MAK
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde, 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
15. Jahrgang. Wien, 1. April 1923. Nr. 7. 
tTizians „SFod des Petrus fJHartyr“. 
Von Dr. Theodor von Frimmel, Wien. 
Der Hinweis darauf, daß in der 
Auktion der Sammlung Z. im Dorotheum 
ein Altar mit Bruchstücken von Tizians 
„Tod des Petrus Martyr“ zur Verstei 
gerung gelangt, hat die Frage nach 
dem Schicksal des berühmten Altarbildes 
wieder aktuell gemacht, das angeblich 
1867 ganz einem Brande zum Opfer ge 
fallen ist. Herr Dr. Theodor von F r i m- 
m e 1 hatte die Güte, uns darüber folgen 
de interessante Aufklärungen zu geben: 
Das große Altarbild von Tizian mit dem Tod, 
richtiger der Ermordung des Petrus Martyr ist nur zum 
Teil verbrannt. Während einer Restaurierungs 
arbeit in der Kirche San Giovanni e Paolo, für die das 
Altarblatt gestiftet worden war, hatte man es der Sicher 
ung wegen zugleich mit einem Altar von Giovanni Bel 
lin i in die anstossende Capella del Rosario gebracht, 
ln der Nacht vom 15. auf den 16. August 1867 brach 
dort Feuer aus. Daß die etwas rechtswidrige Entfernung 
des Bildes aus der Kirche Unwillen erregte, läßt sich 
denken. Man munkelte in Venedig allerlei über die 
Schicksale der Reste des Petrus Martyr nach dem Brand. 
Vernünftiges und Unvernünftiges wurde unter den Nicht 
wissenden vermutungsweise geflüstert, sogar die Un 
wahrscheinlichkeit, als sei der Brand nur zum Schein 
veranstaltet worden, um das ganze Bild hinterher nach 
Amerika verkaufen zu können. Von einem Vorhanden 
sein des Tizianischen Petrus Martyr in amerikanischem 
Besitz ist nun aber niemals etwas bekannt geworden, 
und was ich über den Brand erfahren konnte, läßt nicht 
gerade auf irgendeinen Schwindel schließen. Die Spuren 
des Feuers habe ich vor Jahren selbst noch deutlich 
genug geseheri, auch die stark durch den Brand ge 
schädigten Reliefs von Torretti. Ueberdies gibt es ein 
Schrifteben „La Capella del Rosario distrutta dal fuoco 
il 16 Agosto 1867“, das ich freilich jetzt nicht wieder 
aufschlagen kann. Diese Angelegenheiten werden sich 
gewiß noch genügend aufklären lassen. Weniger Aus 
sicht auf Klarstellung ist dafür vorhanden, daß man die 
ohne Zweifel sorgsam verschwiegenen Namen der Leute 
ermitteln werde, durch deren Hände die noch erhaltenen 
Teile des angebrannten Bildes gewandert sind. 
Längst, schon seit mehr als zwei Jahrhunderten, 
war das berühmte Altarbild durch Waschungen und 
Uebermalungen entstellt, und in der Zeit kurz vor dem 
Brande konnte man keinen ungetrübten Eindruck mehr 
von dem Meisterwerk erwarten. Schon in der Einleitung 
zu Boschinis „Riehe minere della pittura veneziana“ 
von 1674 wird vermerkt, das Bild sei nicht mehr gut 
erhalten gewesen, (ln der ersten Ausgabe der „Minere“ 
von 1664 gibt es keine sachlichen Vorbemerkungen.) 
Die Reise nach Frankreich zur Zeit der Franzosenkriege 
hat dann dem Altarblatt noch recht übel bekommen. 
Dazu gesellten sich die bösen Schäden durch den Brand 
von 1867. Der größte Teil der Fläche wurde überhaupt 
vernichtet, und die Reste, die jetzt, zu Galeriebildern 
zugeschnitten und hergerichtet, in der Auktion Z. im 
Dorotheum auftauchten, zeigten an ungezählten Stellen 
die Spuren der verschiedensten Insulten, nicht zuletzt 
des Brandes, Verkohlungen verschiedenen Grades, un 
zählige kleine Fehlstellen, alte Restaurierungen. 
Aus den Verletzungen der zwei Bilderreste läßt sich 
mancherlei ablesen, das für die Beurteilung ihrer Schick 
sale von Wert ist. 
Die Sprungbildung der Farbenschicht ist überaus 
reichlich. An einigen Stellen, die noch gute alte Farbe 
ohne Uebermalungen aufweisen, zeigen sich die Sprünge 
so angeordnet, wie sie auf alten Holz bildern Vor 
kommen. Daneben reichliche Krakelüren, die auf Lein 
wand als Malgrund schließen lassen*. Derlei Vermen 
gungen kommen vor auf Gemälden, die ursprünglich auf 
Holz gemalt waren und später auf Leinwand übertragen 
worden sind. Dies war denn auch beim Petrus Martyr 
des Tizian der Fall. Die Sprungbildung der Leinwand 
ist besonders deutlich an verkitteten Stellen. Daraus 
kann man den Schluß ableiten, daß diese Verkittungen 
erst trocken geworden, wohl auch erst aufgelegt worden 
sind, als das Gemälde schon auf Leinwand übertragen 
worden war. 
Weiter zeigt sich die Farbenschicht der beiden 
Bilderreste, gepreßt oder gebügelt, in ihrem Relief be 
einträchtigt. Das hängt ebenfalls wieder mit der Uebep- 
tragung auf Leinwand zusammen, eine Operation, die 
1862 durch Hacqin in Paris vorgenommen wurde. 
Während der Beförderung aus Venedig nach Marseille 
hatte das Holzbild stark durch Feuchtigkeit gelitten. 
*) In bezug auf Sprungbildung an Gemälden verweise ich 
auf mein „Handbuch der Gemäldekunde“ (Leipzig, ]. J. Weber). 
Darin ist, wie ich behaupten darf, zum erstenmal die Angelegen 
heit der Farbenrisse und Bildersprünge auf eine wissenschaft 
liche Grundlage gestellt worden, so daß wenigstens Physiker 
seither bei jedem Bild in bezug auf Sprungbildung ihren Weg 
zu finden wissen. Menschen aus der vierten Dimension sind 
natürlich durch physikalische Erörterungen nicht zu belehren 
und lassen das Od-pendelchen über ihren Bildern schwingen, 
um das Alter der Malerei zu ermitteln.
	        
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