VER SACRUM, :VEF
Decoratlver
Entwurf v.
Adolf Böhm
geleitet, weil ihr Lebens
inhalt ein Theil des Zeit
inhaltes ist. Und so hört bis
zu einem gewissen Grade
das Suchende, Schweifende
der Übergangsperioden auf,
aber durchaus nicht die Be-
thätigung der Individualität.
Nicht nur, dass der Stil dem
Persönlichen noch Raum
genug lässt, dass er die Note
des Persönlichen sehr wohl
verträgt und durch sie einen
neuen Reiz gewinnt, er for
dert geradezu die Persön
lichkeit heraus, dass sie mit
ihm ringe, ihn ganz in sich
verarbeite, d. h. die Lebens
bedingungen der Zeit, und dann erhebe. Dann wird um
gekehrt der Stil auch Träger der Persönlichkeit. Die
starke Persönlichkeit führt den Stil weiter, und reicht
ihre Kraft, bringt sie ihn zur Reife. Der geniale Künstler
einer Stilperiode beantwortet alle Fragen, löst alle Räthsel
und füllt alle Lücken aus, die ihm seine Vorgänger ge
lassen. Er knüpft ja freilich selbst wieder neue Fäden an.
Wie gesagt, die Grenzen des Stils sind einzig die Gren
zen der Lebensverhältnisse, deren Ausdruck er ist, und
was vorhin für den KunstlNHALT galt, gilt jetzt auch
für die Persönlichkeit, — das ist zugleich seine Weite!
Darum heisst’s für den Künstler: alles Leben erfassen, in
alle Tiefen steigen, alles in sich durchleben und das „Wesent-
liche“, d. h. das Ewige, — vom Menschen alles Mensch
liche, vom Leben alle Triebkräfte in sich pulsen zu lassen.
Man sehe sich Richard Wagner an, Goethe, Shakespeare
und Dante. Man gehe all die gewaltigen, umfassenden
Individualitäten durch, von den alten Griechen bis auf
Arnold Böcklin und Richard Dehmel, ob sie Erfüller waren
oder Anreger, in allen ist der gleiche Trieb, und darum ist
in ihren Lebenswegen innerlich diese merkwürdige Wieder
holung und dieser Parallelismus, den das Akibawort mit
dem Spielraum der Modificierung so einfach bezeichnet.
Und wenn Wagner sagen durfte, dass das Volk eine neue
Kunst habe, wenn es nur wolle, so hat er dieses Wort wohl
im stolzen Gefühle dessen, was er geleistet, gesprochen;
aber es hatte wohl seine Quelle in dem klaren Bewusstsein,
was er in sich d urchlebt, und dass er nach allen Bedürfnissen
seiner Zeit gerungen hatte. Man sehe seinen Lebensgang.
Und das ist ja immer das Versöhnliche im Schicksal des
Künstlers, dass es ihm die Sehnsucht schafft und die Lebens
tiefen erschliesst. Ist eine logisch aus der Zeit entwickelte
Kunst gleich Caviar fürs Volk, — ich wage doch zu sagen:
Zukunftskunst allein ist nur die wahre Volkskunst! Damit
ist aber eine schwere Forderung an die Künstler gestellt.
Aber mit der Weite ihres
Zieles muss ihr Willen wach
sen und ihre Kraft. Darum
auch, mein' ich, stellte Her
mann Bahr seinen „lieben
Freunden“ von der „Ver
einigung“ die Forderung:
österreichisch macht mir das,
wienerisch! D as Individuelle
erhält Richtung, diese Rich
tung weist zum Stil: „Dann
wird eine schöne Zeit kom
men, eine Zeit der Ruhe und
der reinen Kunst“.
Es bleibt mir, zur Auf
klärung, von einem zu reden
übrig. Haben wir denn wirk
lich keinen Stil? Einen „mo
dernen“ Stil? Und jetzt in Wien einen „secessionistischen“
Stil gar ? Ja — und nein! Stil in diesem weiten culturellen
Sinne haben wir nicht. Aber wir haben STILE im persön
lichen Sinne.
Ich berufe mich noch einmal auf Goethe.
Er spricht von der Nachahmung der Natur, etwa
von Rosen. Wer die nachbildet, wird bald die feinsten
kennen lernen und sie von allen Rosen des Sommers
WÄHLEN. Und er wird die besten und auffallendsten
Eigenschaften der Gegenstände, die er sich vornimmt,
immer wieder und wieder veranschaulichen und sich for
mellen Ausdruck dafür suchen. Er wird ihr ganzes Dasein
und ihre Entwickelung studieren. „Er wird alsdann nicht
bloss durch die Wahl aus den Erscheinungen seinen Ge
schmack zeigen, sondern er wird uns durch eine richtige
Darstellung der Eigenschaften zugleich in Verwendung
setzen und belehren. In DIESEM SINNE würde man sagen
können, er habe sich einen STIL gebildet.“ Was hier Stil
genannt wird und auch im landläufigen Sinne so verstanden
wird, — (es ist das le style c'est l'homme, welche Wahrheit
in unserem Sinne und für unsere Kunst geradezu eineFor-
derung wird!) —besonders wenn noch ein Zunutzemachen
neuer „moderner“ Ausdrucksmittel dazu käme, und, da
wir immer Ehrlichkeit in der Kunst fordern müssen, ein
die Form wirklich erfüllendes lebendiges Empfinden einer
modernen Persönlichkeit, würde man besser Art oder
MANIER nennen. Aber Manier im guten Sinne, wohl zu
unterscheiden von Manierismus. Manier wird hier in einem
„hohen und respectablen Sinne“ gebraucht. Mit ihr stehen
wir an der Schwelle des Heiligthums, das im eigentlichen
Sinne STIL heisst. Sie steht, wie auch Goethe ausführt,
„zwischen der einfachen Nachahmung — (ich unterschiebe
dieser Bezeichnung schon einen künstlerischen Sinn) un
dem Stil“. Und er fährtfort: „Je mehr sie bei ihrer leichteren
Methode sich der treuen Nachahmung nähert — (Naturalis-