Internationale
^ammler-^ßi'funu
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde,
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
19. Jahrgang. Wien, 15. April 1927. Nr. 8.
2)/e GKupfersticßuersteigerungen 6ei G. 9. c J3oerner.
Die drei Boerner’ sehen Auktionskataloge,
die soeben erschienen sind, enthalten ein so vollstän
diges und wichtiges Material kostbarster alter Gra
phik, wie es in einer zusammenhängenden Verstei
gerung kaum je irgendwo auf den Markt gekom
men ist.
An Qualität und Kostbarkeit steht wohl die
Sammlung Franz von Hägens voran, der ein ab
geschlossener Katalog gewidmet ist. In 700 Num
mern ist hier vereinigt, was ein gewählter Geschmack
an Hauptwerken der großen Kupferstecher des 15.
bis 17. Jahrhunderts in der zweiten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts zusammenbringen konnte. Der Haupt-
wert liegt in dem Kupferstich werk
Albrecht Dürers, das sich den berühmtesten
Werken dieser Art, die man kennt, würdig zur Seite
stellt. Das schönste Stück daraus ist ein Exemplar
von Adam und Eva, das sich seinem Stammbaum
nach bis in die Zeit Dürers zurückverfolgen läßt. Der
„Ritter, Tod und Teufel“ steht ihm an Qualität nicht
nach. Ganz ungewöhnlich sind eine kleine Kupfer
stich-Passion, die seltene frühe Madonna auf der
Rasenbank und eine Madonna mit der Meerkatze.
Aber diese Blätter heben sich nur durch eine unver
gleichlich schöne Qualität über das prachtvolle Ge
samtniveau dieser Sammlung.
Fast noch erstaunlicher ist die Zusammenstellung
von 30 Radierungen R e m brandt s. Hier findet
sich der erste Zustand des Jan A s s e 1 y n und des
Jan Lutm a, die beide zu den größten Seltenheiten
im Werke gehören, unter den sechs Landschaftsradie
rungen erlesen schöne Exemplare der Landschaft mit
den drei Bäumen und der Landschaft mit den drei
Hütten, unter den Selbstporträts der frühe Zustand
des Selbstporträts mit dem aufgestützten Arm und
der frühe Zustand des Selbstbildnisses mit dem Feder
busch, mit den vier Ecken der Platte. Es ist nicht
möglich, die köstlichen Drucke, die sich im Uebrigen
der Sammlung finden, auch nur annähernd aufzuzäh
len. Bei den Holzschnitten Dürers findet sich ein voll
ständiges Exemplar des Marienlebens in Probedruk-
ken. Feinste Originalradierungen von Ostade, der
erste Zustand einer Originalradierung van Dycks,
eine Landschaft Altdorfers, drei Landschaften Hirsch
vogels von frischester Qualität und einige ganz un
gewöhnliche Blätter von Schongauer und Mecken
seien genannt. Den Katalog beschließt eine reiche
Handbibliothek, in welcher auch einige kostbare alte
Holzschnittwerke und Inkunabeln Vorkommen.
Ganz anders ist der Charakter einer Kupferstich
sammlung, die erst im Herbst vorigen Jahres auf dem
Schlosse einer alten Adelsfamilie entdeckt wurde und
die der zweite Boerner’sche Katalog beschreibt. Hier
findet man ein breites Material von Dürer, Rem-
brandt und den Klein meistern, während den
Hauptwert dieser Sammlung besondere Kostbarkeiten
auf dem Gebiet der Inkunabeln des 15. Jahr
hunderts ausmachen, 25 wundervolle Schon-
g a u e r s, darunter die komplette Serie der Schon-
gauer’schen Ornamentstiche, die meistens nur in
wenigen Exemplaren bekannt sind, zwei Stiche des
Meisters E. S., der eine in noch einem, der andere
in noch zwei Exemplaren erhalten, und ein ganzer
Manuskriptband niederländischer Herkunft mit über
90 frühen niederländischen Kupfer
stichen und Holzschnitten, ein großer Teil
davon Unika. Das schönste Blatt des 15. Jahrhun
derts dürfte jedoch eine große Madonna des Mei
sters von Zwolle sein. Auch dieses kostbare
Blatt ist bisher nur in d r e i Exemplaren bekannt. Ein
weiteres Charakteristikum dieser Sammlung sind
feine alte Holzschnitte, darunter als besondere Ueber-
raschung für Wissenschaft und Sammlerwelt nicht
nur ein zweites Exemplar des prachtvollen frühen
Cranach - Holzschnittes von 1502 der Kreuzigung,
das sich bisher nur in Berlin befand, sondern ein bis
her vollständig unbekanntes Gegenstück dazu, Chri
stus in Getsemane, ein herrlicher großer Schnitt, der
inzwischen von Professor Geisberg im „Cicerone“
besprochen worden ist. Zu dieser Sammlung gehört
auch eine kleine Partie von englischen und französi
schen Kupferstichen und Farbendrucken des 18. Jahr
hunderts, auch diese zum Teil von größter Frische,
wie sie ein hundertjähriges Ruhen dieser Blätter in
einer abliegenden Privatsammlung mit sich bringt.
Trotz des reichen Inhaltes der besprochenen bei
den Kataloge ist die große Holzschnitt-
S a m m I u n g, die der dritte und umfänglichste
Boerner’sche Katalog beschreibt, wohl die größte
IJeberraschung und sein Inhalt besonders für die
öffentlichen Kupferstichkabinette bei weitem am
wichtigsten. Wie die Vorrede dieses Kataloges aus
führt, sind ja die alten Holzschnitte, soweit es sich
nicht um die immer wieder vorkommenden Blätter