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INTERNATIONALE SAMMLER-ZEITUNG
Nr. 14
großer Anzahl auch im Museumsbesitz und in den
darauf eingestellten Privatsammlunigen anzutreffen.
Ihr künstlerischer Wert allerdings ist in den selten
sten Fällen bedeutend. Doch ist, wie bei den Amu
lettringen, ihr Sammlerwert ein unverhältnismäßig
bedeutender.
Zahlreicher noch dem Vorkommen nach, aber
meist nicht ihrer wahren Bedeutung nach gewürdigt,
sind die Amulette des 16. und 17. Jahrhunderts. Es
sind in Metall gefaßte oder auch nur mit Oesen ver
sehene Gegenstände unendlich mannigfacher Art. Als
Fassungsmaterial kommt — aus magischen Gründen
— meistens Blei und Silber vor, andere Metalle sind
außer Zinn (selten!) nicht verwendet. Die betreffen
den Gegenstände sind vornehmliclh; Maulwurfpföt
chen, Meerbohnen, Krebsaugen, Muskatnüsse (sehr
häufig!), Bergkristalle, Karneol, Lazur-, Kröten- und
Bezoarsteine, Nephrit und Wolfshauer.
Die Maulwurfspfötchen, die das Zusammen
scharren so trefflich verstehen, sollen Reichtum brin
gen, aber auch den Besitz erhalten und in diesem
Sinne ist ihre medizinische Verwendung gegen Kräfte
zerfall, Auszehrung und andere die körperliche Sub
stanz beeinträchtigende Erkrankungen. (Vorkommen
vornehmlich Mitteldeutschland.) Die Meerbohne, der
Deckel der Mondschnecke, erinnert seiner Form
nach an den menschlichen Nabel und nach der be
rüchtigten Lehre von den Signaturen, nach der die
Natur in der Form ihrer Schöpfungen anzeigen soll,
zu welchen Heilzwecken sie gebraucht werden kön
nen, sollen sie gegen Baüchgrimmen, Nabelbrüche,
Unterleibskrebs usw. helfen, (Norddeutscher Be
zirk,) Die Krebsaugen, jene kleinen 1 Kalkscheibchen,
welche bei der Häutung und Neubildung der Krebse
ihre natürliche Aufgabe haben, beweisen nach der
gleichen Signaturenlehre, daß sie geradewegs zur
Heilung aller Augenleiden geschaffen sind und wer
den als solche amulettisch verwertet. (Mittel- und
Nordeuropa.)
Ein häufiges Pestamulett ist die Muskatnuß, Ihr
spezifischer Geruch mag den Glauben erweckt haben,
daß sie vor Pest und Seuchen aller Art schütze, zu
mal die Geruchsstofftherapie gegen Pest- und Seu
chenerkrankungen ja eine allverbreitete war. Die
oft wirklich reich und seltsam gefaßte Muskatnuß ist
daher ein über die ganze europäische und orientali
sche Welt verbreitetes Amulett. Bei ihr allein kenne
ich Fassungsformen reiner Schmuckgebrauchsform
und sie allein von allen Amuletten ist mir bisher in
Goldfassung und Edersteinverzierung bekannt gewor
den, ein Beweis, daß sie zum .Schmuck diente, wie
z. B, die Bisamkugel, in der sie oft genug verwahrt
worden sein mag.
Insbesondere im Osten Deutschlands, auf dem
Balkan und in Rußland tritt uns der blei- oder silber
gefaßte rechte äußere Eckzahn des Wolfes entgegen,
der den Kindern das Zahnen und wohl auch den Er
wachsenen das Zahnverlieren erleichtern sollte, Auch
hier scheint die Signaturenlehre ihr Wort gesprochen
zu haben. Auch in den zentraler gelegenen deutschen
Waldgebieten, wie im deutschen, österreichischen und
tirolisdh-italienischen Alpgebiet finden wir das Wolf
zahnamulett vor, an diesen Stellen aber nur verein
zelt gegen die in gleichem Sinne angewendete Veil-
chenwurzel, die der Volksmedizin seit alters ange
hört und nicht auf Grund der Signaturenlehre eruiert
wurde. An deren Stelle tritt in der Fränkischen und
Sächsischen Schweiz ein Belemnit, ein stark bitumi
nöser Petrefakt einer vorweltlichen Tintenfischart,
der außerdem auch gegen Blitzschlag und dessen
Folgen Schutz gewähren sollte, (Signaturenlehre!)
Sehr schöne und' interesisant gefaßte Wolfszähne ent
hält z. B. die Amulettsammlung des Germ, Nat. Mu
seums in Nürnberg.
Die Edelsteinmagie ist uralt, hat jedoch
in Deutschland nie die überragende Stelle eingenom
men, wie in den Völkern der edelsteinreicheren
Orientländer, Immerhin treffen wir besonders in den
Gebieten hauptsächlich der mittelalterlichen Reichs
städte und Handelsplätze zahlreiche Edel- und Halb-
edelsteinam.ulette an. So besonders oft den Nephrit
oder grünen Jaspis in mancherlei Fassungsformen,
teils ausgesprochenen Schmuckcharakters so getra
gen, wie z. B, heute die aus astrologischen Gründen
wieder modernen Monatssteine. Damals hatten sie
ausgesprochenen Amulettsinn, So wurde insbeson
dere der Nephrit — grüner Jaspis — von Frauen am
Halse oder Oberschenkel getragen, als sicheres Amu
lett zur Erlangung einer leichten, glücklichen und
anstandslosen Geburt. Meist wird der Stein in herz
förmiger Gestalt getragen und spielt gleichzeitig als
Liebeszauber des Mittelalters seine gewisse Rolle.
Der Bergkristall endlich, in allen Formen und
Fassungen vorkommend, fand gegen Augengeschwü
re, Augenschwäche, Drüsengeschwüre und Ge
schwülste, Skrofeln, Kropf-, Herz-, Magen- und
Leberschmerzen Anwendung, Nicht zu den Amulet
ten zu zählen sind aber die auffallend großen Kri
stallstücke. Diese dienten vielmehr der Kristallo-
mantie, der Wahrsagung aus dem Kristall, die ja
heute noch verbreitet ist. Solche Stücke im Germ,
Nat. Museum in Nürnberg, im Louvre, der sie be
zeichnenderweise in der Reihe der mag, Spiegel
verwahrt und in der ehern, Sammlung Schrenk-
Notzing,
Als amulettiscbe Zeichen auf allen nur erdenk
lichen Gebrauchsgegenständen, Schmuckformen und
Kleidungsstücken vorkommend — zuweilen, beson
ders im Barock kaschiert — gelten die Pentaigram-
mata, der Fünfwinkel, der Drudenfuß und die ver
schiedenen Triangelkonstruktionen, Sie fanden auch
in der sog. Passauer Kunst Verwendung, sind in glei
chem Sinne der Hieb- und Stichfestmachung beson
ders auf Waffen des 30jährigen Krieges oft mehr oder
minder versteckt angebracht zu finden, und wurden
sicher auch häufig auf Papier- und Pergamentstreifen
geschrieben, in metallnen Hülsen verwahrt, getragen.
Einige Hülsen in verschiedenen Museen, die mit
Oesen zur Anbringung des Tragbändchens versehen
sind, ohne daß man sich über ihren Zweck und ihre
Verwendung im klaren wäre, sind' wohl hierher zu
rechnen.
Gleicherweise Verwendung fand das Wort Abra
kadabra und dessen Verschleißformen Abraculta,
Abraxabra usw., das schon Serenius Samonicus 200
n. Chr, als Amulettwort erwähnt, und das gegen
Wechsel-, Sumpf- und Faulfieber schützen sollte. Es
gibt Bleitäfeichen, auf denen das Wort, jeweils unter
Weglassung eines Buchstabens, pyramidenförmilg
aufgeschrieben steht.
Aus dem Orient nach Rom gekommen mit der
Einführung der orientalischen Kulte, nach Europa ein
zweites Mal durch die Kreuzritter verpflanzt und
doch nie recht heimisch geworden sind die Augen
amulette verschiedener Form und Aufmachung, die,
später als Auge Gottes gedeutet, das über den Trä-