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INTERNATIONALE SAMMLER-ZEITUNG
Nr. 17/18
der Madonna der Sammlung Fischer einen negativen
Weg (per exklusionem) einhalten. Das Personenver
zeichnis plastischer Künstler in österreichischen Lan
den am Ende der Spätgotik ist ein relativ großes.
Wenn wir alle diese Meister, welche die Wissenschaft
bisher feststellte, vorübergleiten lassen, sowohl die
einheimischen, als die zahlreichen oberdeutschen Gäste
welche auch bei uns arbeiteten, so läßt sich die Ma
donna keinem der so verschiedenen Temperamente,
keinem Formenkanon irgend eines dieser Meister ein
gliedern. Ganz anders wird das Bild aber, so wie
wir uns dem Schnitzwerke der bezeugten Pacher-
Dinge nähern: wir müssen uns vergegenwärtigen,
daß zunächst die Figur nicht wie es älterer Be
trachtung schien, einer Marienkrönung angehört ha
ben kann. Die Krone scheidet als moderne Ergänzung,
sichtlich nach dem Wolfgang-Altar gemacht, aus.
Fig. 1. Michael Pacher, Lebensgroße Sclireinstatue.
Das Kopftuch allein beweist, daß die Madonna eben
keine Krone trug, daß sie, nicht-in Festkleidung,
sondern gleichsam in bürgerlichem Gewände darge
stellt war. Auch die Säume des Gewandes sind ein
fach und ohne Zier. Es ist eben jene Darstellung,
wie Maria knieend das Christkindlein anbetet.
Aus dieser Erwägung folgt zunächst ganz eindeu
tig die Rekonstruktion der heute fehlenden Falten
teile, welche rechts und links die heute länglich
hoch gerichtete Figur zu einem Dreieck ergänztet.
Das Bildganze ist uns ja aus derselben gemalten
Darstellung im Wolfgang-Altare recht einleuchtend.
Das Profil der Madonna und die Gesichtsform steht
genau in der Mitte zwischen der knieenden Madonna
des Grieser-Alrares.. und der des Wolfgang-Altares.
Die energisch gewölbten Buckel des älteren Gesich-
I tes sind zuliebe einer Gesamtwirkung etwas ver
flacht. Das Gesicht ist der vollendete Ausdruck jenes
spätgotischen weiblichen Schönheitsideales, welches
später von Riemenschneider aus seiner klassischen
Form in eine schmälere, weit elegisch und manierier
tere Form abgewandelt wurde. Pacher selbst hat
erst später noch eine dritte Form, die der vorge
schrittenen Zeit entsprechen mußte, angewendet: bei
der Madonna der Franziskaner (Salzburger Pfarr
kirche) ist an Stelle des feinen Ovales eine Summe
von energischen, horizontalen Querlinien eingetreten.
Gleichsam ein öpus quadratum, wie es dem neuen
Formenkanon des herannahenden 16. Jahrhunderts
entsprach, der gleiche Weg, der auch in den ein
fachsten Dingen, etwa von den Schnabelschuhen zu
den Kuhmäulern, führte. Es ist ein alter Grundsatz,
daß die Qualität gotischer Plastik auch bei weit
gehend zerstörten Stücken auf die--einfachste Weise
aus der Sorgfalt der Unterscheidungen abzulesen ist.
Die Schnitzer der Provinz, oder von Stücken an
nebensächlichen Stellen, haben sich erst gar nicht
die Mühe genommen, einzelne Locken, Faltenteile
oder dergleichen so herauszuhöhlen, daß sie fast
frei stehen. Man hat diese mühsamen Mittel ebenso
wie in der spätgotischen Architektur nur für be
sondere Teile oder besonders sorgfältige Stücke Vor
behalten.
Charakteristisch sind an unserer Madonna die
weitgehend unterschnittenen Haare, von denen aller
dings einige wenige und leicht zu ergänzende Lok
ken abgestoßen werden. Die Pacher-Werkstatt hat
um der stets gewünschten Abwechslung willen meh
rere Formen für solche Locken geübt, also: bandför
mige, wie an unserem Stück, oder kannelierte Locken,
wie an mehreren Mittel Figuren des Wolfganger-Schrei-
nes. Die Art der Locken an der Madonna der Samm
lung Fischer entspricht der eines Ritterheiligen in
St. Wolfgang. Die Tatsache, daß ein so bedeutender
Schrein, wie er unserer Madonna entspricht, urkund
lich zunächst nicht faßbar ist, spricht noch immer
nicht gegen seine Existenzmöglichkeit. Wer hätte
vor zehn Jahren geahnt, daß man von dem Hochaltar
des Stefansdomes von 1334, einem Werk von etwa
zehn Meter Spannweite, noch so viele Teile finden
würde.
Es ist zu wünschen, daß dieses so wichtige
Stück österreichischer Plastik seihen Weg in eine
private oder öffentliche österreichische Sammlung
nehmen möge.
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Außer der Paclicrschen Madonna enthält die
Sammlung Fischer noch eine Reihe hervorragender
Skulpturen. Wir nennen: Eine Holzstatue, Maria mit
dem Kinde, stehend auf der Mondsichel dargestellt,