Internationale
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
11. Jahrgang. Wien, 1. Juli 1919. Nr. 13.
Was heisst Stil?
Von K. Massinger (München).
Es gibt in jeder Sprache eine Anzahl Wörter, die
der umlaufenden Scheidemünze gleichen, um deren
Gepräge sich niemand kümmert, und die doch von sehr
zweifelhafter Geltung sind. Es wäre unbescheiden, zu
verlangen, daß jeder Gebildete genau zu sagen wisse,
was unter jenen allgemeinsten, zwar viel gebrauchten,
aber das, praktische Leben wenig berührenden Aus
drücken wie Sein und Werden, Qualität, Quantität,
Wesen und Erscheinung, Möglichkeit, Wirklichkeit usw.,
zu verstehen sei. Man überläßt es mit Recht den sonder
baren Menschen, die sich mit Philosophie beschäftigen,
darüber nachzugrübeln und hält sich an die konkrete
Anschauung, die jedem zeigt, was ist und was erst wild,
was wesentlich und unwesentlich, was wirklich und
was bloß möglich ist. Aber wie viele unter unseren fein
gebildeten Ereunden der Kunst, ja unter unseren Kunst
kennern von Profession, dürften nicht in einige Ver
legenheit geraten, wenn man sie fragte, was das Wort
„Stil“ bedeute, das sie doch täglich im Munde führen.
Hier hilft es nicht, die Anschauung zu Hilfe zu rufen.
Diese große Lehrerin der Menschheit, aber auch
Bundesgenossin der Ungründlichkeit und der Schein
erkenntnis, läßt ihre Verehrer hier im Stich. Man kann
niemandem den Stil mit dem Finger zeigen, weil ihn
niemand sieht, der nicht bereits weiß, was Stil ist. Ver
suchen wir daher eine Erklärung des Wortes zu geben,
und den für Kunst und Kunstwissenschaft sehr wuchti
gen Begriff näher zu bestimmen.
Le style c’est l'homme — der Stil ist der Mensch.
Das w r äre ja schon eine Definition, und zwar eine sehr
kurze und bündige, wenn sie nur nicht selbst wieder
einer Erklärung bedürfte. Stylos ist bekanntlich ein
griechisches Wort und bedeutet ursprünglich Stütze,
Säule, sodann einen spitzen hervorstehenden Körper,
und daher endlich den Griffel zum Schreiben. Aus
dieser Bedeutung ist es sodann in die der Schreibart
und weiter der Form, der Darstellung überhaupt über
tragen worden. Aus seiner Schreibart erkennt man den
Menschen im Schriftsteller. Damit ist allerdings in
prägnanter Kürze die Grundbedeutung des Wortes
ausgesprochen, die ihm trotz des mehr und mehr er
weiterten und anscheinend abweichenden Sinnes, in
dem es gebraucht wird, noch immer zukommt. Was auch
der Inhalt einer Schrift, der Gegenstand einer Dichtung,
eines Kunstwerkes sein möge, wie objektiv wissenschaft
lich, wie künstlerisch ideal er auch aufgefaßt sei, immer
wird in der Art und Weise, wie er ausgesprochen, dar
gelegt, versinnlicht erscheint, die menschliche Persön
lichkeit, der subjektive Geist und Charakter des Künst
lers, Dichters, Schriftstellers sich kund geben. Der Stil
eines einzelnen Autors oder Künstlers ist sonach der
Inbegriff der stets wiederkehrenden Eigentümlich
keiten in der Fassung und im Aufbau, in der Gestaltung,
Entwicklung, Charakterzeichnung, Formgebung usw.,
kurz in der Behandlung und Darstellung des Stoffes,
die durch alle seine Werke mehr oder minder hindurch
scheinen, weil sic eben auf dem innersten Wesen seiner
menschlichen Persönlichkeit beruhen. Daher haben
Calderon und Shakespeare, Goethe und Schiller,
Mozart und Beethoven, Raphael und Dürer, so gut
ihren eigentümlichen Stil wie Homer und Aeschylos,
Phidias und Praxiteles; ja, je größer der Künstler,
desto ausgeprägter, scheint es, ist sein Stil. Es ist eben
ein Beweis für die untilgbare, über Zeit und Tod erhabe
ne Selbständigkeit des geistigen Kerns des Menschen,
daß er von seiner Persönlichkeit sich nicht loszumachen
vermag, selbst wenn er mit aller Kraft sich selbst zu
verleugnen und an die Idee, an die Sache sich hinzu
geben trachtet — aber auch ein Beweis für die Schranke
der menschlichen Natur, der nur zugänglich ist, was
sie sich anzueignen und formell wenigstens zu vermensch
lichen, zu subjektiveren vermag.
Aber wenn sonach die Werke der größten Meister
in ihrem Stil das unverwischbare Gepräge ihrer Persön
lichkeit tragen, warum dann den Kleinen den Vorwurf
machen, daß sic immer nur sich selbst malen und mo
dellieren, singen und dichten? Wo liegt der Unter
schied zwischen dem Lobe des Stils und dem Tadel der
Manier ?
Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Sie
trifft tief in das innerste Wesen der Kunst, in das Ver
hältnis des Künstlers zur Idee der Schönheit, und wir
müssen daher doch um die Erlaubnis bitten, ein wenig
philosophieren zu dürfen, indes nur ein wenig und, wie
wir hoffen, verständlich.
Jedermann wird leicht bemerken — wenn er es
nicht schon bemerkt hat — daß er eine klare und be
stimmte Anschauung von einem Gegenstände nur ge
winnt, wenn er ihn so scharf als möglich von anderen
Gegenständen unterscheidet und mit anderen ver
gleicht; die Mannigfaltigkeit unserer Vorstellungen und
Begriffe, der ganze Inhalt unseres Bewußtseins und
damit das Bewußtsein selbst, hängt an dieser unter
scheidenden Tätigkeit des Geistes. Wir vermögen diese