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Internationale 
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
12. Jahrgang. Wien, 15. April 1920. Nr. 8. 
Scheffel-Fälschungen. 
Von Anton Breitner (Mattsee). 
Amerikaner und Engländer haben unsere deutschen 
Dichter nicht liebevoll behandelt, als der Weltkrieg in 
seine vierte Phase trat. An der Cambridge-Universität 
wurden die Porträts von Freytag, Hauff und. Scheffel 
überklebt, und die Milliardärinnen New Yorks und 
Umgebung leisteten sich die Geschmacklosigkeit, Büsten 
und Hermen deutscher Geisteshelden unter schwarze 
Flore zu stecken! „Mein Gott, was tut man nicht alles 
in der Langeweile eines Weltkrieges!“ Aber diesen 
Rothäuten und jenen Insulanern sei ihre augenblickliche 
schlechte Laune verziehen, w T eil sie ja doch im diebischen 
Nachdruck viel beigetragen zur Verbreitung" unserer 
Lieblingsdichter jenseits des schwarzen Wassers und 
des Kanals. Ein ganz tüchtiger Literaturhamster und 
Nachdrucksschieber seiner Art ist da zum Beispiel 
der Verlag von George Munro, New York. In Lexikon 
format, auf Zeitungspapier, in drei und vier Spalten 
bringt er auf nur 62 Seiten in kleinsten Typen den 
vollständigen „Ekkehard". Wer über Munro und 
sein Schieber talent mehr erfahren will, schlage 
die Beilage zur altberühmten Allgemeinen Zeitung auf. 
Einen unverschämt besseren Nachdruck auf glattem 
Buchpapier hat Morwitz & Co. in Philadelphia ge 
leistet; zum corpus delicti diente die Stuttgarter 
Bonz’sche Originalausgabe. Einen weniger diebsmäßigen 
Eindruck macht jene von Carla Wenckebach leider 
beschnittene Bostoner - Ausgabe; gutes Papier, ent 
sprechende] Einband und rein abgezogene Zinkographien, 
freilich fehlt den Abbildungen der Künstlername aus 
der Bruckrrann-Mappe, München! Daß London und 
Kopenhagen ihre Scheffel-Nachdiucke lieferten, er 
scheint nicht staunenswert, wohl aber wundert man 
sich und freut sich trotz der Niederlagen, mit welchen 
uns die Entente belastet, an dem Urteile des famosen 
Charles G. Leland, der den „Ekkehard“ über die 
Werke seines Walter Scott stellt! Unverantwortlich 
ungerecht wär’s jedoch, nur die überseeischen Frei 
beuter am literarischen Eigentum festzunageln, um so 
mehr, als uns das Freiwerden der Werke Scheffels und 
der frevelhafte Unfug, der dabei getrieben wurde, 
einen besonderen Protest abnötigte. Schon zur Zeit 
des Prozesses Scheffels mit Janke (Berlin), der auch 
jene von Scheffel köstlich bezeichnete blutrote „Rache 
ausgabe“ des „Ekkehard“ mit auf den Gerichtstisch 
legte, ließ ein der Streitfrage ganz fernstehender Tü 
binger Verlag einen „Ekkehard“ für die „gebildete 
reifere Jugend" erscheinen, der. den vollen Original 
roman auf J 99 Seiten zusammenzieht und größtenteils 
den Originaltext Scheffels verwendet. Eine überaus freche 
literarische Kleptomanie! Und ähnlich wie beim , .Ekke 
hard" wurde mit dem „Trompeter von Säkkingen“ 
umgegangen. An den übrigen Werken des Dichters 
versündigten sich die Übersetzer und Nachdrucker 
weniger intensiv; einige Gaudeamus-Lieder, einige Stücke 
aus der „Frau Aventiure" bilden die kleine Airsbeute 
der Marodeure jener Zeit, da Scheffel, Baumbach, 
Ebers, Wolff und Eckstein die Lieblinge waren. Froher 
als bei den genannten Übersetzungen und Nachdrucken 
weilt der Sammler dort, wo er den allerersten An 
fängen des Poeten folgen kann, um mit ihm neues zu 
entdecken, oft vom Dichter selber Vergessenes wieder 
zu finden. Und in dieser Richtung war Scheffels Werden 
und Entwicklung ein dankbares Feld. Mit dem gleich 
schmunzelnden Behagen, das die ersten Metzler’schen 
Ausgaben des „Trompeter von Säkkingen“ und jene 
Meidinger’s des „Ekkehard“ dem Sammler in die 
Hand drückt, erfaßt dieser den schmutzigblauen Pappe 
band. der alten Fliegenden Blätter, in welchen der 
wanderfrohe Studiosus Scheffel mit den ersten poetischen 
Versuchen erscheint. Des Dichters Universitätsfreund, 
C. Schwanitz, der zu Ilmenau Recht sprach, hat uns 
diese Schätze Verraten. Einer der späteren Jahrgänge 
der Fliegenden gab sogar zur sehr bemerkenswerten 
Fälschung einer Makart-Scheffel-Erinnerung Anlaß, 
bei welchen die „Münchener Neuesten Nachrichten“ 
die Rolle des Düpierten spielen mußten. Der Umstand, 
daß sich Scheffel mit Erfolg auch als Maler bewiesen, 
ließ die Gilde der Hochstapler ein mißlungenes Selbst- 
porträt des Dichters in den Handel bringen. Weniger 
Betrügereien geschahen mit dem handschriftlichen 
Nachlaß des „Ekkehard“-Schöpfers, wohl deshalb, 
weil es sich bei dem reichen Briefwechsel Scheffels 
nicht lohnte, sich mit Faksimilefälschungen abzugeben. 
Jene wertvollsten seiner Aufzeichnungen über die Arbeit 
am „Ekkehard" sind zum größten Teil publiziert, und 
der Briefwechsel des Vetters Josef an seine Schwarz 
wald-Base Emma fand unter der Feder des vorzüglichen 
Stilisten Boerschel (Berlin) den trefflichsten Inter 
preten, der Hand in Hand mit den ergänzenden Er 
zählungen der Frau Emma Koch-Heim das schöne 
biographische Buch „Josef Viktor von Scheffel und 
Emma Heim, Eine Dichterliebe" schuf und dadurch 
selbst der überaus fleißigen Arbeit Johannes Proel ß 
ein unentbehrliches Hilfsbuch an die Seite legte.
	        
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