsrichters Friedrich Fein in Nürnberg hingewiesen, der
dem Museum außer einer Anzahl von Briefen aus dem Nachlaß
des alten Würzburger Geschichtsforschers Karl Gottfried
Scharold auch das Stammbuch desselben zum Geschenk
gemacht hat. Es ist ein vortrefflich erhaltener, durch Pressung
Golddruck und Ledermosaik (in grün und rot) sehr geschmack
voll verzierter schwarzbrauner Lederband in Querquart aus
dem Anfang der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mit
zahlreichen Einträgen von hervorragenden Gelehrten, Dichtern
und Schriftstellern, die sich zumeist auf die Erforschung der
Geschichte und des deutschen Altertums beziehen. So sind
Johann Friedrich Böhmer, Ludwig Uhland, Hans Freiherr
von und zu Aufseß, Ludwig Braunfels, Karl Alexander Heideloff,
Ludwig Bechstcin, Johannes Voigt, Heinrich Wilhelm Bensen
(der Rothenburger Geschichtsschreiber), Franz Palacky u. a.
mit längeren oder kürzeren Auslassungen in Prosa oder Versen
in Scharolds Stammbuch vertreten, das außerdem eine ganze
Anzahl Tuschzeichnungen und Aquarellmalereien, zum Teil
von hoher, künstlerischer Vollendung, aufweist.
Außerdem wäre unter den Neuerwerbungen etwa noch auf
eine größere Anzahl Hilpertscher bemalter Zinnmedaillons
besonders hinzu weisen, in ihrer Technik fast ohne Gleichen
dastehende, wirkungsvolle Bildnisstücke, die die Sammlung
der eigenartigen Arbeiten von Hilpert Vater und Sohn im
Germanischen Museum in willkommener Weise ergänzen. ,