Internationale
$ammler-2eifunß
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
9. Jahrgang. Wien, 15. Oktober 1917. Nr. 20.
Das Medici-Archiv.
Für anfangs Februar nächsten Jahres bereitet das
bekannte Londoner Kunsthaus Chriestic, Mauson
and Woods eine interessante Versteigerung vor. Das
aus Autogrammen, Briefen und Urkunden aus der
Zeit von 1084 bis 1770 bestehende Medici-Archiv
soll unter den Hammer kommen. Um die zahlungs
kräftigen amerikanischen
Händler und Sammler anzu
locken, wurde der Katalog
schon jetzt herausgegeben.
Dieses Archiv, dessen
Sichtung und Katalogisie
rung infolge der Reichhaltig
keit des Materials fünf Jahre
in Anspruch nahm, stammt
aus dem Besitz der Brüder
Cosimo de Medici und
Averado de Medici. Der
Historiker Royall Tyler
hat den Katalog zusammen
gestellt. In der Vorrede, die
durch fünf Stammtafeln
der verschiedenen Familien
abzweigungen ergänzt ist,
werden die einzelnen Mit
glieder des berühmten Ge
schlechts, soweit sie auf
die Versteigerungsobjekte
Bezug haben, besprochen.
Sogar unter den Historikern
scheint das Vorhandensein
dieser Urkunden wenig
bekannt zu sein. Von dem
hervorragendsten Mitgliede
des Hauses Medici, Lorenzo
dem Prächtigen, ist eine
reichhaltige Brief Sammlung,
darunter 166 eigenhändig
geschriebene Briefe, erhalten. Aber auch selbstge
schriebene Briefe aller anderen bedeutenden Familien
mitglieder und Briefe von den großen Herzogen und
vielen regierenden Fürsten jener Zeit sind in der Samm
lung vertreten.
Das älteste Dokument ist die Schenkungsurkunde
eines gewissen Pietro di Petronio, datiert vom
2. April 1084. Es enthält die Verfügung, daß ein Viertel
des Besitzes des Erblassers der Kirche St. Barnabas von
Gamungno zuzufallen habe. Das in zeitlicher Folge
nächste Dokument (5. Dezember 1240) enthält Ver
fügungen, wie die Gläubiger des Guido Guerra, eines
Prahlhanses und Verschwenders, der in der Legende
fortlebt imd in Dantes „Inferno“, Kapitel XVI, auf
den Galgen kommt, zu be
friedigen seien. Die meisten
anderen Schriftstücke sind
Verkaufsurkunden, Ver
träge u. dgi., die heute
mehr Altertumswert als
historisches Interesse be
sitzen. Von größerem histo
rischen Wert hingegen sind
die meist eigenhändig ge
schriebenen Briefe von Leo-
nello von Este, Lorenzo
de Medici, Karl VIII.
von Frankreich, L o d o v i c o
Sforza, Caterina Sforza,
Angelo Poliziano, Lucre-
zia Salviati, Lorenzino de
Medici, dem Mörder des
Herzogs Alexander von
Florenz, Cosimo I., Herzog
von Toscana, allen Groß
herzogen von Toscana, Bian
ca Capello, Kardinal Ri
chelieu u. a. Diese Ab
teilung des Archivs, die be
merkenswerteste Sammlung
aus der Renaissance, die
jemals versteigert wurde,
wollen die Verkäufer ins
gesamt veräußern.
Beinahe alle Briefe von
Lorenzo dem Prächtigen
sind an Pietro Alamanni gerichtet, den florentinischen
Geschäftsträger in Mailand, später in Rom und Neapel.
Von Alamanni ist eine Anzahl von Briefen und Brief-
entwürfen an Lorenzo und an Otti di Pratica von
Florenz erhalten. Der älteste Brief Lorenzos an Ala
manni stammt aus Florenz, ist mit dem Datum 2. Mai
J489 versehen; auch ein Duplikat dieses Briefes ist
vorhanden. Die beiden Briefe wurden, wie man an-
Fig. 1.
Ostarle: Lachender Bauer.
(Sammlung Ludwig Knaus.)