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Internationale 
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde, 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
15. Jahrgang. Wien, 1. Juni 1923. Nr. 11. 
Sitte QedetbücFier. 
Kulturgeschichtliche Studie vom Hofrate Pachinger, Linz. 
(Schluss.)* 
Im Germanischen Nationalmuseum zu Nürnberg be 
findet sich ein Kleinfolio-Manuskript von 1320 in 
Pergament gebunden, an dem der Rand mit gepreßten 
Linien eingefaßt ist, der Grund in „Schrottmanier“ ge- 
punzt, von dem sich die in leichten Lederschnitt ausgeführ 
ten Gestalten des heil. Augustinus und seiner Mutter 
Monikaganzbrillantabheben.KleinezierlicheEckbeschläge 
und Schließen vervollständigen den reizenden Eindruck 
dieses Objektes in seiner selten harmonischen Technik. 
Wie auf so vielen anderen Gebieten der Gewerbe, 
brachte auch auf dem des Buchbindens die Renaissance 
eine Umwälzung. Der Buchdruck, der inhaltlich bei einer 
ganzen Auflage doch gleichmäßig war, weckte bei den 
Bücherfreunden das Begehren nach aparten, gleich 
artigen Einbänden. Kurfürst August von Sachsen 
(1526 — 86) war solch ein Bibliophile und sein Berater 
Lukas Cranach, förderte diese Neigung. Die Dresdener 
Hofbibliothek beherbergt köstliche Arbeiten dieser Art. 
Die deutschen Kleinmeister Aldegrever, Pencz, 
die Brüder B e h a m und andere lieferten treffliche 
Ornamentzeichnungen für die Rollen und Filetten aus 
Messing und für die Handstempel. Diese wurden in 
stark erwärmtem Zustande in das noch weiche Leder 
oder Pergament eingepreßt, so daß nach der Art und 
dem Willen des Handwerkers die geschmackvoll auf die 
Deckelfläche verteilten Gold- und Blinddruckornamentc 
entstanden. Selbst die Farbe wurde in jener Zeit zu den 
Einbänden herangezogen und dienstbar gemacht. Da 
mals zeichnete Peter Flötner seine originellen Mauresken. 
Die bayrischen Fürsten legten sich von Herzog 
A1 b r e c h t IV. an eine ebenso reiche wie künstlerisch 
gediegene Bücherei an, für die zum Beispiel Hans 
Mü 1 i c h, Bartel ßeha m und viele andere Meister 
der Farbe und des Stichels prächtige Einbände ent 
warfen und der Florentiner Tomaso Majoli ebenso 
Lieferant war wie der Franzose Jean Grolier. Leider 
fanden die Schweden 1632 an diesem Prachtexemplar 
Geschmack und nahmen bei ihrem Abzug aus München 
mit, was sie nur erreichen und fortschaffen konnten. 
Auch Geoffroy Tory le P a s c o n, de T h o u leisteten 
Vorzügliches auf dem Gebiete und als der Letztere 
starb, erreichten einzelne Arbeiten aus seinem Nach 
lasse die selbst in der heutigen Zeit der Preisrekorde 
sehr erheblichen Beträge von 10.000 bis 15.000 Franken. 
*) Siehe Nr. 10 der „Internationalen Sammler-Zeitung“. 
Solch finanzielle Anerkennung blieb von den deutschen 
Meistern selbst dem K a 11 h ö f e r versagt. 
Kamen in der Renaissanceperiode alle erdenklichen 
Ornamentmusterungen, wie das geometrisch verschlun 
gene Bandornament, der Ucello, sogar das lineare der 
Tauschiertechnik zur Anwendung, so verfiel in der Folge 
der künstlerische Geist mehr und mehr. Nur hohe Kirchen 
fürsten, Prälaten und Klosteräbte hielten für ihre Bib 
liotheken noch einige Zeit an gediegenen Buchein 
bänden fest, bis hier die Säkularisationen des 18. und 
19. Jahrhunderts mit aufräumten. 
Die höfischen Courtisanen, wenn sie das Alter zu 
drücken begann, wie eine Mai t e n o n, Pompadour, 
du Barry und andere flüchteten mit frömmelnder 
Miene hinter das pomphaft mit Edelmetallbeschlägen 
in Seide, Samt oder Moira reich gebundene Gebetbuch. 
Diese Damen verstanden sich darauf, der Welt ein 
Schnippchen zu schlagen. Sie hatten sich praktikable 
Gebetbücher erfunden. In den reich mit Edelsteinen und 
Perlen und Goldfiligran geschmückter, Einband, den 
noch das Miniaturbild einer koketten Magdalena oder 
eines aktenmäßig durchgeführten Sebastian schmückt, 
konnte jedes beliebige Buch gleichen Formates einge 
schoben werden. Und diese „frommen Damen“ lasen 
dann während einer ihnen langweilig dünkenden Pre 
digt oder sonstigen kirchlichen Handlung ganz gemüt 
lich irgend einen weniger frommen Roman eines Ner- 
ciat, Lafontaine oder Grecourt. Als dann jenseits der 
Vogesen die Aristokratinnen und fürstlichen Herzens 
damen um einen Kopf kürzer wurden und ein Straßen 
mädchen auf dem Altar der Pariser Kathedrale als 
Göttin der Vernunft installiert wurde, brauchte man da 
drüben überhaupt kein Gebetbuch mehr, bis der kor 
sische Advokatensohn sein Strafrichteramt antrat. 
Doch auch in Deutschland und Oesterreich trat 
das Gebetbuch mit dem 19. Jahrhundert mehr in den 
Hintergrund. Die Ausstattung verfiel der Vernachlässi 
gung. Sie verflachte, der Inhalt selbst wurde mit ge 
ringen Ausnahmen banal und durch den Spekulations 
geist von Verlegern sank es zum Massenartikel herab. 
Die Großstädterin von heute schämt sich förmlich, ihr 
Gebetbuch offen zur Kirche zu tragen. Nur auf dem 
Lande sieht man in den Kirchenstühlen noch manches 
Exemplar liegen, das trotz seiner Abgegriffenheit Zeug 
nis von seiner einstigen Schönheit gibt. Es sind dies 
oft Familienstücke, die in ihren besten Vertretern so-
	        
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