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Internationale Sammler-Zeitung
Nr. 11
Der Nachlass des Hofrates Emil Zuckerkandl.
Am 5. und 6. Juni wird die Einheit einer der schön
sten Sammlungen Wiens aufgelöst. Sie war das
künstlerische Erlebnis eines großen Gelehrten, der in
seinen Mußestunden zum Ästhetiker sich wandelte.
Hofrat Professor Emil Zuckerkandl legte den Grund
seines Kunstbesitzes schon in Graz, wo er als junger
Professor Ende der achtziger Jahre lebte. Ihn leitete
die Liebe zur Vereinigung von Formenharmonie und
Materialveredlung. Und er entdeckte, lange bevor
Alt-Wien und das Biedermeier den großen Modeauf
schwung nahmen, diese Schönheitswerte. Hand in
Hand mit solcher der heimatlichen Kunst geschenkten
Liebe ging ein scheinbar sehr heterogenen Werten ge-
seines Erlebnisses festhalten. Hier wird der in der
Geschichte des Alt-Wiener Porzellans vielleicht einzig
artige „Waschtisch" (Fig. 1) zu sehen sein, der
im Jahre 1904 in der großen Alt-Wiener Porzellan
ausstellung des Österreichischen Museums einen Ehren
platz einnahm. Weder in einem Museum noch im Privat
besitz ist ein ähnliches Stück vorhanden. Es scheint
die Erfindung einer Grande-Dame gewesen zu sein,
die auf ihren Reisen den gewohnten Komfort nicht
entbehren wollte, sich diesen auf einem Ständer ru
henden, wundervoll intarsierten, verschließbaren
Kasten bauen ließ, der die edelste Art Alt-Wiener
Tischlerkunst repräsentiert. In festen Behältern ist
Fig. 1. Toilettetisch. Um 1750.
widnretes Interesse. Scheinbar nur jedoch war der
Gegensatz dieser Welten. Denn der Sammler fand
zwischen dem phantasievollen, proportionsedlen Kunst-
handwerk des alten Wien und jenem der ostasiatischen
Kultur den Zusammenhang der hohen Qualität. So
erhielt sein Besitz durch diese persönliche Anschauung
eines eigenartigen Geistes jenen merkwürdigen Cha
rakter, den schon Mäzene des achtzehnten Jahrhunderts
ihren Kunstsammlungen aufgeprägt hatten. Edmond
de Goncourt schildert diese Harmonie in seinem
Buch „La maison d’un Artiste“ mit den Worten:
„Der Kenner erblickt Bronzen, Zeichnungen und die
Porzellane dieser anmutigsten aller Kunstepochen
in enger Vermengung mit der ostasiatischen Kunst,
die schon eine so glückliche Ehe in der Sammlung der
Pompadour geschlossen hatten, und aller Curieux und
Curiolets dieser Zeit.“
Bevor nun das Bild dieser Kunsteinheit verschwindet,
wird das Dorotheum noch einmal die Charakteristik
ein vollständiges Service eingepaßt, bestehend aus dem
Waschbecken, den Puderdosen, den Flakons und dem
Schminktopf. Weißes Alt-Wiener Porzellan mit dem
Roccailrand der Maria Theresia-Epoche in rosa Email.
Die verschlungenen Initialen „F. F." (Fürst Fürsten
berg ?) zieren jedes Stück. Ein Spiegel, der verschiebbar
ist und hinter welchem ein Farbenstich (Amor mit dem
Bogen) sich verbirgt sowie Schubfächer für die Kämme
sind im Dcckelteil des Kastens angebracht. Mit einem
Druck zweier Federn kann das Service versenkt und
der Kasten wie ein Koffer verschlossen werden. Die
ganze Anmut des achzehnten Jahrhunderts und seine
unerreichte Handwerkskunst drückt sich in diesem
Zeichen subtilster Kultur aus.
Selten als Form und Qualität ist auch die figurale
Porzellanuhr aus der Alt-Wiener Epoche des Rokoko.
Und ein Tafelservice Alt-Wien mit allen Prunk
aufsätzen für Obst, Blumen, Zuckerwerk führt in die
berühmte Epoche des Alt-Wiener Porzellans, in das