Internationale
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde
Herausgebers Norbert Ehrlich
29. Jahrgang 1. Mai 1938 Nr. 9
Der Domschatj von Reims.
In den ersten Julitagen wird in Reims die nun
mehr völlig wiederhergestellte Kathedrale unter gro
ßen nationalen Feierlichkeiten „der .Nation zurück
gegeben". Eben wird in Paris der reiche Dom
schatz der Kathedrale ausgestellt, der während des
Krieges nach der Hauptstadt geschafft worden war
und im nächsten Monat nach Reims zurückgebracht
werden soll; einzelne Stücke davon konnte man bereits
auf der Weltausstellung im Palast für französische
Kunst bewundern.
Es sind wundervolle Meisterwerke der alten Gold
schmiedekunst, Werke von seltener Schönheit. Eines
der kostbarsten und künstlerisch wertvollsten ist der
Sogenannte ,.Kelch des heiligen Remigius“,
der in Wirklichkeit aus dem 12. Jahrhundert stammt,
also aus dem Ende der romanischen Periode; mit dem
Bischof von Reims, der den Frankenkönig Chlodwig
salbte und taufte, kann er also nichts zu tun haben.
Er. ist von einem unbekannten Künstler im hohen
Mittelalter geschaffen worden, um ein heiliges Ge
fäß zu ersetzen, das der heilige Remigius im 6. Jahr
hundert der Kathedrale von Reims geschenkt hatte.
Dieser Remigiuskelch hat bei allen Weihen der fran
zösischen Könige in Reims gedient; ein prachtvolles
Werk, in seiner Breite eher einem Ziborium ähn
lich als einem Messekelch mit herrlichen Emailar
beiten verziert, mit Filigran und Edelsteinen, Sma
ragden, Saphiren, Granaten und Achaten geschmückt.
In der Zeit der großen Revolution wurde er aus
dem Domschatz entfernt und in einem Pariser Mu
seum ausgestellt; Kaiser Napoleon ließ ihn wie
der nach Reims zurückbringen.
Aus derselben Periode stammt ein großer El
fenbeinkamm, aus einem Stück gefertigt, der
auf der einen Seite 50 größere, auf der andern Seite
100 kleine Zähne hat; nach der Ueberlieferung soll
er dem heiligen Bernhard von Clairvaux zum tägli
chen Gebrauch gedient haben. Ein seltsames, kunst
reiches Stück ist das sogenannte „Schiff der hei
ligen Ursula“. Es hat die Form eines von einem
Mauerring umgebenen Schiffes mit einem Mast, der
von Engelsfigürchen überragt wird; der Schiffskör
per selbst besteht aus Karneol, einer seltenen Abart
des Chalzedons. Im Schiffsrumpf stehen i r heilige
Frauen, die 1 1.000 Jungfrauen versinnbildcnd, die
nach der Legende mit der heiligen Ursula in der
Stadt Köln von den Hunnen getötet wurden. Sechs
dieser Jungfrauen sind aus Gold, fünf aus Silber.
Die heilige Ursula, von der das Schiff eine Reliquie
enthält, ist wie eine Königin gekleidet, in einem Man
tel aus goldenem und rotem Email, mit Hermelin
verbrämt, auf dem Haupt ein Diadem, in der Hand
ein Banner. Es ist eine Arbeit der französischen
Renaissance des 16. Jahrhunderts; König Heinrich
III. schenkte es dem Rcimser Domschatz.
Eine der spätesten, doch künstlerisch noch recht
bedeutenden Arbeiten ist das Reliquar, das dem
Kirchenschatz erst vor 120 Jahren, bei der Krö
nung des Königs Karl X., einverleibt wurde. Man
nennt es auch das Reliquar des heiligen Salbfläsch
chens, obschon es die uralte Ampulle, aus der bis
zur Revolution die französischen Könige gesalbt wur
den, nicht mehr enthält. Die alte Ampulle, von der
die Legende erzählt, sie sei am Tage der Taufe
des Frankenkönigs Chlodwig vom Himmel ge
sandt w orden, ist von den Sanskulotten in Stücke
geschlagen worden, weil sie angeblich für das
Heil der Revolution gefährlich war. Ehe man
sie jedoch aus der dem heiligen Remigius geweih
ten Kirche rauhte, hatten fromme Hände einen Teil
des rötlichen, schon ein wenig eingetrockneten Bal
sams aus dem kristallenen Fläschchen retten können.
Dieser Rest des heiligen Salbungsöls ist dann mit
ein paar Scherben des alten Kristallfläschchens in
das neue Reliquar aufgenommen worden. Es ist ein
auf breitem Sockel auf steigender Schrein, mit Re
liefs verziert, die Taufe Chlodwigs und die Salbung
des Königs Ludwig XIV. darstellend, geschmückt
mit dem Wappen der Stadt Reims, des Domkapitels,
des Papstes Pius VII. und Frankreichs.
Der letzte der Bourbonen muß - großes Vertrauen
in den Fortbestand der Dynastie gehabt haben, denn
er hat noch einige Medaillons leer gelassen, damit
die Bilder seiner Nachkommen darin eingraviert wer
den könnten. Doch war Karl X. der letzte Monarch,
der in Reims gesalbt wurde; der Bürgerkönig Louis
Philippe wie der Kaiser Napoleon der Dritte
verzichteten auf diese Weihe, die ihnen wohl allzu
„bourbonisch“ erscheinen mochte. Uebrigens befindet
sich heute in dem 25 Pfund schweren Reliquar
kein geweihtes Oel mehr, das der Königssalbung
dienen könnte. Als in Frankreich die Trennung von
Kirche und Staat ausgesprochen wurde, hat man die
letzten Tropfen daraus entfernt; man fürchtete die
Ueberführung des Reliquars in ein staatliches Mu
seum. Anläßlich der vor ein paar Monaten erfolgten