Internationale
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
8. Jahrgang. Wien, 1. Juni 1916. Nr. 11.
Dresdner Sammlungen im Kriege.
Aus Dresden wird uns berichtet:
Unsere Sammlungen erleben jetzt eine Art „Hoch
saison“. Tag für Tag ergießt sich ein Strom feldgrauer
Besucher durch die Säle, die nur im Anfänge des
Krieges wegen Personalmangels geschlossen waren.
Ersatz war aber bald zur Stelle und jetzt spürt man
den Krieg nur noch an den vielen Waffenträgern und
Verwundeten, die mit trunkenen Augen die Herrlich
keiten besichtigen. So mancher, der es eilig hat, stattet
der Galerie eine flüchtige Visite ab, um wenigstens
die „Sixtinnische Madonna“ zu sehen, von der er so
viel gehört hat.
In der Gemäldcabteilung haben, abgesehen von der
großen Neueinrichtung mancher Säle unter Dr. Posse,
auch während des Krieges mancherlei Umgestaltungen
stattgefunden. Der lärgst bei den Fahnen weilende
Direktor hat einen Urlaub dazu verwandt, mit Ge
schmack und feinem Kunstgefühl viele Gemälde anders
hängen zu lassen. So ist während des Krieges der
kleine Holbeinsaal völlig umgestaltet worden; die
Ilolbeinsche Madonna, die lange Jahre hier einen
Ehrenplatz einnahm, hat diesen verlassen müssen,
da sie kein Original ist. Ihren Platz nehmen jetzt das
köstliche Bildnis der Morctte von Holbein und
einige andere Werke des Meisters ein. Auch bedeutende
Neuerwerbungen hat der Krieg nicht gehindert. Es
ist hier vor allem der Ankauf von 18 Gemälden Sle-
vogts „Ansichten aus Ägypten“ zu nennen. Seit, dem
Russeneinfall hat man Gelegenheit, in Dresden die
Kunstschätze des Fürsten Czartoryski kennen zu
lernen, die den Schutz der Verwaltung der Bilder
sammlung anvertraut sind. Auch während des Krieges
fehlte es nicht an Stiftungen und Schenkungen für die
Dresdener Sammlungen. Um nur eines zu nennen:
die Bildersammlung erhielt eines der Hauptwerke Hans
von Marees, das große Bildnis Dr. Fiedlers, das
glücklich das in der Sammlung bereits vorhandene
Selbstbildnis des Meisters ergänzt.
Der sächsische Staat hat trotz des Krieges den
Sammlungen reichliche Mittel zu Neuerwerbungen zur
Verfügung gestellt. Es ist dies ein guter Beweis für die
Finanzkraft des Landes und ein Zeichen dafür, wie
hoch man selbst unter den schweren Kriegslasten die
Kunst und Wissenschaft schätzt. Während für Neu
erwerbungen in den letzten Jahren vor Ausbruch des
Krieges M 320.000 im Staatshaushalt ausgeworfen
waren, ist jetzt dieser Betrag auf M 400.000 erhöht;
eine bedeutende Leistung für ein kleines Land, das
jede Woche einige Millionen für Kriegsfürsorge aller
Art aufzubringen hat. Dabei ist auch noch der umfang
reiche Bau für die Sammlung moderner Meister in
der Nähe des Zwingers nunmehr in Angriff genommen,
der gleichfalls der Zuschuß Dresdens von M 450.000
eingerechnet — einige Millionen kostet, und der Neu
bau für die naturwissenschaftlichen Sammlungen, für
den bereits „der Herzogin Garten“, nicht weit vom
Zwinger und Königlichen Schauspielhause, als Bauplatz
für M 800.000 gekauft ist, steht in Aussicht.
In der von Geheimrat Lehrs geleiteten Kupfcr-
stichsammlung sind die anziehend ausgestalteten Mo
nats- und Vierteljahrsausstellungen auch durch den
Krieg nicht unterbrochen worden. Sie wirken außer
ordentlich anregend auf die Kunstgemeinde und sind
damit auch für den Kunstmarkt nicht ohne Einfluß.
In der Sammlung der Skulpturen werden große
Veränderungen in der Aufstellung vorbereitet. Man er
wartet damit nur die Fertigstellung des Umbaues
des alten an die Sammlung angrenzenden Haupt-
staatsarchives ab, dessen Räume für sie mitverwandt
werden sollen. Von den Neuerwerbungen sind die
Bruchstücke zweier griechischer Grabsteine mit Resten
von Malerei auf Marmor zu nennen. Sic stammen aus
dem dritten vorchristlichen Jahrhundert und sollen
kunstgeschichtlich sehr wertvoll sein.
Im Historischen Museum, in der Porzellan
sammlung, in der Münzensammlung und dem
berühmten „Grünen Gewölbe“, dieser unvergleich
lichen Schatzkammer der Wettiner, fanden gleichfalls
wichtige Umgestaltungen statt. Manches ist auch
während des Krieges unter Aufwendung erheblicher
Beträge ergänzt und bereichert. Die naturwissen
schaftlichen Sammlungen haben in den letzten Jahren
einige eigene wissenschaftliche Reisen nach Deutsch-
Ostafrika und zu den Samojeden der Halbinsel Kanin
ausgerüstet, die reiche Ergebnisse hatten, die jedoch
erst nach dem Bau des neuen Museums aufgestellt
werden können. Eine letzte wissenschaftliche Expe
dition erlitt durch die Engländer eine Unterbrechung,
die ihren Führer in Gefangenschaft setzten und bis
heute nicht wieder frei ließen.