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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde, 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
17. Jahrgang. Wien, 1. Mai 1925. Nr. 9. 
c Die ‘Dußtettenuerfcäufe der 1Tltßertina. 
Von Hofrat Professor Dr. Hans Tietze (Wien). 
Die Liebe der Wiener zu den Schätzen ihres 
öffentlichen Kunstbesitzes ist etwas schmerzlicher Natur. 
Jahraus, jahrein wird das etwa vorhandene Interesse 
geschickt hinter völliger Gleichgültigkeit verborgen; wie 
jedoch ein Skandal gernacht werden kann, brennt es 
plötzlich lichterloh. Wenn Kunstschätze ins Ausland 
gebracht werden, w'enn die Sukzessionsstaaten lange 
Forderungslisten überreichen, wenn die Objekte aus 
Mangel an geeigneter Unterbringung zugrunde gehen, 
wenn die wissenschaftlichen Beamten in einer Weise 
in das Besoldungsschema eingeordnet werden, daß der 
Nachwuchs ernstlich gefährdet ist, wenn andererseits 
trotzdem Neuerwerbungen höchsten Ranges und große 
Neuaufstellungen gemacht werden, so kräht kein Hahn 
danach. Aber wenn irgend jemand ein Verdächtchen 
geschickt zu lancieren versteht, wenn er zwischen den 
Zeilen allerhand Unregelmäßigkeiten erraten läßt, dann 
spitzen sich die Ohren und es prasseln die Fragen 
nieder, wie jetzt eben auf den armen Direktor der 
Albertina: Warum wird eine Auktion gemacht? Weiß 
der Direktor nicht, daß eine Auktion das einzige Richtige 
ist? Warum wird sie in Leipzig gemacht? Warum im 
Mai? Weiß der Direktor nicht, daß Graphiken ver 
schiedene Zustände haben? Wer ist überhaupt dieser 
Direktor? Warum ist er nicht alt? Wer deckt ihn im 
Ministerium? Wer verdient alles bei der Geschichte? 
Wieviel bekommt der Vermittler? Und überhaupt die 
Sache gefällt uns nicht: wo bleibt die Demokratie, 
wenn weder die Direktion noch das Ministerium sogleich 
Rede stehen, obwohl doch beide Herren, die sich als 
Fachmänner auf die Albertina gestürzt haben, so objektiv 
sind, daß sie diese seit Jahren nicht betreten haben 
und es nicht der Mühe wert fanden, sich, ehe sie ihre 
Brandartikel schrieben, zu informieren, sondern einfach 
einen Cottage-Tratsch aus Nachbargassen zusammen 
trugen. 
Hätten sie sich erkundigt, so hätten sie sich alle 
diese vielen Fragen ersparen können, die ihnen übrigens 
jeder auch nur oberflächliche Kenner des Kunstmarktes 
und von Graphik hätte beantworten können. 
Die Auktion findet bei der Firma Boerner in 
Leipzig statt, weil die seit Jahrzehnten regelmäßig statt 
findenden Graphikversteigerungen dieses größten Hauses 
des Kontinents der wichtigste internationale Marktplatz 
auf diesem Gebiete sind; den Beweis dafür liefert der 
Umstand, daß auch die großen ausländischen Sammlungen 
diesen Abstoßungsmodus wählen, z. B. das Britische 
Museum in London, das jetzt im Mai seine Dubletten 
zusammen mit denen der Albertina in Leipzig ver 
steigert. Und nicht in London, wo der Kunstmarkt 
immerhin besser wäre, als er gegenwärtig in Wien ist. 
Leider nun einmal ist. Auch hiefür einen Beweis: die 
größte Firma auf diesem Gebiete, G i 1 h o f e r und 
R a n s c h b u r g, hat ihre Auktionen ins Ausland verlegt, 
sie versteigert im Mai — fast gleichzeitig mit der 
Albertina — graphische Blätter in Luzern. Eine große 
Firma weiß genau, was sie tut, jedenfalls viel besser, 
als diese volkswirtschaftlichen ABC-Schützerf unter dem 
Strich, die den österreichischen Fremdenverkehr um die 
zwanzig Mann heben wollen, die zu einer solchen 
Auktion persönlich kommen und dafür den öster 
reichischen Staat kaltblütig um ein paar Milliarden 
schädigen möchten. 
Die Auktion findet im Mai statt, weil dies das 
traditionelle Datum der großen internationalen Ver 
steigerungen ist; dieser Termin ist diesmal für die 
Albertina umso wichtiger, als dadurch ihre Dubletten 
mit denen des Britisch-Museums Zusammenkommen, 
was ein Maximum an Interesse und damit von finan 
ziellen Aussichten zur Folge hat. 
Damit ist der in so durchsichtige Insinuationen 
eingewickelte Punkt, warum die Firma Boerner bei der 
Direktion der Albertina so sehr lieb Kind ist, noch 
nicht ganz erledigt. Es muß noch hinzugefügt werden, 
daß eine Bevorzugung dieser Firma nie stattgefunden 
hat; sie hat zwar schon eine große Albertina-Auktion 
mit großem Erfolg in Leipzig durchgeführt; aber eine 
andere große Versteigerung eines andersartigen, aber 
gleich wertvollen Materiales hat die Firma Gilhofer und 
Ranschburg vor anderthalb Jahren mit ebensolchem Er 
folg in Wien veranstaltet. Ihre anderen größeren Trans 
aktionen hat die Albertina direkt mit dem British- 
Museum in London, mit dem Metropolitan-Museum in 
New-York, mit großen amerikanischen und holländischen 
Sammlern, mit verschiedenen Firmen des In- und Aus 
landes abgeschlossen, selbstverständlich gelegentlich auch 
mit der Firma Boerner, die häufig Objekte ersten Ranges 
anbot. Dabei ist selbstverständlich impier mit den Chefs 
der Firma selbst verhandelt worden, eines Vermittlers 
hat es niemals bedurft; er hat auch-also nichts ver 
dienen können,
	        
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