Seite 142
Internationale Sammler-Zeitung
Nr. 13
nur wenig unterscheidet. Am wenigsten aber weicht
sie auch noch heute in Gebirgsgegenden (weniger am
flachen Lande) davon ab. )
Die Puppe nimmt erst um die Mitte des 19. Jahr
hunderts den kindlichen Typus an, den sie nach einigen
Jahrzehnten bis zur Karrikatur verunstaltet. Fast
nirgends findet sich unter den älteren Puppen eine
der späteren kindlichen Altersstufen.
Um 1400 lebte in Nürnberg ein Puppcnmachsr
namens Sebastian Ott, der ebenso wie Meister Meß
um 1465 sich eines ausgebreiteten Rufes als Künstler
in seinem Fach erfreute.
Die mittelalterliche Tonpuppe zeigt wenig Aus
druck im Gesicht; die Nase markiert ein kleines Hügel-
chen, die Augen schwarz gemalte Striche. Der Mund
in Kirschenform ist rot und rot sind auch die Backen
bemalt. Mehr Gewicht legte man scheinbar auf eine
schöngeformte Perücke, die man frühzeitig aus echten
Menschenhaaren fertigte.
Daß es in der prunkvollen Epoche der Renaissance
auch recht kostbares Kinderspielzeug gab, ist uns
mehrfach überliefert. Kurfürst August von Sachsen
schenkte zu Weihnachten 1572 seinen Töchtern eine
Puppenküche, die so kostbar war, daß er sie später
in seiner Schatzkammer verwahren ließ. Sie enthielt
unter anderem an Zinngeschirr 71 Schüsseln, 40 Braten
teller, 86 Löffel, 106 Teller und 28 Eierschüsseln.
Im 17. Jahrhundert wird viel Geschirr für Puppen-
küchen auch aus Kupfer und Fayence, aus Holz und
Eisen gefertigt. Die Schmiedekunst feierte in miniatur
artigen Nachbildungen von Räucherpfannen, Braten
wendern, Prunkschüsselchen und anderem Puppen-
stubenklcinkram wahre Triumphe. Das 19. Jahrhundert
bringt solches Kinderspielgeschirr neben Holz aus
Porzellan und Steingut zu Markte.
Ein berühmt kostbares Puppenhaus — Stuben
genügten in dieser prunkvollen Zeit schon lange nicht
mehr — ließ Herzog Albrecht V. von Bayern erbauen;
aber auch aus dem Besitze von deutschen Patrizier
familien sind uns eine Reihe prächtiger Puppenstuben,
zum Beispiel in den Sammlungen des Germanischen
Museums in Nürnberg, erhalten, in deren Stuben vom
Speicher bis zum Keller, vom Prunkgemache bis zur
Mägdekammer aller damals übliche Hausrat bis ins
kleinste Detail nachgebildet ist.
Das uralte Steckenpferd wird im 19. Jahrhundert
immer mehr von dem schwerfälligen Schaukelpferd
verdrängt; die Originalität des Spielzeuges schwindet
auf Kosten der fabriksmäßigen Massenproduktion.
So manches, das Kinderherz erfreuende Spielzeug,
an das sich unsere eigene Jugenderinnerung knüpft,
wie das kleine, hölzerne Pferdchen mit der sonderbar
rohen Bemalung, die an polynesische Hausindustrie
erinnert, das an Stelle des Schweifes ein hölzernes
Pfeifchen oder eine — krause Hühnerfeder hatte, ist
ausgestorben, ebenso wie die primitiven Holzsoldaten,
die direkt auf der Drehbank erzeugt waren.
Auf alten Christbaumdarstellungen, deren älteste
von Daniel Ghodowiecki (f 1801) aus einem Hamburger
Kinderalmanach vom Jahre 1786 uns erhalten ist,
sind oft reizende Spielsachen im Bilde zu sehen.
Westeririeder erwähnt 1782 als die in Bayern landes
üblichen Kinderspiele: Ball, Kreisstechen, Reif- und
Krocketschlagen, Einkindein, Ballenschlagen, Runzel
spiel, Steindappeln, Platteln und das Kapuzinerspiel.
1780 gab es in den Spielzeugläden Münchens, das
waren die Schachtel-(Gstadl)macher, Drechsler und
Galanteriehändler, Weiblein und Männlein aus Holz
und Tragant, bunt bemalt, aus Wachs und Metall,
Steckenpferde, Hampelmänner, Ratschen, Kuckuck,
Zinnsoldaten zu Fuß und zu Pferd, auch ganze Lust
gärten und Festungen, Scheiben, Armbrüste und
Flitzbogen, Säbel aus Holz und Blech, Stroh- und
Holzkästchen und Hausrat in allen Größen für die
noch sehr primitiv hergestellte Puppe. Nur Musik
instrumente, die über zwei Gulden kosteten, durften
diese Händler nicht führen, das war Sache der Saiten-
jnstrumentenhändler.
Die Spielwaren wurden außer Nürnberg und Augs
burg aus Berchtesgaden, Ammergau und aus dem
Grödnertale bezogen. Thüringen lieferte Gegenstände
aus Papiermache, Sachsen hauptsächlich Holz
schnitzereien und Nürnberg Spielzeug aus Zinn und
Blech.
Die Krippe mit ihrem intimen Weihnachtszauber
war schon lange bekannt und beliebt, ehe man den
Lichterbaum kannte.
Auch der Bilder- oder ,,Manndl“-bogen, zuers t in
Holzschnitt, später in Kupferstich und Lithographie
ausgeführt, gewöhnlich noch freihändig oder mittels
Schablone bemalt, bietet auch heute noch dem Kinder
herzen manche Freude. Die Firmen Campe in Nürn
berg, Zeller in München, Bermann, Barth und Tren-
tschensky in Wien, erlangten Weltruf auf diesem
Gebiete.
Immer aber ist es die Puppe — die Docke — die
uns zur Kulturträgerin früherer Zeiten geworden, in
der sich das Können und der Geschmack unserer Vor
fahren widerspiegelt.
Besonders die holzgeschitzten Puppen, die im
17. und 18. Jahrhundert noch keine Massenartikel,
keine Fabriksarbeit vorstellten, zeigen uns die Trachten
und Modetorheiten vergangener Jahrhunderte'oft besser
wie das Gemälde oder der Kupferstich.
Die ganz aus Holz geschnitzte Gliederpuppe, immer
im Stil ihrer Zeit gehalten, eignet sich zum Bekleiden
viel besser als die ältere Tonpuppe, indem alle Ge
lenke-, Arme, Beine, teilweise auch der Köpf, in Kurbel
gelenken zu bewegen waren.
Ein breiterer Zug kam erst um die Mitte des 19. Jahr
hunderts in die Puppenfabrikation, Wie auf der Lon
doner Weltausstellung chinesische Puppen, aus starkem
Papier gefertigt, zu sehen waren, deren bewegliche
Glieder bloß mit einem Hemdchen bekleidet waren.
Eine solche Puppe brachte der Sonneberger
Puppenfabrikant Eduard Lindner in seine Heimat
nach Thüringen. Dort nannte man diese neuartige,
nur mit einem Hemdchen bekleidete Puppe „Täufling“
und die Erzeuger dieses Spielzeuges wurden ,,Täufling
macher 1 ‘ genannt.
Indessen kamen englische Puppen auf den Markt,
die feine Wachsköpfe besaßen. Die Sonneberger Puppen
macher versuchten sich vorerst vergeblich in dieser
neuen Technik, bis Heinrich Stier mit Hilfe eines
italienischen Arbeiters hinter das Geheimnis kam und
eine Fabrik der wächsernen Papiermachetäuflinge grün
dete. Köpfe und Glieder wurden in eine Wachsmischung
getaucht und mit Weizenpnder überstaubt. Verbessert
wurde die Qualität dieser Köpfe noch dadurch, daß
man bald Glasaugen statt der gemalten einsetzte und
daraus haben sich um das Jahr 1855 die ,,Schlaf-
augen“ entwickelt.
Das Püppchen schlief also jetzt wirklich, wenn
man es zu Bett gebracht hatte. Die Perücke dieser
Puppen, deren Körper aus Zeug oder Leder gefertigt
und mit Werg oder Sägespänen ausgestopft war,
würde aus den Haaren der Angoraziege gefertigt.