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Internationale 
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde, 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
12. Jahrgang. Wien, 15. November 1920. Nr. 21. 
Neue and alte Graphik. 
Unter den vielen Sammlungen, die der einstigen 
Kaiserstadt Wien ihren Weltruf in künstlerischer Be 
ziehung verschafft haben und — allem ,,Kunstraub“ 
zum Trotze! — für alle Zukunft gewährleisten müssen, 
gebührt der Albertina der weitaus vornehmste Rang. 
Es ist nicht etwa nur die stattliche Anzahl der Blätter 
mit ihren berühmten unbezahlbaren Unica von Dürer 
usw., die diese hervorragende kunstwissenschaftliche 
Bedeutung der schönen Handzeichnungssammlung be 
dingt, sondern es ist weit mehr noch die Qualität der 
Blätter und deren mustergültige Erhaltung, die die 
Augen der internationalen Kunstwelt stets auf diese 
Schätze richten werden. Mußte notgedrungen in den 
Jahrzehnten der Gährung vor dem Kriege und gar 
erst während der unseligen Weltkatastrophe die ge 
waltige administrative und bibliothekarische Ordnungs 
arbeit sich auf das notwendigste beschränken, so setzt 
nun desto eifriger ein neues Leben ein. Die „Inter 
nationale Sammlerzeitung“ freut sich, in ihren Spalten 
den verjüngten Ruhm der neuwerdenden Albertina 
verkünden zu dürfen. Wir sind ermächtigt mitzuteilen, 
daß große Umwandlungen im Reiche der staatlichen 
graphischen Sammlungen beabsichtigt sind. Man will 
nämlich die Riesenkollektion der Albertina und des 
Kupferstichkabinetts der Staatsbibliothek zu einer 
großen graphischen Staatssammlung vereinigen. Später 
sollen jene Bestände, die heute vielfach in allerlei 
kleineren Sammlungen versprengt sind, ebenfalls in. 
die große Graphik-Galerie mit einbezogen und von 
den Dubletten das Überflüssige von Fall zu Fall auf 
den Markt geworfen werden. Der Kuriosität halber 
sei erwähnt, daß sich der Gesamtbestand der Wiener 
graphischen Sammlungen auf diese Weise schon heute 
auf mehr als eine halbe Million Blätter belaufen 
dürfte!... 
Es ist klar, daß in unserer extrem modern orientier 
ten Zeit auch die Frage ventiliert werden mußte, wie 
man sich den modernen und modernsten Zeichnungen 
usw. gegenüber zu verhalten habe. Es ist da die Mei 
nung ausgesprochen worden, die Moderne Galerie im 
Belvedereschloß sei besonders geeignet, separatistisch 
diesen neuzeitlichen Zweig der Graphik zu fördern. 
Ohne sich hier für oder wider kritisch einmengen zu 
wollen, will die Leitung der Albertina mit ihrer neuen 
Ausstellung moderner und modernster Graphik zeigen, 
daß auch sie nichts weniger als einseitig „verzopft“ 
ist, sondern sich ihrer Aufgabe schon seit Jahren be 
wußt geblieben ist, auch der Graphik des 19. und 
20. Jahrhunderts die gebührende Pflege angedeihen 
zu lassen. Dabei war sich die Direktion der Albertina 
wohl bewußt, daß sie es ihrer stolzen Tradition be 
sonders schuldig sei, auf der Basis der Historie auf- 
bauend auch der hohen graphischen Kultur Rechnung 
zu tragen, wie sie gerade in den letzten hundert Jahren 
bis auf den heutigen Tag die Graphik Deutschlands 
und Deutschösterrexhs einzunehmen verstanden hat. 
Eine Wanderung an den Schätzen entlang, wie sie in 
der köstlich intimen Galerie übersichtlich geordnet 
und mit kluger Ausnützung der Lichtquellen dieses 
Raumes jetzt zu sehen sind, belehrt auch den einiger 
maßen empfänglichen Laien darüber, wie vollauf 
ebenbürtig die deutsche und österreichische (und hier 
nicht zuletzt die Wiener) Graphik derjenigen des Aus 
landes, Frankreichs und Englands vor allem, ist. 
Es kann nicht unsere Aufgabe sein, ausführlich 
auf Einzelnes einzugehen. Nur auf etliche besonders 
interessante Blätter mag hingewiesen und daraus ge 
folgert werden, daß die Albertina schon heute in der 
Lage ist, auch in bezug auf die Entwicklung der mo 
dernen Graphik eine überaus glückliche Waid zu er 
weisen. Mit Altmeister Menzels Blatt einer Frau 
(aus den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts) be 
ginnt die stolze Ahnenreihe, Böcklin, H. v. Marees, 
Stauffer-Bern und vor allem Wilhelm Leibi schlie 
ßen sich an: unmittelbar fasziniert das mit wuchtigem 
Wurf heruntergezeichnete Blatt dieses Meisters. Uh de, 
Stuck, die WorpsWeder Vogeler und Hans am 
Ende folgen. Besonders lehrreich in kunstästhetischer 
Beziehung berührt der Vergleich des urblonden Rom 
deutschen Greinerund des Wieners Hänisch, wiedenn 
überhaupt von den Wiener Graphikern Josef Engel 
hart, A. F. Seligmann (dieser mit einem Friesent 
wurf für den Musiksalon Zirner) u. a. sehr charakte 
ristische Proben wienerischen Graphikerfleißes zeigen, 
Nicht zu vergessen des tüchtigen Orientmalers Konrad 
Mandl (Linz). Geradezu vollständig kann man an 
dieser Ausstellung den Werdegang Klimts von seinen 
plastisch-geometrischen Anfängen bis zur nervös-pointil- 
listischen Liniensensibilität seiner letzten Zeit verfolgen. 
In der Folge erscheinen dann neben Allermodernsten, 
wie Kokoschka und Egon Schiele, auch die Meister 
des Auslandes, ein Khnopf, ein Hodler, ein Guys, 
Steinlen, der liebenswürdige Plauderer des Dekora 
tiven Signac, der auch als Graphiker seine pointilli- 
stische Note nicht verleugnet. Auch hier gibt es eine 
Überraschung: Auguste Rodin, den gewaltigen Gigan 
ten unter den belgischen Plastikern, lernen wir von 
seinen Anfängen an bis zur Herrschaft der Linien-
	        
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