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Internationale Sammler - Zeitung
Nr. 7
selbst Serenissimus der üblichen Osterspende, nicht
entziehen. Vom Kurfürsten August dem Starken
wird erzählt, daß er einst seiner Favoritin, dci schönen
Gräfin Aurora von Königs mark, ein Osterei schenkte,
das einen Wert von mehr als 5000 Reichstalcrn hatte.
Selbst der küble Protestantismus versagte seine Sym-
patie nicht dem gefärbten Osterei für die Familie,
den Freunden und — für den Pfarrhof!
Die heroische Zeitperiode erklärte die Sache, zwar
als „alberne Kinderei“, doch die folgende ,romantische"
der Biedermeierzeit brachte sie speziell in den Gebieten,
wo der Katholizismus vorherrschte, wieder zu Ehren.
Im Süden Deutschlands gehörte das gefärbte und
kirchlich geweihte Ei zur Osterspende in der Familie
„wie die aufgehende Sonne zum jungen Tag“. Die
Ostereier pflegte man immei nur hartgekocht zu ver
schenken.
Seinen höchsten Triumph feiert aber das gefärbte
und oft sehr kunstvoll verzierte Osterei noch heute
in der griechisch-russischen Kirche. Wer auch nur
einmal die nächtliche Auferstehungsfeier dieser Kon
fession selbst in einer kleinen Gemeinde mitgemacht
hat, dem wird der tiefe, poetische Eindruck jener
Stunde unvergeßlich bleiben.
Es ist das eine Szenerie voll packender, drama
tischer Wirkung, wenn der Pope, beim drittmaligen
Umschreiten des stets freistehenden Kirchleins, an
dessen nun sich öffnendem Tore auf seine wiederholte
Frage: „Ist Christus auferstanden?“ vom Archidiakon
die Antwort erhält: „Ja, er ist wirklich auferstanden!"
Mit einem Male quillt aus der vorher noch dunklen
Kirche heller Lichterglanz hervor. Böller krachen,
Gewehr- und Pistolenschüsse knallen und in das
Knattern der Büchsen klingt feierlich das Lied der
Osterglocken. Auf den Gräbern des die Kirche umge
benden Friedhofes flammen Lichter auf, denn die
Auferstehungsfeier ist sinniger Weise zugleich ein
Totenfest.
Nebenbei sind von diesem Augenblicke an durch
24 Stunden alle sozialen Rangunterschiede aufgehoben.
Man umarmt den Nächststehenden oder den Begeg
nenden und fragt: „Ist Christus wirklich auferstanden ?“
Unter Austausch des roten Ostereies lautet die stereo
type Antwort: „Ja, er ist wahrhaft auferstanden!"
Der Moment, in dem der Archidiakon diese Worte
hinausruft in seine Gemeinde, greift tief ins Herz
aller dieser von Gewalthabern so lange geknechteten
Balkanchristen. Noch mehr mag das freilich der Fall
sein bei den noch übler behandelten russischen Stammes
brüdern. Durch die Gemüter all dieser Armen schallt
der Osterruf wie eine kommende Erlösung; die Hoff
nung, es könne nun auch für sie besser werden, greift
Platz für eine kurze Spanne Zeit. Wenn man nur ein
klein wenig sich auf Physiognomik versteht, so kann
man in den Mienen dieser von harter Arbeit und Ent
behrung durchfurchten Gesichter all der Kleinbauern
und Knechte lesen, daß die Hoffnung aufquillt, es
sei der Lehrer der Nächstenliebe, der Erlöser, auch
für sie auf Erden gewandelt und könne die kommenden
Tage glücklicher gestalten. Freilich, wer das Osterfest
in größeren donauländischen Städten, wie Belgrad,
Sophia, Bukarest usw. mit ihrem Gemisch von west-
und osteuropäischem Elend der Armen und Luxus der
Begüterten gefeiert hat, der merkt wohl nur wenig
oder nichts von der ergreifenden Tragik dieser Szenen.
Er sieht nur den von der Kirche entfalteten, un
geheuer blendenden Pomp, hört das Krachen und
Knattern der Schüsse, das Läuten der Glocken, die
frohen Rufe der sich drängenden Massen, sein Auge
haftet auf Militär und geputztem Zivil und er wird
mit dem Bewußtsein heimgehen, einem originellen,
religiösen Spektakelstück beigewohnt zu haben.
Fassen wir auch noch den ostchristlichen, kirchlichen
Kunstcharakter ins Auge, der all die Jahrhunderte
hindurch mit geringfügigen Ausnahmen schablonenhaft
typisch blieb, so haben wir wohl eine weitere Erklärung
für die Hochschätzung nicht nur des Ostei'eies, sondern
des Eies überhaupt als ein Sinnbild der Erlösung von
allen drückenden sozialen Fesseln. Alle die Heiligen
bilder dieser Kirchenkunst vom Salvator mundi und
der Madonna angefangen, bis herab zu dem geflügelten
Seraph, haben etwas düster Ernstes, fast Drohendes
im Ausdrucke; sie predigen alle nur Askese.
Nun hat sich aber gerade hier in die Dekoration des
bemalten Eies, das im ganzen Jahre als willkommenes
Geschenk gilt, in jüngerer Zeit eine liebenswürdige
Form eingeschlichen. Auf Jahrmärkten, bei den Krämern
der Wallfahrtsorte usw. treffen wir nämlich Holzeier
in allen Größen, die oft mit reizenden Szenen aus dem
Volksleben bemalt sind. Namentlich die aus Rußland
stammenden Fabrikate mit ihren leuchtenden, satten
Lackfarben sind hochbeliebt und begehrt. Meist sind
diese Eier zum Aufschrauben und bergen in ihrem
Innern ein kleines Christusfigürchen, die Madonna von
Kasan oder Nationalheilige wie Andreas, Georg, Iwan
und andere. Da feilschen nun die Dorfromcos um solch,
ein Ei, um es der von ihnen begehrten Schönen über
reichen zu können. Nimmt sie es dann an und regaliert
sic den Geber etwa auch noch mit Eierkuchen und
Schnaps, dann blüht der Liebesfrühling.
Auch Logiergäste pflegen der Tochter oder der
Frau des Hauses gleichfalls irgend ein Prunkei zu
spenden, das je nach dem Stande des Hauses und des
Schenkers oft sogar aus Edelmetall gefertigt ist. Solche
Gastgeschenke werden dann in der Schlafkammer vor
dem obligaten Heiligenbilde in der Zimmerecke auf
gehangen.
Man findet solche Eier aus älterer Zeit oft prächtig
in Metall getrieben, aus Silberfiligran oder mit Niello
verziert oder in Tauschierarbeit und mit geätzten oder
gravierten Zeichnungen geschmückt, manchmal auch
aus Elfenbein oder seltenen Holzarten gedrechselt.
Solche Erinnerungen bilden dann den Stolz der Haus
frau und der Familie.
Die Form des Eies ist aber auch, selbst in seiner
primitivsten Gestalt, der geschlossenen, oder halbiert
oben offenen oder senkrecht geteilten Raute heute noch
im europäisch-christlichen Orient ein Schutz- und
Segenszeichen. Der Bauer schlägt es in den Pfosten
seiner Haus-, Garten-, Stall- oder Scheunentüre, der
Forstmann in den Baum am Kreuzweg seines Revieres.
Wir finden es in Hauswirtschaftsgeräten eingeschnitten,
ja selbst in der Getreide- und Mehltruhe, am Salzfaß
und im Leiterwagen. Weder der eine oder der andere
dieser Leute weiß aber heute noch, daß dies zugleich
das Zeichen und uralte Symbol der phönikischen
Göttin der Nacht und Fruchtbarkeit, der Astarte, war.
Bei uns im deutschen Süden hält „das Volk“ mit
anerkennenswerter und gerechtfertigter Zähigkeit an
den überkommenen Osterbräuchen fest. Im Süden
bis an die Etsch, im Osten bis zur March rüstet die
schlicht bürgerliche Hausfrau schon am Charsamstag
abends den mit blüh weißem Linnen ausgelegten Korb
zur morgendlichen Osterweihe. Ostern ist aber auch
bei uns seit alten Zeiten ein Familienfest, bei dem
kein Hausangehöriger leer ausgehen darf. Goldgelb
leuchtet der das Sonnenrad versinnbildlichende „Oster
fladen“, das flache, für dieses Fest speziell gefertigte
Weißbrod, herausfordernd appetitlich duftet der ge
räucherte Schweinsschinken, dessen schönstes Exemplar
für diesen Tag im Rauchfang deponiert blieb. Die