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Internationale 
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
12. Jahrgang. Wien, 1. Juli 1920. Nr. 13. 
Die Wiener Gobelinausstellung. 
Den Anstoß zu der Gobelinausstellung, die zurzeit 
vielleicht den größten Anziehungspunkt Wiens bildet, 
bot die Absicht der Regierung, die Kostbarkeiten an 
das Ausland zu verkaufen. Man erinnert sich der Be 
wegung, die dieser selbstmörderische Plan ausgelöst hat: 
wie ein Mann erhoben sich die kunstsinnigen Kreise 
Wiens, um gegen dieses Vorhaben zu protestieren, und 
erreichten dadurch, daß sie die Aufmerksamkeit der 
Entente, erregten, daß diese auf Grund der Rechte, 
die ihr der Friedensvertrag von St. Gsfmain gibt, 
ihr Veto gegen die Veräußerung einlegte. Die Regierung 
mußte wohl oder übel von dem Verkaufe absehen und 
trug dem Verlangen der Künstleischaft Rechnung, 
eine Auswahl dieser Schätze, die der heutigen Generation 
so gut wie unbekannt sind — die ältere hatte 1882 
Gelegenheit, einen großen Teil bei einer Exposition 
im Künstlerhause'zu sehen •— dem Publikum in einer 
Ausstellung im Belvedere zugänglich zu machen. 
Man mußte sich auf einen kleinen Teil der mehr 
als 900 Stücke umfassenden Sammlung beschränken. 
In ihrer Gänze ist sie einzig und allein mit den berühmten 
Beständen in Madrid,und Paris zu vergleichen. Mehrere 
auch dort vertretene Serien sind sogar hier vollständiger, 
manche in qualitativ besserer Ausführung vorhanden. 
Der Erhaltungszustand ist im allgemeinen ein vor 
züglicher, nur bei wenigen sind die Farben verblaßt. 
Die Ausstellung beginnt — wir folgen da dem 
trefflichen Vorworte zum Kataloge der Ausstellung, 
das Herrn Dr. Hermann Trenkwald zum Verfasser 
hat — im ersten Stocke mit einigen wenigen Stücken, 
die noch mit der Kunst des 15. Jahrhunderts und 
vom klassischen burgundisch-französisehen Bildtcppich- 
stil in Beziehung stehen. Zu ihnen gehört vor allem die 
eindrucksvolle Folge der Trionfi mit noch völlig spät 
gotischer dekorativer Haltung, trotz einzelner Re 
naissanceelemente und mit flächiger Behandlung der 
Bildmotive. Zwei kleinere ausgezeichnete niederlän 
dische Tapisserien mit der Taufe Christi kennzeichnen 
eine mehr bildmäßige Gestaltung des Wirkteppiths 
und zeigen in aen naturalistischen Pflanzenmotiven 
einen reizvollen, aus der Buchmalerei übernommenen 
Dekorationsstil. 
Ein Hauptstück der Sammlung offenbart jenen 
gewaltigen Bildteppichstil der Hochrenaissance, dessen 
Ausgangspunkt die Kartons Raffaels für die Wand 
teppiche der Sixtinischen Kapelle, die 1515 bis 1519 
in Brüssel gewirkt worden waren, bilden. Die große 
dekorative Kunst und Fülle, das vornehme Pathos 
der äußerst klaren und abgewogenen Formbildung' 
die im Grunde einfache Farbengebung, die geistvolle 
Durchbildung der Bordüren, all dies ist in herrlichen 
Beispielen mit Szenen aus der Bibel und mit groß 
zügigen Allegorien nach niederländischen Romanisten, 
wie Barend van Oiley und Pietei Dr. Coecke zu 
ersehen. 
Die Ausstellung bringt dann eine Reihe Brüsseler 
und französischer Arbeiten des 17. Jahrhunderts. Aus 
der Pariser Gobelimnanufaktur stammen vorzügliche 
Darstellungen aus dem Leben Alexanders des Großen 
nach Gemälden Charles Lebruns vom Jahre 1672. 
Ein Saal enthält Stücke aus der Konstantin-Folge 
nach Rubens, zwei weitere Räume zeigen Biüsseler 
Tapisserien nach Jordaens, unter denen besonders der 
Zyklus des Reitunterrichtes Ludwigs XIII. durch 
Frische der Komposition und eine für die Rubens- 
Schule charakteristische Verbindung von Mythus und 
Zeitgeschichte auffällt. 
Daran schließt sich eine der schönsten und an 
mutigsten Wanazyklen des 16. Jahrhunderts: die 
Erzählung von Vertumnus und Pomona nach Ovid. 
Den Abschluß dieser Gruppe bildet ein Hauptwerk 
französischer Bildwirkerei, eine in Fontainebleau ge 
wirkte Serie von Wandteppichen nach Entwürfen 
Pri maticcios, mit mythologischen Szenen inmitten 
einer äußerst wirkungsvollen Dekoration aus archi 
tektonischen, plastischen und naturalistischen Ele 
menten . 
Der zweite Stock weist ebenfalls Brüsseler und 
französische Arbeiten des 16. und 17. Jahrhunderts 
auf, bringt aber überdies als neue Gruppe jene Erzeug 
nisse, welche die Wirkkunst des 18. Jahrhunderts 
vertreten. Eine Reihe von Verduren charakterisiert 
in ausgezeichneten Beispielen diese rein dekorative 
Gattung des Wandbehanges. Der Grund der Wand 
teppiche Karls V. ist mit einer Fülle prächtiger Blumen 
und Stauden bedeckt, Verduren verschiedener Herkunft 
zeigen große lappige Distelblätter, in sich bewfgt und 
im Sinne spätgotischen Laubwerkes aus und in die Fläche 
geführt. 
Ein anschließender Saal birgt Darstellungen aus 
dem Mythus der Diana, Pariser Arbeiten vom. Anfänge 
des 17. Jahrhunderts, auf deren höchst eigenartige 
Farbengebung hinzuweisen wäre. 
Rubenssche Teppichkompositionen, die den Wand 
teppichstil der Barockzeit so wesentlich beeinflußt
	        
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