Internationale
gammler-gJifunj)
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
18. Jahrgang. Wien, 15. Juni 1926. Nr. 12.
Pariser Jiunstfiändfer.
‘Uon Erna tFranfi, ‘Bertin.
Wenn ich nach P ar i s komme, führt mith mein
erster Weg in die Rue Lafitte.- Mit. dieser Straße sind
für mich wertvolle Erinnerungen verknüpft. Sie war
seit fünfzig Jahren der Sitz des modernen Kunst
handels.
Diesmal suchte ich vergebens nach den Galerien
Üurand-K u e 1 und V o 11 a r d. Die Hauser waren
niedergerissen, die hohen Bretterzäune starrten
von bunten Plakaten und die Maurer lächelten
ahnungslos, als ich sie nach der neuen Adresse aus
fragte.
Den verstorbenen Durand-Ruel habe ich persön
lich gekannt. Wenn man hinkam, gab es immer etwas
Besonderes zu sehen.. Die großen Impressionisten in
herrlicher Qualität und Auswahl. Für Feinschmecker
schleppten die Diener ganz seltene Leckerbissen her
bei, die der alte Durand-Ruel nicht allen 'Sterblichen
vorzeigte. Er hatte die Entwicklung des Impressionis
mus von Anbeginn mitgemacht, hatte sieh mutig für
die Maler der siebziger Jahre eingesetzt, und die
damalige junge Generation, Degas, Manet, Monet,
Renoir, Sisley, entdeckt und unterstüzt. Er hatte das
Flair, die für jene Zeit unverständliche Produktion
der „Jungen“ an sich zu bringen, und nahm ein
Risiko auf sich, das ihm fast den Hals gebrochen
hätte. Freunden und Kunstbegeisterten gestattete er
Dienstag von 2 bis 4 Uhr den Zutritt zu seiner Privat
wohnung in der Rue de Rome, wo er eine in Qualität
und Ausmaß einzigartige Impressionisten-Sammlung
zusammengestellt hatte. Hier war kein Fleckchen
Wand ohne Gemälde, die Spiegel sogar mit Bildern
verhängt, die Türfüllungen von ersten Künstlern be
malt. Renoir war mit dem „Dejeuner des Canotiers“
und den beiden großen Tanz-Szenen „Moulin de la
Galette“ herrlich vertreten. Er hat die Familie Durand
des öfteren porträtiert, seine Töchter,' seine Enkel
kinder. Im Schlafzimmer hingen das „Kleine Mädchen
vor dem geblümten Vorhang“ und die „Baljeteuse“.
Selbst in diese intimsten Wohnräume gestattete der
gütige Besitzer den Eintritt. Es ist etwas ganz Per
sönliches, was der Pariser Kunsthändler vergibt, etwas
menschlich Schönes und Wertvolles. Jeder., der vielen
Salons hat seine eigene Athmosphäre, seine ganz
spezielle Note.
Vollard, derVerkünder von Cezanne u. Rousseau,
bewohnt jetzt ein großes, stilles Palais in der Rue
Martignac, nahe der Deputiertenkammer. Wie gerne
denke ich an den winzigen Laden in der Rue Lafitte,
wo ohne Aufmachung die besten, gewähltesten Dinge
zu sehen waren! Vollard empfing mich in bester
Laune. In seinem Empfangszimmer hingen Cezannes
berühmte „Kartenspieler“ und „Vollards Porträt“.
Auf der Fläche der Hand sieht man noch ein Stück
chen weiße Leinwand. Vollard erzählt: „Für dies
Porträt habe ich Cezanne hundertfünfzehn Sitzungen
geben müssen. Ich fragte ihn, warum er die Stelle
auf der Hand nicht fertig gemacht hätte, worauf er
prompt antwortete: „Je n’ai pas trouve le ton qu’il
fallait mettre.“ (Ich habe nicht den richtigen valeur
gefunden.) Sehen Sie, so hat Cezanne gearbeitet! All’
unseren jungen Künstlern sollte man dieses begreif
lich machen.“ Wir sprachen über Rousseau, den
Douanier, und über Renault, dessen gewaltige Gra-
pniken er für mich hervorholte. Ueber die Maler-
Bücher Cezanne, Renoir und Degas, die Vollard ge
schrieben und mit reichen Illustrationen bei Cres
herausgegeben hat. Er war mit allen dreien be
freundet, und die Bücher gehören mit ihren intimen
Details zum Besten, was über die Menschen Cezanne,
Renoir und Degas gesagt wurde. Vollard sprach von
seinem neuesten Buch: „Ich bin unter die Schrift
steller gegangen, cela m’amuse.“ Und als ich mich
verabschiedete: „Hören Sie, Sie sprechen so gut
französisch — ich habe Vertrauen zu Ihnen, wollen
Sie mein Buch übersetzen?“ So schieden wir.
Bei Guilleaume konnte ich mich über die
jüngste Generation orientieren. Nachdem ich Mo
dernstes besichtigt hatte, führte er mich in die
hinteren Räume, die eine Kollektion wundervoll
starker Neger-Plastiken aufzeigten. Diese Sammlung
hat Guilleaume in mehreren Jahren mit großem Takt
und Verständnis zusammengetragen. In seiner Privat
wohnung sah ich den schönsten Derain, den ich kenne.
Ein Harlequin, überlebensgroß, ein hervorragendes
Bild. Derain und Renoir sind exquisit vertreten. Die
ganze Wohnung steckt voller Köstlichkeiten; alte
Neger-Plastik wirkt vorbildlich unter den Modernen.
Bei Leonce Rosenberg findet man wieder
eine ganz andere Note. Braque, Shote, Leger und
Gleizes. Braque zeigt vornehme Stilleben eigenster
Vision in bräunlich-grau-grünen Tönen. Ich erfuhr
Vieles, was mich mit den neuesten Intentionen der
modernsten französischen Malerei vertraut machte.