Internationale
^ammler-geifung
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
8. Jahrgang.
Wien, 15. März 1916.
Nr. 6.
Die Baronin Ebner-Eschenbacli als Ulirensammlerin.
Von Alexander Grosz (Wien).
Wie seit vielen Jahren um diese Jahreszeit führte
mich auch am Sonntag, den 12. März, gegen Mittag
mein Weg in die Spiegelgasse zur Baronin Marie von
Ebner-Eschenbach. Diesmal wollte ich aber nicht
nach ihren Uhren sehen, nein, ich wollte mich nur
nach dem Befinden der verehrten Frau erkundigen,
die seit zwei Wochen an einer Lungenentzündung
darniederlag. Ich hoffte, einen erfreulichen Bescheid
zu erhalten und war darum um so bestürzter, als ich
vernahm, daß die Dichteiin nach einer kurzen Besse
rung plötzlich von Herzschwäche befallen wurde und
vor zwei Stunden verschieden sei.
Mit der Ebner-Eschenbach ist eine Frau dahin
gegangen, die sich rühmen konnte, die Verehrung
aller Welt durch ihre Menschenfreundlichkeit und
Nächstenliebe erworben zu haben, .ein leuchtendes
Vorbild unendlicher Güte, 'selbst kinderlos, Mutter
allen bei ihr Trost, Rat, Hilfe Suchenden.
Es kann nicht meine Aufgabe sein, die Ebner-
Eschenbach als Dichterin zu würdigen, ich will nur
von der Sammlerin hier sprechen, von der Uhren
sammlerin und dem von ihr eingenommenen idealen,
Standpunkt.
Bei verschiedenen Anlässen wurde die Sammlung
der Baronin als eine der größten bezeichnet, als ob
es nur auf die Größe und Ausdehnung, auf die Anzahl
der Stücke einer Sammlung ankäme. ,,Vieles sammeln
ist nicht schwer, Schönes sammeln aber sehr.” Wohl
jeder Sammler wird diesen Spruch bestätigen können,
in bedeutend höherem Maße aber der Uhrensammler.
Hier kommt es nicht allein auf die Beurteilung der
äußeren Gestaltung, der Dekoration, den jedem ver
ständigen Auge sonst erkennbaren künstlerischen äußer
lichen Wert des Gegenstandes an. Die Beurteilung
der Uhr nur von dieser allgemeinen Seite aus nähme
der Sammlung den. Namen, den man ihr gibt. Eine
Uhr ist doch ein Zeitmesser und besteht nicht nur
aus. einem Gehäuse, sondern auch aus einem in diesem
Gehäuse eingeschlossenen, kleinen, kunstvoll ausge
führten Mechanismus, welcher ebenso wie das Gehäuse
selbst, all den verschiedenen Zeitaltern entsprechenden
Veränderungen, Verschlechterungen oder Verbesse
rungen unterworfen war und die Merkmale seiner
Entstehungszeit in sich birgt.
Diese Merkmale nun verstehen, beurteilen und
schätzen zu können, ist eine Wissenschaft für sich,
die nur durch liebevolles, jahrelanges, praktisches
Studium der Geschichte der Zeitmeßkunst erworben
werden kann. Das Studium dieser Wissenschaft er
schließt die Kulturgeschichte der Völker aller Zeiten;
es offenbart so schöne, so herrliche Momente mensch
lichen Wissens und Schaffens, daß die Kenntnis der
selben schon an und für sich für all die aufgewendete
Mühe reich belohnt.
Leider ist die Freude an diesem Studium nicht
jedermanns Sache; es fehlt dem Sammler vielfach an
Zeit oder Liebe, sich dem Gegenstände seiner. Wahl
eingehender zu widmen. Und doch wie viele schmerz
liche Enttäuschungen würden gerade dem Uhren
sammler durch genaue Kenntnis der historischen Ent
wicklung der Zeitmeßkunst erspart bleiben.
Ein sehr schlecht erhaltenes, unvollkommenes Werk,
oder ein Werk, welches einer ganz anderen Epoche
entspricht, als das zum Gehäuse gehörige, wird beim
Uhrenkenner und -Liebhaber einen Zwiespalt hervor-
rufen müssen, welcher bei ihm nicht die rechte Freude
am Gehäuse oder andern Uhrwerke selbst auf kommen
läßt und ihm den Gegenstand, sei er noch so kostbar,
zum großen Teile entwertet.
Der Anblick einer schönen, antiken Uhr sollte eben
derart auf die Phantasie des denkenden Sammlers
einwirken, daß er sich auch ganz in das Zeitalter der
Uhr zurückversetzt fühlt, die Vorgänge, die sich bei
der Herstellung derselben abspielten, wieder miterlebt.
Der Gegenwart entrückt, träumt er einen schönen
Traum, der, wenn auch kurz, doch häufig tröstend
über schwere Stunden des Daseins hinweghilft. Um
diesen Eindruck hervorzurufen, ist es nötig, daß Werk
und Gehäuse einheitlich sind, derselben Zeit entstammen
und im großen und ganzen ihr altes Gepräge erhalten
haben, auch wenn Einzelnes zum Teile restauriert
werden mußte.
Und von diesem so edlen Gesichtspunkte aus hat
die Baronin Ebner-Eschenbach an der Hand ver
ständnisvoller Meister und Kenner ihre Sammlung
begonnen und auf ihre heutige Höhe gebracht. Eines
Zeitraumes von zirka sechzig Jahren umsichtiger,
emsigster und verständnisvollster Sammlerarbeit be
durfte es, derartig wertvolle Stücke zu erringen, alles
Minderwertige auszuschalten, alles Schöne und Gute
zu erhalten, einzureihen.