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Nr. 8
Internationale Sammler -Zeitung
und Sprünge des Materials, die der Stichel, Schaber und Meißel
ott unerwartet entdeckt und die sich dann nicht mehr korri
gieren lassen, weil ein Ansetzen und Kitten sich hier ebenfalls
vertretet. Nach langjährigen Vorarbeiten und eingehendem
Studium des Materials ist es Kellermann gelungen, schon
eine ganze Anzahl weiblicher Figuren als Verkörperung
künstlerischer Gedanken zu schaffen, von denen das hiesige
Kunstgewerbe-Museum mehrere erworben hat. Sowohl die
fein durchgearbeitete Plastik w r ie die Wiedergabe des Psychi
schen sind in den warmen Tönen des anscheinend so geschmei
digen Materials von höchster Wirkung. Auch die kunstgerechte
Behandlung der Ornamentik läßt sich der Künstler angelegen
sein. Wie er die Bewegung des flutenden Wassers aus Elfen
bein leidet, z. B. in einer Darstellung der .Rheintöchter auf
einer sogenannten Nibelungen-Kassette, das läßt sich in Worten
schwer wiedergeben.
Von der Darstellung des weiblichen Körpers in seinem
Material wurde der Künstler ganz von selbst dazu geführt,
Edelmetalle und Steine zu seinen Statuetten wieder zu
verwenden, wie es die alte Plastik auch schon getan hat, um
den Werken den Farbenreiz zu geben und das Weiß des Elfen
beins dadurch in seiner Leuchtkraft noch zu heben. Besonders
wirkungsvoll hat sich dabei die Verwendung von Perlmutter
als Verbindung zwischen Elfenbein und Silber erwiesen. Man
erkennt auf den ersten Blick, wie dieser Glanz und die Farben
mischung den Figuren warmes Leben einhauchen. Betrachtet
man das Schaffen des in strenger Stilkunst arbeitenden,
allem Naturalismus und Künsteleien abholden Künstlers mit
eindringendem Verständnis, so wird man seinen glühenden
Wunsch, daß der Elfenbein-Bildhauerei an unseren Kunst
gewerbeschulen eine Stätte bereitet werden möge, begreiflich
und berechtigt finden.
Päpstliche Urkunden.
Die „Kownoer Zeitung“ enthält folgende inter
essante Mitteilungen:
Der Krieg war schon oft die Ursache mancher
wichtiger Funde. Alte Münzen, kostbare Geräte, In
strumente, Skelette wurden zutage gefördert und,
nachdem ihnen ein würdiger Platz zugewiesen ward,
von den Unsrigen nach Alter, Wert und Herkunft
erforscht und studiert, um eventuell mit Hilfe der
vergleichenden Wissenschaft an ihnen Neues und für
die Geschickte Wertvolles zu entdecken. Zu den glück
lichen Findern gehört auch ein Landsturmmann, der
vor wenigen Tagen dem hiesigen Museum einige sehr
kostbare Originalurkunden auf Pergament überwies,
die beim ersten Blick als päpstliche Bullen erkannt
wurden und ihres hohen Alters wegen wert sind, den.
großen Bullarien eingereiht zu werden. Die wertvollste
und für einen Kenner und Liebhaber gleichzeitig
interessanteste unter diesen gefundenen Bullen ist
eine Gründungsurkunde des Bistums Medniky
mit inseriertem Brief des Konstanzer Konzils an
den Erzbischof Johannes von Lemberg und
Bischof Petrus von Wilna, wodurch diese zur
Taufe und Errichtung von Bistümern, Kirchen,
Klöstern usw. in Samogitien ermächtigt werden;
(Konstanz, 13, August 1416; Nowetroky, 25. Okto
ber 1417).
Eine andere Urkunde stammt vom Papst
Urban VIII. und enthält Bestimmungen über die
Pröpste der Kirche Medniky. Eine dritte vom Papste
Julius II. ausgestellte Bulle bestätigt dem Bischof
Martin von Medniky das diesem vom König
Alexander von Polen übertragene Patronats- und
Präsentationsrecht für das Bistum Medniky.
Die Originale sind auf Pergament mit schöner
Schrift gemalt und enthalten die an rotgelber Schnur
angehängte Bleibulle. Eine eigenhändige Unterschrift
des Papstes ist bei keiner zu entdecken, was auch zur
Feststellung der Echtheit einer Bulle nicht absolut
notwendig ist, da nur die feierlichen Heiligsprechungs-
bullen vom Papste unterschrieben werden, während
alle anderen Bullen ohne Namensunterschrift des
Papstes bleiben.
Bezeichnend für die russischen Verhältnisse und
die Einschätzung derartig wichtiger historischer Doku
mente ist die Tatsache, daß sie in ziemlich verwahr
lostem Zustand aufgefunden wurden und mit der Zeit
gänzlich verloren gegangen wären, da an einigen sogar
die Mäuse ihren Appetit zu stillen begönnert hatten.
Gegenwärtig aber befinden sich sämtliche Urkunden, in
den berufenen Händen eines feldgrauenHistorikers, dessen
stille' Freude und Unterhaltung es ist, sie in freien
Stunden sorgfältigst zu studieren und zu entziffern.
Chronik.
Autographen.
(Ein neuer Beethovenbrief.) Die reichhaltige, der
k. k. Gesellschaft der Musikfreunde in Wien gehörige Samm
lung von Beethoven-Briefen hat eine bemerkenswerte
Bereicherung erfahren. Es ist der Direktion gelungen, einen
an den aus Beethovens Biographie bekannten Magistratsrat
Czapka (nachmals Bürgermeister von Wien) gerichteten
autographen Brief des Meisters in ihren Besitz zu bringen.
Die kostbare Reliquie, die sich lrshcr in privaten Händen
befunden hat, wurde dem Gesellschaftsarchiv einverleibt.
Bibliophilie.
(Eine neue Gesamtausgabe von Goethes Lyrik.)
Zum ersten Male erscheint eine chronologisch geordnete
Gesamtausgabe von Goethes Lyrik in der Großherzog-
\\ilhelm-Ernst-Ausgabe des Insel-Verlages; herausgegeben
von Hans Gerhard Graf. Es ist beinahe unbegreiflich, daß man
so lange auf diese Ausgabe hat warten müssen, die Goethes
Leben neu zu spiegeln und die Entwicklung seiner Lyrik auf
zuzeigen geeignet ist.
(Die Bibliothek des Ornithologen Johann Fried
rich Naumann), die wertvolle allgemein zoologische, rein
ornithologische, botanische, geschichtliche und geographische