^VER SACRUM.
Buchschmuck für
Namen gewechselt seit 1841, da Meister Rudolf jenes Haus
bezog und sich darin an jenen einfachen, schwarz ge
strichenen Holztisch setzte, an dem er sich seither unsterb
lich gearbeitet. Sechsundfünfzig Jahre in einem Haus, an
einem Tisch, und dabei jung, wie nur ein solcher Alt
wiener jung sein kann, noch mit 85 Jahren . . . So, da bin
ich in der Skodagasse. Unwillkürlich trete ich mit einer
gewissen Schonung auf die Pflastersteine. Es ist sein Lieb
lingspflaster, auf das er oft niederblickt, und vor ein paar
Jahren hat er es ja sogar gemalt, aus der hohen Vogelschau
seines zweiten Stockes, wie es schief bergabstreicht der
Alserstrasse zu, Stein an Stein in unregelmässigen Reihen,
die sich bald drängen, bald lockern, bald ineinander fliessen,
wie Strähne eines Zopfes. Unglaublich, was für eine Be
wegung in so einem starren Strassenpflaster ist. „Mir war’s
nur,“ sagt der alte Herr, „ob ich's auch recht herausbring',
dass die Gassen abwärts geht.“ Ja, sie geht abwärts, zum
Radschuheinlegen abwärts. Dafür ist man ja Rudolf Alt,
der grosse Perspectiviker wider Willen. Und mit eins fallen
mir eine Menge perspectivische Sachen von ihm ein, wie
die Treppenhalle des Belvederes und die Hofarcaden des
Palais Porcia in Spital an der Drau, und jene Salzburger
Kirche mit der einzelnen Säule in der Mitte ihrer gothischen
Halle, und das alte Rathhaus in der Wipplingerstrasse,
deren Enge die ganze Facade in ein förmliches System
von lauter kühnen Diagonallinien verwandelt, und so fort
in die Hunderte. Und ich dachte mir, wie schön es doch
sei, ein Ding, wie die Perspective, das Unzählige zeitlebens
mit allen Linealen und Wfnkelmaassen nicht zusammen
bringen, so von selbst im Handgelenk zu haben, wie an
geboren . . . Und dann fiel mir plötzlich ein, ob nicht am
Ende Freitag wäre und ich ihn gar nicht daheim träfe.
Denn am Freitag, da ist's für ihn Sonntag, da geht er in
die Kochgasse, in den Anzengruber-Club beim goldenen
Löwen, wo er Obmann ist und nicht fehlen kann, selbst
bei Glatteis. Eine gemüthliche Gemeinschaft das, wo ver
schiedene gute Launen aufeinander treffen, und die des
alten Herrn ist nicht die schlechteste. „Geh', Alt, mach
einen Witz!“ so geht ja im achten Bezirk eine ständige
Redensart seit Olims Zeiten, und Meister Rudolf ist noch
nie einen Witz schuldig geblieben. .
So, . . . ist es auch Nr. 18? Richtig. Gegenüber der
Mauer, die den grossen Werkplatz abschliesst, den mit er
feurigen Schmiedeesse und dem vielen eisernen Gerümpel,
das so schön gelb und braun verrostet ist, dass der ünst er
vor zwei Jahren gar nicht umhin konnte, es vom Fenster
aus zu malen. Das war jenes unglaubliche Bildchen voll
krausen Einzelzeugs, aber auch herrlich an malerischem
Ton, das ihm die „Jungen“ an der Wand der Kunst
ausstellung mit einem Lorbeerkranz bekränzten, vor eitel
staunender Begeisterung, Der Kranz hängt immer noch
in seiner Arbeitsstube; so einen hat noch keine Prima
donna gekriegt.
Und da sitzt er nun in dieser Stube, die wirklich
nur eine Stube ist, wie von anno dazumal her. Er er
hebt sich aus seinem alten, grünsammtenen Lehnstuhl,
ganz stramm und stattlich in seinem braunen Röcklein,
und reicht mir die Hand, die gewisse, mit jenem Hand
gelenk. Ihr Druck vibriert. . . oder zittert sie, wie beim
Schreiben, wenn er jene merkwürdigen Krähenfüsse zu
Papier gibt, die heute seine wacklige Kalligraphie bilden ?
In der nächsten Minute wird er den Pinsel ergreifen und
ein Stück altes Salzburg auf den grossen Whatman-Bogen
hinstenographieren, fest und sicher wie ein Jüngling, Reihen
von Dächern, Reihen von Fenstern, Reihen von Scheiben,
und einen Wirrwarr von Fels und Strauch darüber, und ein
Getümmel von Menschen und Fuhrwerk dazwischen, . . .
und da wird jeder Strich sitzen und jeder Klecks sein
Gesicht haben. Da liegt just so ein grosses Salzburg auf
dem Reissbrett, vom letzten Sommer her; wie er's vom
„Hotel Schiff“ aus aufgenommen, sammt der Brücke voll
Menschen. Bei Gott, seine Staffage ist jetzt besser als in
jungen Jahren. Ein meterbreites Blatt, voll Sachen und
wieder Sachen; selbstverständlich gestückelt, denn er ist
ein grosser „Stückler“ vor dem Herrn, weil er gar so ein
Vielseher ist und das Papier ihm alleweil zu klein und
zu eng wird für die „Fülle der Gesichte“, die ihm aus
der Natur Zuströmen. Nicht einmal aufgespannt ist das
Blatt; er schreibt so daran weiter, als notiere er Reise
erinnerungen auf gewöhnlichem Schreibpapier, bis alle
Lücken gefüllt sind und der Text steht. Mehrere solche
Blätter liegen so übereinander, „auf'm G'sicht“, wie sie
fertig geworden sind oder noch fertiger werden. Das Glas
Malwasser, das daneben steht, sieht schon aus wie Limonade.
Und neben dem Glas steht ein sogenannter Zündstein;
ich habe mein Lebtag keinen so grossen gesehen, aber er
kann nicht ohne den sein, denn er zündet sich in einem-
fort seine Virginia an, bloss damit sie wieder ausgehen kann.
Wie der kleine Feuerschein des Zündhölzchens über sein
gesundes Antlitz flackert, leuchtet das Weiss des Haupt-
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