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INTERNATIONALE SAMMLER - ZEITUNG 
Nr. il 
Das Sammeln von JCandzeichnungen. 
Von Waldemar May (München). 
Das Sammeln von Handzeichnungen ist keine 
Mode unserer Tage und wenn es heute mehr An 
hänger findet als bisher, so deshalb, weil es heute 
dem Freunde der Kunst oder des Schönen überhaupt 
wirtschaftlich schwerer fällt Reisen zu unternehmen, 
um Originale an Ort und Stelle zu sehen oder gar 
solche selbst zu erwerben, deren geringstes’ (wenn 
es überhaupt auf künstlerischen Wert Anspruch ma 
chen kann) noch zehnmal wichtiger und wertvoller 
ist, als der beste Reproduktionsdruck, Es ist da 
her begreiflich, wenn er dem teueren Original einen 
Ersatz geben will in der billigeren originalen alten 
Handzeichnung. 
Oelgemälde weniger bekannter moderner Mei 
ster sind ja heute nicht so teuer, als der Laie glaubt. 
Vom Künstler selbst sind sie im Atelier um 60 bis 
200 Reichsmark zu haben, häufig um eine noch ge 
ringere Summe. Handzeichnungen moderner erster 
Meister allerdings sind unter 200 Reichsmark kaum 
zu bekommen, aber oft gleich reizvolle Blätter guter 
Meister um 10 bis 30 Reichsmark. 
Werden so Handzeichnungen, insbesondere 
solche mit etwas Kolorit, Gouache- oder Aquarell 
skizzen häufig an Stelle von Originalbildern gesam 
melt oder als aparter Zimmerschmuck gerahmt, ist 
der Handzeichnungssammler doch vorzüglich auf 
Linienzeichnungen älterer Meister aus, die wie keine 
andere Kunstübung die persönliche Handschrift des 
Künstlers aufweisen- „Die Rechtschaffenheit in der 
Malerei' nannte die Handzeichnung ein berühmter 
Künstler. 
Ist es nicht auch besonders reizvoll, den ersten, 
plötzlichsten Gedanken eines Künstlermenschen zu 
besitzen, den Geistesblitz, aus dem vielleicht ein 
ganzes Gemälde hervorging, ein Gemälde, das in 
seiner Ausführung qualitativ die Zeichnung nie er 
reichen konnte, ein bedeutendes Bild, das heute in 
irgend einem Museum hängt, ein anderes, das uns 
verloren gegangen ist? Nirgends wird der Blick in 
die anschauliche Gedankenwelt, in die verborgenste 
Seele eines Künstlermenschen, in die Geheimnisse 
.seiner Werkstatt und seiner Technik uns so unver 
hohlen sichtbar, wie in der Zeichnung, nie das Den 
ken einer fernen Zeit uns künstlerischer und un 
mittelbarer übermittelt, als durch die Zeichnung. 
Schon im 15. Jahrhundert wunderten die Ent 
wurfblätter der Meister in ihren Werkstätten unter 
den Schülern und Freunden von Hand zu Hand, was 
freilich oft zur Folge hatte, daß die Schöpfung des 
Genies durch Nachpausen der Linien, durch Qua 
drieren und Zirkeltasten beschädigt worden ist. Der 
erste, größte und leidenschaftlichste Sammler von 
Handzeichnungen war der auch sonst bedeutende 
Lo r e n z o di Medici, der die Meisterzeich 
nungen der beginnenden italienischen Renaissance 
in seinen Mappen vereinigte. Auch Dürers Erben 
und seine Rechtsnachfolger hielten hunderte von 
Skizzenblättern dieses beständig schaffenden, immer 
stiftfrohen Meisters und Zeichners gesammelt, ur 
sprünglich ein Besitz phantastischen Wertes, der mit 
geringen Verlusten dann später in der Wiener Al 
bertina seine museale Ruhestätte fand. 
Neben Dürer waren auch Rubens und Rern- 
b ran dt leidenschaftliche Zeichner und Liebhaber 
ihrer eigenen Blätter, was sie von selbst dazu führte, 
auch solche ihrer Vorgänger und Zeitgenossen zu 
erwerben, wodurch sie zu Sammlern wurden. 
Es ist heute nicht schwer, eine schöne und wert 
volle Sammlung von Handzeichnungen zusammen- 
zubringen und sie verlangt nicht einmal große Geld 
mittel. Der Etat eines mittleren Briefmarkensamm 
lers reicht aus. Es sind ja gute und seltene Blätter 
oft so billig zu erwerben, mit Chancen sich als be 
deutend herauzustellen und dem Risiko, bei halbwegs 
vorsichtiger Auswahl, bestimmt das wert zu sein, 
was man dafür hingab. Allerdings ist ein intuitiver 
Blick für künstlerische Schönheit und Qualität Vor 
bedingung, den man bei einiger Anlage durch das 
ständige Betrachten guter Originale und Reproduk 
tionen leicht bis ins feinste schärfen kann, wenn 
auch nicht erwerben, Auf dem Gebiete der Hand 
zeichnung hat das Expertisenwesen und die Bildung 
fester Handelspreise sich noch kaum durchzusetzen 
vermocht und wird sich, da sie einmalige Werte 
von größerer Unterschiedlichkeit als Bildwerke sind, 
auch nicht durchsetzen. So bleibt bei fast jeder 
besseren Erwerbung die große Chance in Aussicht, 
Barockzeichnungen guter Qualität und Erhal 
tung, die ja auch marktmäßig eine gute Zukunft ha 
ben, sind heute noch um 15 Reichsmark — oft dar 
unter — zu haben, gute Rokokoskizzen sind etwas 
seltener und teuerer, aber auch noch erschwinglich. 
Zeichnungen und Skizzen der neueren Meister aber 
sind heute für einen Pappenstiel zu erreichen, wie 
zum Beispiel solche weniger bekannter Romantiker 
oder wichtige Landschaften, für die sich der Spezial- 
.sainmler oder für die ein Heimatmuseum gerne Wich 
tigeres in Tausch gibt. Gar manche Sammlung hat 
sich aus solchen Gelegenheitskäufen aufgebäut und 
gar manche, wie die des bedeutenden Sammlers 
Baron N e m e s hat sich auf dem Wege immer 
währenden Ankaufes und Abstoßes, ständiger Ver 
besserung und Konzentration geradezu selbst finan 
ziert. 
Es ist durchaus nicht alles wertlos, was heute 
unter der allgemeinen Vernachlässigung der Hand 
zeichnung, unter dem wirtschaftlichen Druck bei 
Händlern und privat billig zu haben ist. Man scheue 
sich nicht zu kaufen, wenn eine schöne Zeichnung 
einen billigen Preis hat. Es kommt auf ihren Wert 
an. Eine kleine Besserung der Marktverhältnisse 
im Verlaufe von zwei oder fünf Jahren kann voraus 
sichtlich schon eine Wertsteigerung von 100 und 
mehr Prozent bewirken, ganz abgesehen davon, daß 
ein gutes Blatt im Momente seiner Entdeckung und 
der billigen Erwerbung schon einen 3- bis 400 pro- 
zentigen Gewinn bedeutet: Wem es aber gar ge 
lingt, eine signierte Zeichnung als die eines bekann 
ten Meisters zu eruieren oder für eine unsignierte 
eine gute Zuschreibung zu finden, der braucht keine 
Angts mehr zu haben, daß er jemals nicht sein Geld 
mit Multiplikation, Zins und Zinseszins wieder er 
löst, wenn er verkaufen will oder muß, ganz abge 
sehen von dem inneren Gewinn, dem ihm das Kunst 
werk für die Dauer seines Besitzes gewährte. 
Man bedenke auch, daß der Block der alten 
Handzeichnungen immer kleiner wird, und wenn 
heute erst wieder mehr Menschen sammeln können, 
bald so angespannt sein wird, wie die Werke alter 
Meister es heute schon sind. Schön einmal, 1898 
bis 1910, stiegen zum Beispiel die Zeichnungen der 
Renaissancemaler um 100 bis 150 Prozent an Wert 
und nichts steht dem entgegen, daß in ganz kurzer 
Frist auch gute und mittlere Barockblätter ihren 
Aufstieg machen,
	        
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