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Internationale 
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde 
Herausgeber: Norbert Ehrlich 
24. Jahrgang Wien, 1. Februar 1932 Nr. 3 
Der JCruzifixus von Gengfurt. 
Eine Wiener Elfenbeinarbeit um 1730, 
Von W. May (München.) 
Der Hochaltar des hübsch gelegenen unter- 
fränkischen Städtchens Lengfurt weist als Altar 
kreuz einen elfenbeinernen Kruzifixus auf, der einer 
näheren Betrachtung wohl wert erscheint. 
Der Hochaltar selbst ist eine Schöpfung Peter 
Wagners im Stile des frühen Klassizismus und 
wurde um 1779 vom Künstler für die alte Julius- 
Spital-Kirche in Würzburg geschaffen. Der Elfen- 
beinkruzifixus gehörte jedoch nicht ursprünglich zu 
dem sehr eleganten Altarbau, den Großherzog 
Ferdinand 1807 um die Summe von 200 Gulden 
an Lengfurt abtral, sondern war bereits 1747 von 
Philipp Anton von Franckenstein der Ge 
meinde Lengfurt geschenkweise überlassen worden. 
(Amrhein Pag. 290.) Franckenstein seinerseits hatte 
das Stück, vermutlich im Erbwege aus dem Besitze 
des Würzburger Fürstbischofs Friedrich Karl von 
Schönborn überkommen, der es, nach dem noch 
vorhandenen Effektenregister aus dem Nachlasse 
des um 1737 verstorbenen Kaiserl. Rates Johann 
Joseph von N euf f aus Wien an sich gebracht hatte. 
In den Akten des fürstbischöflichen Archivs ist ir 
gend ein Hinweis auf Herkunft und Meister des 
Kruzifixus nicht zu finden, auch der Kaufpreis ist 
nicht genannt. Ein Verzeichnis des von Neuffsehen 
Nachlasses war nicht aufzufinden, so daß auch nach 
dieser Richtung hin weitere Nachforschungen nach 
der Provenienz des Werkes scheiterten. 
Die Einfügung des Kruzifixus in den Wagner 
seben Hochaltar dürfte in der Zeit von 1810 bis 1815 
vorgenommen worden sein, nachdem der Kruzifixus 
bis dahin in der Sakristei derselben Pfarrkirche — 
St. Jakobus der Aeltere — in Lengfurt verwahrt 
war. In derselben Zeit dürfte ihm die neue Holz 
fassung gegeben worden sein. 
Die Familie des Kaiserl. Rates Johann Joseph 
von Neuff war in Lengfurt ansässig und Neuff 
dürfte wohl auch dort gestorben sein. Noch heute ist 
ein schöner Fachwerkbau mit einer ebenfalls be 
achtlichen Madonna mit Kind aus dem 18. J, als „von 
Neuff'schen Haus" (Haus Nr. 149) bekannt und von 
Neuff stammt auch die 1728 errichtete Dreifaltig 
keitssäule, auf der er sich als Stifter wie folgt be 
zeichnet: „P. ILLUSTRIS ET PRAENOBILIS DNS 
D. JOHANNES JOSEPHUS NOBILIS DE NEUFF 
SACRI ROMANI IMPERII EQUES SACRAE 
CAESAREAE ET CATHOLICAE MAYESTATIS 
CONSILIARIUS CAMERAE AULICAE ET ZIFFR. 
SECRET INTIMUS". Die Anlage der Dreifaltigkeits 
säule ist eine österreichische Gewohnheit, die Neuff 
so nach Franken übertrug. 
Der Kruzifixus selbst hat eine Gesamthöhe von 
104 cm, der Korpus eine Länge von 42 cm. Am 
Kopfe des Kreuzesstammes ist eine einfache, eben 
falls elfenbeinerne Schrifttafel angebracht, am Fuße 
desselben ein Aufwurf mit Totenschädel, distelarli- 
gen Pflanzengebilden und einer Schlange. Der Kruzi 
fixus stellt den Gekreuzigten im Zustande der To 
tenstarre vor. Die Augen sind gebrochen, der Kiefer 
herabgesunken, die Zunge etwas verdreht im.schrei 
offenen Mund. Das Haar macht den Eindruck des 
Schweißverklebten. Im Todeskampfe hat sich der 
Körper gestreckt, und zwar ergreift diese Streckung 
besonders das rechte Bein, das sich in der Nagel- 
wunde aufgestellt hat, wie man auch an den un 
natürlich gestreckten und gespreizten Fußzehen des 
rechten Fußes und am fast ganz durchgedrückten 
Knie ablesen kann. Ebenso ist die Waden- und 
Oberschenkelmuskulatur sichtlich gestrafft. Bei die 
ser extravaganten Beinstellung wird auch das rechte 
Becken gehoben und fällt, etwas vom Kreuzes 
stamme ab, auf den Beschauer zu. Die linke Becken 
partie sinkt ab, liegt am Kreuzesstamme an, weil 
das linke Bein nicht stützt, sondern locker im Hüft 
gelenk spielt. Das linke Knie ist etwas nach innen 
gedreht und im Gelenk nach vorne durchgefallen 
und sein Fuß „steht" nicht in der Nagelwunde, wie 
der rechte, sondern gewinnt an ihr nur die Stütze 
für sein reines Substanzgewicht, So ist der linke 
Fuß wesentlich entlasteter, neigt mit der Spitze 
weniger spitz und senkrecht bodenwärts, wie rechts, 
wo der Körper in der Wunde steht und seine Zehen 
sind daher weniger gespreizt, Ihr Streckung-szustand 
entspricht etwa dem natürlichen der Leichenstarre, 
Die kleine Wendung der Beckenpartie, wie sie 
durch den Stand des rechten und dem Spiel des lin 
ken Beines zustandekam, bedingt eine dem Schwer 
gewicht entsprechende Nachgiebigkeit der Weich 
teile, die sich nach bildrechts senken und ihrer Ten 
denz folgt der Brustkorb soweit, als es der Zug vom 
rechten Arme her erlaubt. Das Gewicht des Ober 
körpers hängt nun fast ausschließlich am rechten
	        
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