DIE JUBILÄUMS - AUSSTEL
LUNG IN WIEN 1898.
ALFRED ROLLER.
Gemaltes Velumornament
aus dem Ausstellungsräume
der Militär-Tuchfabriken.
A lles Neue, Ungewohnte, Verblüffende wird hierzu
lande von einem grossen Theile der Bevölkerung
unangenehm empfunden, die Zumuthung, Stellung
zu nehmen, sich durch eigenes Nachdenken ein Urtheil
zu bilden, als muthwillige Erschwerung des Daseins be
trachtet und abgelehnt. Im heurigen Vorfrühling, als die
Ausstellungsbauten im Prater aus dem Boden wuchsen,
bemerkte man, dass einzelne ihrer Erbauer versucht hatten,
für die neuen Zwecke auch neue Ausdrucksformen zu
finden, dass manche der im Entstehen begriffenen Aus
stellungspavillons weder einem Schloss, noch einer Burg,
noch einem Palast, noch einer Hütte oder einem Tempel
ähnlich seien. Rathlosigkeit und Unbehagen waren die
Folge. Damals fand die erste Kunst-Ausstellung unserer
Vereinigung statt: die „Secessions-Ausstellung“, wie man
kurz sagte. Auch hier stand das Publicum vor so vielem
Neuen, ihm zunächst Unverständlichen. Und da dauerte
es nicht lange, bis das erlösende Schlagwort für die Unver
ständlichkeiten im Prater unten gefunden war: „Die Aus
stellung im Prater ist im Secessionsstile gebaut“, sagte der
„gebildete“ Bürger, und seit er einen Namen für die Sache
wusste, seit er vor derselben nicht mehr in Verlegenheit
zu gerathen brauchte, acceptierte er sie selbst auch viel
leichter. Alles was neu war und aus der Art schlug, einerlei
ob in gutem oder schlechtem Sinne, wurde nun mit grosser
Gemüthsruhe als „secessionistisch“ bezeichnet. Hätte man
damals einen grün und blau carriert angestrichenen Hund
auf die Strasse gejagt — alle dieVielen, welche durch den
Verschleiss bequemer Schlagworte eine Führerrolle zu
spielen trachten, hätten mit vollstem Gleichmuthe den
Naiveren die Erklärung gegeben: „einfach ein secessio-
nistischer Hund“.
Natürlich stellten sie sich dabei unter „Secessionis-
mus“ nichts recht Klares vor, stritten aber zur Abwechs
lung über die Berechtigung des „secessionistischen Stiles“.
Eine unglaubliche Wortverbindung! Wo secessionistische
Bestrebungen — wenn das hässliche Wort schon Bürger
recht erwerben soll — zutage traten, bestanden sie immer
in der Auflehnung gegen die Convention, in dem Verlan
gen nach Individualität, in der Suche nach der „eingebore
nen Form“ (wie Levetzow so trefflich sagt) im Gegensätze
zur erlogenen, aufgepfropften, anderswoher genommenen
Form. Und dieses ganze Streben: „Weg von der ausge
borgten Stilform!“ sollte selbst wieder ein „Stil“ genannt
werden dürfen ?
Und noch etwas sehr Böses hatte die gedankenlose
Verwendung dieses Schlagwortes im Gefolge. Seit alle
diese Neuerscheinungen einen Collectivnamen hatten,
glaubte das Publicum ebenso achtlos an ihnen vorübergehen
zu dürfen, wie es an den, endlich langweilig gewordenen,
ewigen Umprägungen der alten Formen, welche die zu
nächst vorhergegangene Zeit beherrscht hatten, vorüber
zugehen sich nach und nach angewöhnt hatte. Gerade
aber in Zeiten des Werdens, des Entstehens neuer Formen
sprachen wird es am häufigsten Vorkommen, dass sich
gewissenlose Speculanten unter die ehrlich Arbeitenden
mengen, denselben Äusserlichkeiten des Handwerks ab-
sehen und durch die womöglich recht übertriebene Anwen
dung derselben sich als kraftgenialische Mitschaffer am
Werke der Moderne aufzuspielen trachten werden. Wer
nicht genau hinsieht, wird dadurch über den Gang und das
Ziel der Bewegung desorientiert. Also weg mit allem ver
trauensseligen Gebrauch von Schlagworten! ES Gl
KEINEN „SECESSIONISTISCHEN STIL“. Das ist
die Sache. Sondern es kommt nur heutzutage häufiger
als in früheren Zeiten vor, dass es Künstler wagen, ihre
eigene Sprache zu sprechen* Die grosse Menge derer, die
es nicht lassen können, ihre Töpfchen an fremden Feuern
zu wärmen, zählt nicht mit.
„Sitzt ihr nur immer! Leimt zusammen,
Braut ein Ragout von andrer Schmaus,
Und blast die kümmerlichen Flammen
Zu eurem Aschenhäufchen ’raus!
Bewunderung von Kindern und Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen steht;
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
Wenn es euch nicht von Herzen geht!“
Im vorliegenden Hefte bringen wir einige
düngen bemerkenswerterer Objecte der Ausstellung. ^