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INTERNATIONALE SAMMLER-ZEITUNG
Nr. 1
zum Meer, die wenigen, die berufen. Wer aber nicht
an der Quelle sich Kraft ertrank, ertrinkt im Meer.
Was hier gleichnishaft gesagt, möge der Inhalt
unserer inneren Einkehr sein. Beginnen wir wieder
in unserem ländlichen oder städtischen Umkreis,
schreiten wir vor zu den kleinen weltlichen Herr
schersitzen und den geistlichen Residenzen, Präla
turen und: Klöstern, die unsere Heimat einst befruch
teten, Sie verdanken ihre Planung weitverzweigten
Verbindungen, deren kulturelle Missionäre sie waren,
und sie vereinigten sich doch mit Land und Land
schaft, deren Boden sie bereiteten zu eigener, edle
rer Frucht,
So ungeheuer wichtig, die stadtbürgerliche Ge
meinschaft immer und stets für das Sammlertum ge
wesen ist, für das reifere und weitere zumal, ebenso
hat aber auch der Verfall der stadtbürgerlichen
Bildung das Sammlertum im Sinne einer ,,Bildungs
arbeit“ verfälscht, die den Sammler vom Erdreich
seines Wachstums entfremdete, ihm den Geschmack
des kräftigen reinen Quells benahm, ihn unvorbe
reitet in das große, ufer- und haltlose Meer „bildungs
mäßiger“ statt „blutsmäßiger“ Wertungen gestoßen,
dessen Wellen den Heimatlosen dahin und dorthin
trieben, wo er Eitelkeiten aber keine Liebe mehr
Cngland erwirbt de
Aus London wird uns berichtet:
Im Unterhaus teilte Ministerpräsident Mac
Donald mit, daß das Britische Museum mit Zu
stimmung der Regierung von der Regierung Sowjet
rußlands den Codex Sinaiticus zum Preise von
1 0 0.0 0 0 Pfund erwerben werde. Die Regierung
werde für jedes Pfund, das durch die öffentliche
Subskription aufgebracht wird, ebenfalls ein Pfund
beisteuern.
Der Codex Sinaiticus stellt mit dem Codex
Vaticanus die beiden ältesten Manuskripte der
griechischen Bibel dar. Der Entdecker des Codex
Sinaiticus ist der sächsische Bibelforscher Konstan
tin Ti s chendo rf, der ihn, wie er selbst erzählt,
im St. Katharinakloster auf dem Berge Sinai unter
den merkwürdigsten Umständen fand.
Als er das erstemal, im Mai 1844, in dieses Klo
ster kam, entdeckte er unter Abfallpapier, das ver
heizt werden sollte, dreiundvierzig Perga
mentblätter mit Texten aus dem Alten Testa
ment, die offenbar aus sehr früher Zeit stammten.
Er durfte diese Blätter behalten, die sich heute noch
in der Universitätsbibliothek in Leipzig befinden.
Seine Fragen nach weiteren Blättern der gleichen
Art machten aber die Mönche so mißtrauisch, daß
sie jede weitere Auskunft verweigerten und er seine
weiteren Forschungen nach alten Bibelmanuskripten
abbrechen mußte. Vergeblich blieb auch eine zweite
Reise im Jahre 1853.
Erst die Intervention des Zaren Alexander II.
von Rußland, des Protektors der griechischen
Kirche, verschaffte ihm die Möglichkeit weiterer
Arbeiten im Katharinenklcster (im Februar 1859).
Am letzten Abend seines Besuches kam er mit dem
Wirtschafter des Klosters in ein Gespräch und zeigte
ihm ein Exemplar der von ihm herausgegebenen
fand.Wenn heute unser Handel vom Meere zurück
kehrt zur Landschaft, die seine Besten und Stillsten
nie verließen, von der verfehlten Utopie des „Inter
nationalen Marktes“ der „internationalisierten
W’erte“ zurückkehrt zum Binnenmarkt, so ist dies
eine Umkehr, die Freude erregt und Hoffnung trägt
dem Sammler. Und er darf dahinter nicht zurück-
stehen.
In diesem Sinne ist der Prozeß, den heute das
Sammlertum erleidet, ein reinigender, eine Abkehr
von falschen Wertungen, von falschen bildungs
mäßigen Idealen, zum Wert, zum Menschlichen, zum
Landschaftlichen. Eine Verinnerlichung, der sich der
Sammelgedanke unterwirft, eine schwere Disziplin,
der er sich unterzieht, um von der verkrampften
Sensationsgier zurückzufinden zur reinen Freude, die
bescheiden wirksam ist, zur Mutter, zur Landschaft,
zum Unkomplizierten, zum urtümlich Einfachen,
aus dem der Sammler unmerklich wird und ent
steht ohne Aufhebens und die Sammlung wächst wie
Baum und Frucht der benachbarten Landschaft.
Einkehr! Umkehr! Rückkehr! — Ein Mahnruf
an alle, die sich verantwortlich fühlen für Volk und
Sammlertum.
Codex Sinaiticus.
Septuaginta. Da bemerkte der Wirtschafter, daß er
ein ähnliches Exemplar der Heiligen Schrift habe
und brachte ihm in einer Serviette eingehüllt, eine
Masse loser Perg amentblätter. Ein Blick
zeigte dem erstaunten Gelehrten, daß er das lange
gesuchte Manuskript vor sich hatte. Da er es im
Kloster nicht bearbeiten konnte, wandte er sich
wieder an den Zaren, dem die Mönche diese kost
baren Blätter, den Codex Sinaiticus, für ein Geschenk
im Werte von 9000 Rubel überließen. So kam das
Manuskript in die Kaiserliche Bibliothek nach Pe
tersburg.
Die Blätter, von feinem Pergament, messen 15
mal 13V‘z Zoll. Der Text ist, mit Ausnahme der
Bücher des Alten Testaments, auf jeder Seite in vier
Spalten angeordnet. Wie alle alten Manuskripte hat
auch dieses, dessen Ursprung ins vierte Jahrhundert
verlegt wird, keine Ornamente. Seine außerordent
liche Schönheit liegt in der wundervollen Schrift.
Vier Schreiber müssen am Werk gewesen sein. Das
Neue Testament aber ist von einem einzigen ge
schrieben worden. Der Codex Sinaiticus enthält das
komplette Neue Testament mit den Brie
fen von Barnabas und einem Teil des „Hirten“ von
Hermas, zusammen 148 Blätter. Vom Alten Te
stament sind 99 Blätter vorhanden, von denen
sich 43 in Leipzig befinden. Diese letzteren enthal
ten Teile der Chronik, ferner der Bücher Esra,
Esther, Tobias, Jeremias und der Klagelieder. Die
Petersburger Blätter, die also jetzt von London an
gekauft werden sollen, enthalten kleine Fragmente
aus Genesis und Numeri, den Rest der Bücher von
Tobias und Jeremias, das ganze Buch Judith, Je-
saias, die kleinen Propheten (mit Ausnahme von
Hoseah, Arnos und Micha), ferner zwei Bücher
Makkabäer.