MAK
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
16. Jahrgang. 1. November 1924. Nr. 21. 
c (fDie ich Sammler wurde. 
Von Viktor Mannheimer, Berlin. 
In den nächsten Tagen gelangt ein Teil 
der bekannten Bibliothek des Doktor Mann 
heimer bei Graupe in Berlin zur Ver 
steigerung. Hier ein paar Abschnitte aus dem 
Vorwort des Katalogs, der Bibliophilen aufs 
wärmste empfohlen sei. 
Die erste richtige Büchersammlung, die ich kennen 
lernte, besah ich mir mit wohlwollender Verständnis 
losigkeit noch als Student in Göttingen vor beinahe 
einem Vierteljahrhundert:' es war eine Bibliothek 
von Erstausgaben deutscher Literatur, die ein für 
Literaturgeschichte und Otto Erich Hartleben begeisteter 
Göttinger Referendar namens Otto D e n e k e sich an 
zulegen im Begriff war. Aber meine eigene Passion für 
Bücher, an der ich schon als Primaner gelitten hatte, 
ging lediglich auf den Inhalt, das Literarische, während 
andere Faktoren noch nicht die ihnen zukommende 
Rolle spielten, also das Bibliographische, Typographische, 
überhaupt Buchhandwerkliche, das Buchästhetische, 
das Buch als Kulturdokument und als Rahmen und 
Gewand eines Geistigen. Eines Tages auf dem Göttinger 
Wall machte ich Rudolf Borchardt mit Deneke 
bekannt, der daraufhin sofort Erstdrucke von Hugo von 
Hofmannsthals Jugenddichtungen aufzutreiben suchte; 
aber auch Hofmannsthal, ebenso wie vorher Otto Erich, 
schüttelte den Kopf über das passionierte Jagen nach 
Erstdrucken, selbst wenn es solche von eigenen Dich 
tungen waren, und ich erinnere mich, daß, als mir mein 
Freund Walther Brecht (jetztOrdinarius für deutsche 
Literaturgeschichte in Wien) die herrlichen Renaissance- 
Drucke zeigte, die er für seine Dissertation über die 
epistolae obscurorum virorum durchzuarbeiten hatte, 
wir nicht darauf kamen, daß man so etwas besitzen 
müsse, um es richtig auszukosten. Die Pergament- und 
Schweinslederbände deutscher Barockdichter, die ich mir 
damals in Göttingen für billiges Geld zulegte, sollten 
lediglich eine Art Handwerkszeug bedeuten und keiner 
von uns hätte gedacht, daß ich eines Morgens als 
Besitzer einer beinahe berühmten Sammlung deutscher 
Barockliteratur aufwachen würde, denn Barock war 
noch nicht an der Tagesordnung, und man hatte keine 
Ahnung, wie selten diese Erstausgaben etwa von Logau, 
Grimmelshausen und Caspar Stieler Vorkommen, um 
deren Existenz sich allerdings auch noch kein Mensch, 
außer den Fachleuten, kümmerte. 
Ich war aber schon längst, bevor ich es wahr 
haben wollte, ein Sammler geworden, während ich noch 
immer die Auffassung vertrat, nur ein Leser zu seid, 
der sich, was ich immer zugab, bedeutend mehr unn 
wohl auch andere Bücher anschaffte als andere Leute. 
Meine Lesepassion war jedenfalls das Primäre: die 
unzähligen Bücher an der Wand bedeuteten ebenso 
viele Lesemöglichkeiten, jedes einzelne das Ziel einer 
besonderen Lesebegierde und Lesehoffnung, eine An 
weisung auf eine ganz bestimmte Auseinandersetzung 
mit einem zwischen Buchdeckel und Buchdeckel ein 
geschlossenen Geistigen. Das war es: alle meine Bücher 
warteten. Auf ihre große Stunde hatten sie zu warten, 
daß sie eines Tages durch Lektüre in Besitz genommen 
wurden und von diesem Tage an nicht mehr als Ver 
lockung oder Drohung, sondern als gute Bekannte und 
im Duft von Erinnerungsassoziationen mich ansahen. 
Es ist die tragische Ironie eines solchen Bücherharems, 
daß der Appetit seines Herrn sich größere Leistungen 
zuzutrauen pflegt, als auch der trainierteste Leser be 
wältigen kann. 
Jedes Sammeln ist eine Flucht; eine Flucht vor 
dem Alltag in die Passion, eine Flucht vor sich selbst 
in das Objekt. Dazu kommen noch viele andere Motive 
in verschiedenen Mischungen und Stärkegraden: die 
Freude am Besitz, die, wenn sie nicht nur aus Hamster 
trieb hamstert, entweder den Neid der anderen c der 
umgekehrt die Ungekanntheit des gesammelten Schatzes 
genießt; der Wunsch des wurzellosen Großstädters, 
sich mit einer handgreiflichen geistigen Tradition zu 
umgeben; eine wissenschaftliche Vollständigkeitslust, der 
manchmal Pedanterie nicht fern ist; das Sportfieber auf 
der Suche nach dem gerade noch fehlenden Stück; die 
Freude an der wachsenden Kennerschaft und Be 
herrschung einer Materie, während man doch fühlt, 
daß man sie nie auslernt; dann ein nicht zu unter 
schätzender Anreiz in unserem Zeitalter des Hoch 
kapitalismus, daß der Geschäftsmann auch seine Muße 
stunden, die er ästhetischen und geistigen Werten 
widmen möchte, in der ihm geläufigen Form des Verkehrs 
mit Händlern, des Taxierens, Abhandelns, Kaufens und 
sogar Spekulierens fortsetzen kann, so daß das Sammel 
objekt auch in seiner Eigenschaft als Ware genossen 
wird: man kostet sogar die besonders hohen oder aber 
niedrigen Preise aus, die man angelegt hat, und erst 
gestern in der Scheinblüte der Inflationszeit haben wir 
alle schaudernd die Krise des Sammelns erlebt, als eine 
Sammlung nur noch ihren in Dollar auszurechnenden
	        
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