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Seite 194 
Internationale Sammler- Zeitung 
Nr. 24 
Evangelien verlesen und ausgedeutet, gemeinsame 
Gebete gesprochen und suspendierende Gesänge ge 
übt. An diese schloß sich dann das „Licbesmahl , 
das ganz nach der Art des letzten Abendmahles mit 
Christus gefeiei t wurde, und zwar mit der allgemeinen 
Kommunion unter beiderlei Gestalt, Brot und Wein, 
wobei der Henkelkelch in Verwendung kam. 
Daß jedoch zu einer Zeit, wo die Laienkommunion 
noch unter der Doppelgestalt in Übung war, für den 
pontifiziei enden Priester auch Einzelkelche in Ge 
brauch waren, erweist der berühmte „Tassilokelch“ 
im Stifte Kremsmünster in Oberösterreich. Da 
dieses 777 von dem Bayernherzog Tassilo III. gestiftet 
wurde, so dürfte auch der Kelch dieser Zeit entstammen 
und wahrscheinlich als das Werk eines Salzburger 
Meisters angesprochen werden. Die Form knüpfte voll 
ständig an die des schon erwähnten Römerglases an, 
ist aber ziemlich plump, die Cupa ist Kupfer, gegossen, 
der etwas kurze, breit ausladende Fuß in gleichem 
Metalle getrieben, der Nodus (Knauf des Fußes), 
springt kräftig aus, ist aber von der Cupa nur durch 
eine Perlenreihe getrennt, respektive abgegrenzt. Die 
Technik ist Gold- und Silberniello, der Dekor vor 
wiegend Bandornament, Ovale umrahmend, in denen 
an der Cupa Christus und die Evangelisten, andere 
Heilige in Gravuren als Brustbilder gegeben sind. 
Das ganze Kunstwerk ist von byzantinischen Ein 
flüssen fast völlig befreit. 
Vor kurzem ging durch die Fachpresse die Meldung, 
daß in Antiochia im Jahre 1910 beim Graben eines 
Brunnens ein großer Silberkelch aus dem Beginn der 
christlichen Zeitrechnung gefunden worden sei. Gustav 
A. Eisen erzählt in der „Kunstchronik“ folgendes 
darüber: „...hier haben wir uns hauptsächlich mit 
dem großen Kelch von 19 cm Höhe und weitestem 
Durchmesser von 18 cm zu beschäftigen, der von 
einem silbergetriebenen Dekorationsmantel umgeben 
ist und Darstellungen auf weist, die als die ältesten 
Christus- und Aposteldarstellungen anzusehen sind. 
Über die Form, Technik und Dekoration im allgemeinen 
darf der ungefähr gleichzeitige Silberschatz von Bos- 
coreale verglichen werden. Der innere Kelch ist wahr 
scheinlich aus einer dicken Silberplatte herausge 
hämmert, dessen oberes Ende so umgedreht worden 
ist, daß es einen ungefähr 1 cm breiten Kragen bildet. 
Das Dekorationswerk wurde dann auf den inneren 
Kelch aufgelötet. Das Ornament besteht aus einem 
komplizierten Rankenwerk von Weintrauben, deren 
Reben 12 Rahmen bilden, in denen jeweils eine sitzende 
Person dargestellt ist, deren Kopf von außerordent 
licher Kunstfertigkeit zeigt. Diese Köpfe zeigen nämlich 
Individualitäten, die nach Eisens Darlegungen nicht 
auf bloßem Zufall beruhen können.“ 
Der Verfasser des von fünf Abbildungen begleiteten 
Aufsatzes datiert den inneren Kelch auf den Anfang 
der christlichen Zeitrechnung, die aufgesetzten Orna 
mente in das dritte Viertel des ersten Jahrhunderts 
nach Christi Geburt. An der Echtheit des Kelches 
wurden nirgends Zweifel erhoben. Gewiß sei der Kelch 
eine geheiligte Reliquie gewesen und der Skulpturen-- 
mantel dazugefügt, um ihn erhalten und schmücken 
zu helfen. Wir haben in diesem frühesten Kelch auf 
jeden Fall eines der ältesten christlichen Kultgefäße 
vor uns. 
Als von der Kirche für die Laienkommunion die 
Verabreichung des Abendmahles unter beiden Ge 
stalten aufgehoben wurde, blieb der Henkelkelch nur 
noch als Hostienbehälter für die Massenkommunion 
in Pfarr- und Wahlfahrtskirchen im Gebrauch, wo er 
dem amtierenden Geistlichen vom Diakon nachge 
tragen wurde. Derlei Gefäße finden sich in einigen | 
kirchlichen Schatzkammern. Ein besonders schönes 
Exemplar aus dem 12. Jahrhundert steht im Kloster 
Willen bei Innsbruck. 
Die Calixtiner (Kelclicrer), wie die Hauptstreiter 
um- das Laienabendmahl, die Hussiten, genannt 
wurden, haben ihn sozusagen erst ganz für den Pro 
testantismus eiobeit. Mit der Einfühlung der Kleriker 
messe ging Hand in Hand nicht nur die Mehrung der 
Welt- unrl Klosterkleriker, sondern auch die der Kult 
geräte für deren persönlichen Gebrauch, unter denen 
natürlich der Kelch einen besonders bevorzugten Platz 
einnahm. 
Schon in der romanischen Stilpei iode ist er ein 
ebenso willkommenes, wie begehrtes Geschenk, das 
sowohl dem Primizianten zu seinem ersten Meßopfer 
als auch dem jubilierenden Priester, dem hohen Kirchen- 
piälaten, den Kloster- und Domkirchen usw. als ein 
Zeichen der Verehrung gespendet wuide. 
Die byzantinische und romanische Stilperiode hatte 
den Kelch zu einem Piunkstück allerersten Ranges 
ausgestaltet, mit dem sich nur noch die Monstranze 
und der Reliquienschrein messen konnten. War der 
Kelch nicht selbst schon aus purem Edelmetalle, so 
wurde dies duich die Anbringung von Edel- und 
Halbedelsteinen, transluzidem- oder Email cloisonc, 
Niello oder Tauschierarbeit auszuglcichen gesucht. 
Leider ist uns von diesen meist mit barbarischer Pracht 
ausgestalteten Objekten wen’g mehr erhalten geblieben. 
Schweden und Franzosen, Spanier und Panduren 
haben gründlich drin aufgeräumt, ganz zu schweigen 
von den Verlusten, die auch in derartigen Kleinkunst 
gegenständen der gegenwärtige Weltkrieg gebracht 
haben mag. 
Die kostspieligen Prachtexemplare der voraus 
gegangenen Stilperioden wollte sich die Gotik nicht 
mehr leisten. Fürs erste-arbeitete die Gotik selbst in 
den zierenden Beigaben der Produkte ihrer Klein 
kunst fast nur mit geometrischen Motiven, Maßwerk 
oder mit Blätterfriesen und dergleichen. 
Der Goldschmied und Metallarbeiter wurde zum 
Architekten und alles wurde kantig, zackig bis herab 
zum Nodus des Kelches. War dieser nicht zu allem 
Überfluß schon mit Fialen besetzt, so war er minde 
stens mit Facetten geschmückt; zeigte doch schon der 
Standfuß die Formen des Vier-, Fünf- und Sechspasses, 
aus deren Zusammenstößen häufig strahlenförmige 
Spitzen hervorragten. Die Flächen des Fußes wurden 
mit Gravuren, Filigran, der Nodus mit Perlen und 
Edelsteinen verziert, der untere Teil der Cupa mit einem 
Blatt- und Rankenornament oder mit Maßwerk. Dem 
Goldschmied aber erwuchs in den Kelchen und dem 
sonstigen metallenen Kultusgeräte im Gürtler ein bis 
heute ebenbürtiger Konkurrent. 
Mit dem Auftreten der kirchlichen Reformation 
trat für die Produktion der sakralen Kleinkunst eine 
Stagnation ein. Die Renaissance suchte ihre Haupt 
aufgabe vom Anfang an mehr in der monumentalen 
wie in der profanen Richtung. So sehr sich aber Monu 
mentalbauten auch im Detail an die Antike lehnen, 
der Einfall, einen klassischen Tem.pelbau als christ 
liche Kirche hinzustellen, blieb doch erst dem 19. Jahr 
hundert Vorbehalten. (St. Madelaine in Paris.) 
Die Protestanten begnügten sich mit den ihnen als 
Erbe zugefallenen Schätzen der katholischen Kirchen, 
entnahmen jenen das für sie Brauchbare und veräußerten 
das übrige. Hatte demzufolge die einschlägige Klein 
kunst auf dem Gebiete mit starkem Ausfall zu rechnen 
— sie wußte sich zu helfen, sie erfand an Stelle des 
sakralen Kelches den profanen, der Tafelrunde ge 
widmeten „Pokal“.
	        
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