Internationale
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
11. Jahrgang. Wien, 15. Jänner 1919. Nr. 2.
Kulturdokumente.
Von Hofrat A. M. Pachinger (Linz a. d. Donau).
So unglaublich barbarisch die Rechtspflege früherer
Zeit, und zwar bis zum Anfang des neunzehnten Jahr
hunderts in Kriminalfällen schon gegen den erst bloß
Beschuldigten zu sein vermochte, nicht minder hatte
sie bei sogenannten „Vergehen“ eine Neigung, dem
Humor, allerdings in grimmiger Form, die Zügel
schießen zu lassen.
Hier wie dort handelt es sich der Frau Justitiadarum,
die Abschreckungstheorie in die Praxis zu übertragen.
Ging sie dem Verbrecher, gleichviel, ob Mörder, Brand
stifter, Meineidigen, Räuber, Dieb oder dergleichen,
mit den qualvollsten Körperstrafen zu Leibe, ehe sic
ihn dem Scharfrichter überlieferte, der ihn vom Leben
zum Tode brachte, so war sie nicht weniger erfinderisch,
den ob eines Vergehens wegen in ihre Hände Geratenen
dem öffentlichen Spott, der gesellschaftlichen Achtung
zu überliefern.
Es ist geradezu drastisch zu nennen, wie diese alten
Rechtspfleger sich darauf verstanden, selbst einer
körperlich an sich nicht schmerzhaften Strafe den Bei
geschmack einer moralischen Tortur zu geben, oder,
wo nur immer es anging, jene auch mit einer leiblichen
zu verbinden.
Die gelindeste Form der sogenannten „Schand
strafen“, also der polizeilichen, somit nicht kriminellen,
war das Prangerstehen. Es gab wohl kein Städtchen,
keinen Marktflecken im ganzen Römisch-deutschen
Reich, der nicht bis zum Anfang des vorigen Jahrhun
derts seinen „Schandpfahl“ gehabt hätte. Er stand
meist am Rathause oder an einer übersichtlicher Stelle
des Marktplatzes. Je nachdem war es einfach ein be
hauener, übermannshoher Holzpflock oder ein Stein
pfeiler, aber stets ragte er aus einem Unterbau empor,
damit der an ihn Gefesselte allseits gut gesehen werden
konnte.
Die Prangerstrafe war sehr leicht erreichbar. Ein in
fideler Stimmung veranstalteter Randau, ein lustiger
Schelmenstreich genügte hierzu vollauf. War dieser am
Ende gar noch der hohen Obrigkeit gespielt, dann be
kam der „Schwerverbrecher" zur Verschärfung der
Strafe auch noch den schweren „Lasterstein“ um den
Hals gehängt. An diesem Schandpfosten wurden auch
liederliche Weibspersonen ausgepeitscht, ebenso Ver
brecher vor ihrer Justifizierung zur Schau gestellt. Dabei
erhielt jeder Malefikant eine Tafel umgehängt, auf der
die Ursache seiner Strafe geschrieben stand, mitunter
auch noch die ihn weiter zu erwartende, zum Beispiel
Kettenstrafe. Derlei Prangertafeln sind noch vielfach
erhalten, so eine mit der Inschrift: „Strafe eines nach
lässigen Kaminkehrers“, eine andere mit: „Schandtafel
der öffentlichen Übertretung allerhöchster Verordnung“,
eine dritte mit: „Strafe des Frevels gegen die Sittlich
keit“ usw. Auch ein Stein aus dem fürstäbtlichen Ge
richt zu Berchtesgaden aus rotem Marmor 25X*U cm
groß und der eingemeißclten Bezeichnung: „Lasterstein
Anno 1710“ befindet sich im Bayrischen National-
ffiuseüm.
Nach Versicheiung mancher Historiographen waren
die Leute in der „guten, alten Zeit“ viel sittlicher als
jetzt, was indes anderen Forschern keineswegs ein-
leuchtcn will, am wenigsten nach der Lektüre von
Gesetzbüchern und noch vorhandenen Gesetzver-
ordnungen und Prozeßakten. Liefern jene doch den
Beweis, daß die sittlichen Übelstände bereits in reich
lichstem Maße vorhanden sein mußten, als die Gesetze
dagegen erlassen wurden, denn sonst hätte man dieser
doch nicht bedurft, so bezeugen die Akten, wie tief die
Unmoral bereits eingegriffen hatte. Wie schlimm mußten
die Dinge stehen, wenn dem Ehebrecher gegenüber von
Amts wegen mit der drakonischen Strafe der Ent
mannung vorgegangen werden konnte. Wie minder
wertig in sittlicher Beziehung mußte die weibliche Be
völkerung sein, wenn sogar in dem nicdcrbayrischen
Landstädtchen Osterhofen von Obrigkeitshalber
öffentlich ein Strafmittel dagegen angewendet werden
mußte ?
Auf dem Dachboden des alten Rathauses des ge
nannten Städtchens land man nämlich im Jahre 1872
ein aus Roßhaaren gewebtes Weiberhemd, das man
denen, die außerehelich Mutter geworden waren, bei der
vorgeschriebenen Kirchenbuße ebenso über den bloßen
Körper zog wie eingefangenen Dirnen, die nach der
Stäupung mit Ruten noch zum Prangerstehen ver
urteilt waren. Und dies Bußhemd, heute im Bayrischen
Nationalmuseum, zeigt deutliche Spuren sehr reich
licher Verwendung.
Ein ebenso groteskes wie boshaft ersonnenes altes
Strafmittel war der originelle „Schandesei“. Von diesem
gibt es sehr hübsch geschnitzte und naturgetreu be
malte wie auch primitiv gezimmerte. Beiden war aber
eigen, daß sie einen sehr scharfkantigen Rücken hatten
und auf einem Untersatz mit Rädern standen, damit