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INTERNATIONALE SAMMLER - ZEITUNG
Nr. 16
daß man mit den zu versendenden Schriftstücken
sich zum Postmeister der Stadt begab, diese vor den
Augen der Kontrolleure verschloß und dann zum
„Wertsiegeln“ gab. Dieses Wertsiegeln (Cachet
Valeur) wurde derart vorgenommen, daß die Ver
schlußseite mit einem amtlichen Postsiegel versehen
wurde, wohinein dann mit dem Amtssiegel der Be
förderungswertbetrag eingedrückt wurde. Wir haben
hier also auch schon eine Wertangabe für die Be
förderung von Postsachen, also auch eine Einrich
tung, die viel vom Wesen unserer Briefmarke heute
besitzt.
Vorher hatte bereits Lothar, Graf von Supplin-
burg, der am 30. August 1125 zum deutschen Könige
nach dem Hinscheiden Heinrichs V. gewählt würde,
eine amtliche Beförderungssteuer auf alle aus Rom
in das deutsche Gebiet gelangenden kirchlichen Sen
dungen eingeführt. Nachdem der Papst schon mit
■ Lothars Vorgänger schwere Kämpfe gehabt hatte,
wollte Lothar zurnindestens die Verbindung des
päpstlichen Hofes mit den deutschen Bischöfen er
schweren, zu seiner eigenen Sicherheit. Es wurden
Wertmarken zu hohen Beträgen ausgegeben, und
kein noch so wichtiger Brief gelangte in die Hände
der Bischöfe, der nicht mit dem vorgeschriebenen
Betrag „freigemacht“ worden war, zu welchem Zei
chen man die Sendungen mit großen, beschrifteten
Merkzetteln versah, die nicht angeheftet, sondern
aufgeklebt wurden. Auch diese sonderbaren „Mar
ken“ können als Spezialausgaben einer frühen Wert
markenreihe angesehen werden. Im nächsten Jahr
hundert gab es dann sogar schon einen Holzstempel,
mit dem in Bayern Briefe gestempelt wurden, und
diese Stempel wurden auf eine gewisse Anzahl von
Zetteln gedrückt, die dann an die Postgrenzstationen
versandt wurden. Als Rudolf I. gegen Ottokar von
Böhmen kämpfte und ihm Steiermark, Kärnten und
Krain entriß, mußte die neue Grenze auch wirtschaft
lich gesichert werden, und die Burgherren an den
Einfallwegen aus dem böhmischen Gebiet bekamen
zur Erhebung der Abgaben eben diese „Freimarken“,
die über verschiedene Beträge lauteten und den ein
gehenden böhmischen Sendungen jeder Art auf gehef
tet wurden. Es ist hiebei wichtig, um den Charakter
der heutigen Briefmarke wieder zu erkennen, daß
man solche Freischeine auch in größeren Mengen
kaufen konnte, auf fremdem Gebiet seinen Briefen,
Sendungen und Waren aufheflen durfte und dann für
die so „freigemachten“ Sendungen die Gewähr hatte,
daß sie auch nach Bayern und in die eroberten Pro
vinzen gelangten (1276—1283).
Diese Systeme der Brief- und Paketmarken-
Methoden haben natürlich meistens nur örtliche oder
auf bestimmte Gebiete beschränkte Gültigkeit ge
habt. Erst unter Christine von Schweden kann man
zum ersten Male davon sprechen, daß ganz allgemein
eine richtige Briefmarke verwendet wurde. Man
hatte damals im Lande große Not zu bekämpfen und
der schwedische Staatssäckel brauchte durch das
ganze 17. Jahrhundert und im Anfang des 18. Jahr
hunderts große Zuschüsse. Die erst erfolgreichen und
später so verlustreichen Kriege in Mitteleuropa und
in der Ostsee verlangten besondere Steuern, und
Christine kam auf den Gedanken, neben den üblichen
Taxen für die Brief- und Warenversendung inner
halb des schwedischen Königreiches eine Notsteuer
zu erheben. Diese Notsteuer wurde allen Sendungen
hinzugefügt, die über größere Entfernungen gehen
sollten, man kannte bei ihr im Lande also schon ein
Staffel-Porto-System. Nachdem man lange keine
richtige Kontrolle besessen hatte, ob für die ver
schiedenen Sendungen denn nun auch in der Tat die
Steuer bezahlt war, kam der Hausmeister Arns
Jingssen darauf, von der Hand der Postmeister Quit
tungen auszustellen, diese geschriebenen und gestem
pelten Quittungen aber nicht dem Absender zu ge
ben, sondern sie mit der Sendung an den Bestim
mungsort gelangen zu lassen, damit man dort eine
Kontrolle hatte,' daß bei jeder Entfernung der darauf
entfallende Sonderbeitrag auch bei Aufgabe der Sen
dungen gezahlt worden war. So wurden diese Mar
kenquittungen den Sendungen aufgeklebt und das
Briefmarkensystem war auch hier vollzählig.
Es ist im übrigen interessant, daß ein Franzose
schon dem sonst so einsichtigen Napoleon I. eine
Briefmarke anbot und eine Gummierung eigener Art
für die Massenverwendung dazu. Das war Louis An
toine Patout, der im Jahre 1807 dem Kaiser in Italien
seinen Plan zu einer Reformierung der Feldpost des
französischen Heeres vorlegte, der aber keine Gegen
liebe beim Kaiser fand. Napoleon war der Ansicht,
daß schon die Herstellung sovieler Marken, wie man
sie im Heere dann gebrauchen würde, mehr kosten
würde als die Einnahmen hinterher mit sich bringen
dürften. Er war falsch instruiert worden, denn wenn
auch damals die Massenherstellung von Briefmarken
noch um ein Vielfaches teuerer gewesen wäre als
heutzutage, so wäre doch die allgemeine Verwendung
zu einer großartigen Einnahme für den stets geldbe
dürftigen Kaiser der Franzosen geworden, denn es
bestand kein Zweifel, daß bald Handel und Gewerbe
in Frankreich diese Einrichtung in Massen benützt
hätten. Die Soldaten aber hatten damals noch keine
Gratisversendung ihrer Briefe, sie zahlten bei den
Marketendern oft viel Geld, um mal gelegentlich
einen Brief nach Hause schaffen zu können. Was der
erste Napoleon, der Große, abschlug, .das vollendete
rund 45 Jahre später sein Großneffe, der auf diesem
Gebiet ein größeres Verdienst um Frankreich hat als
der göttliche Kaiser.
Ein Briefmarkensystem führte auch die Indische
Compagnie in Vorderindien schon um 1810 ein. Sie
wollte nämlich unterscheiden zwischen den Sendun
gen ihrer eigenen Beamten und denen der einge
borenen indischen Arbeiter und Angestellten. So
wurde verordnet, daß alle aus diesen Händen stam
menden und die Grenzen des Wohnsitzes verlassen
den Brief- und Paketsendungen erst vom Vertrauens
beamten der Niederlassungen der Indischen Com
pagnie mit einer Klebemarke versehen werden soll
ten, die den Namen des Kontrolleurs, die Zeit der
Versendung und den bezahlten Wert in Zahlenan
gaben tragen mußte. Das ist ein einwandfreies Brief
markensystem, wenn es auch nur von einer Privatge
sellschaft ausgeübt wurde. Späterhin, um 1835, hat
dann dieselbe Compagnie d.ie Druckmarke verwen
det und in einigen Faktoreien der britischen Besit
zungen in Ostafrika ist ein ähnliches Kontrollsystem
heute noch im Gange. Die Kontrolldruckmarke auf
Brief Sendungen schwarzer Farmangestellter ist auch
in den portugiesischen Kolonien Angola und Mozam
bique heute noch feslzustellen, es besteht dort seit
1825 etwa. Wenn man heute neben die eigentliche
Landesbriefmarke auch noch die Kontrollmarke hin
zusetzen muß, so ist doch die letztere die eigentliche
Vorläuferin der ersten gewesen.
Man muß doch bereits aus der windschnellcn
Verbreitung der Briefmarke um 1850 herum anneh
men, daß in sehr vielen Ländern Vorläufer der Marke
an sich bereits schon bekannt waren und daß daher
die allgemeine Uebertragung der Markenbeklebung
für alle Postsendungen nur ein Fortschritt war, der
mit den anderen Errungenschaften in Technik und
Wissenschaft notwendigerweise einhergehen mußte.