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Internationale Sammler-Zeitung
Nr. 1
Musterbuch heutiger Plakate, obwohl es auch
reich ist an Fingerzeigen, wie ein modernes Plakat
aussehcn soll, um geschmackvoll, aber auch wirksam
und erfolgreich zu sein. Von diesem kunstgeschicht
lichen Standpunkt aus wurde auch die Auswahl der
Illustrationen getroffen und dabei als Richtschnur
genommen, die bedeutendsten Blätter jeder Zeit für
die Zukunft zu fixieren, nicht etwa bloß solche zu
bringen, die nach dem heutigen Geschmacke und
nach der heutigen Mode als einwandfrei oder gar als
mustergültig anzusehen sind. Für die richtige Be
urteilung dieser alten Blätter hat der Autor am Schlüsse
der Einleitung den Ausspruch Richard Muthers
abgedruckt, daß man, um die Bedeutung eines Künstlers
festzusetzen, ihn nicht mit Späteren, sondern nur mit
daß die Reproduktionen undeutlich werden würden.
Von diesem Usus hat Mascha auch Gebrauch gemacht,
indem er dort, wo das Plakat gar zu viel Text enthielt,
wie dies ja bei alten Blättern fast gewöhnlich der Fall
war, den Text weggelassen und nur den Bildausschnitt
abgebildet hat. Oft sogar ohne dies ausdrücklich zu
bemerken. Hierin liegt aber zweifellos ein Fehler des
sonst so vortrefflichen Buches. Denn wenn auch die
Abbildung eines Plakats aus dem Jahre 1852, das die
Verlosung von Realitäten zum Gegenstände hat, die
mitten in den Text eingedruckten Bilder dieser Reali
täten wiedergibt (siehe die Abbildung, Fig. 1), so
hätte der Verfasser wohl auch bei dem Landschafts
plakate von Höfel aus dem Jahre 1835 und an anderen
Orten ausdrücklich erwähnen sollen, daß es sich hier
Fig. 2.
Hans Schließmann, „An der Planke, Lumpenball 1887“. Druck von J. Weiner, Wien.
Früheren vergleichen müsse. Ist dieses Wort tat
sächlich allen bekannt, die heute über Kunstsachen
schreiben ? Immerhin ist gerade die vom Autor be
sorgte Auswahl der Abbildungen eine sehr glückliche,
da der heutigen Generation die meisten der in der
■Vergangenheit, z. B. in der Mitte des 19. Jahrhunderts,
führend gewesenen Plakatkünstler und fast alle ihrer
Blätter schon unbekannt sind und durch die vorliegende
Wiedergabe solcher verschollener Blätter wichtige
Kulturdokumente vergangener Tage für die Zukunft
gesichert worden sind.
_ In kunstwissenschaftlichen Werken ist es üblich,
Wiedergaben von Gemälden und Kunstblättern nur
im Ausschnitt zu bringen, besonders dort, wo die
Originale nur in sehr großem Format existieren, wo
also eine so starke Verkleinerung stattfinden müßte,
nur um einen Bildausschnitt handelt und daß der
Text weggelassen worden ist. Ebenso bei der kostbaren
Farbentafel des Heinrich Leflerschen Blattes „Die
Hölle“, das wohl allen Wienern als wirkliches Plakat
mit Text bekannt ist, da es noch vor ganz kurzer Zeit
an den Mauern zu sehen war, jenen aber, die es nicht
gesehen haben, aus Maschas Buch allein"'vielleicht
nicht als Plakat glaubhaft erscheint, wenn’ auch als
ein teures, hübsches, kapriziöses Bild. Bei reinen
Kunstblättern erscheint ja die Wiedergabe von Ab
drucken „vor der Schrift“ besonders reizvoll, bei der
Wiedergabe von Plakaten macht sie aber leicht Miß
verständnisse möglich. Der Autor hätte eben berück
sichtigen sollen, daß über Plakate und Plakatwerke
nicht bloß kunstwissenschaftlich gebildete Kunst-
ficünde urteilen, sondern auch Männer des praktischen