VER SACRUM.
I. ACT.
Auf dem Gipfel (Ygraine tritt, Tintagiles an der Hand führend, auf.)
das Schloss' be- Ygr aine: Die erste Nacht wird schlecht sein, Tinta-
herrseht, giles. Das Meer brüllt schon rings um uns und die Bäume
klagen. Es ist spät. Der Mond will eben untergehen, dort,
hinter den Pappeln, die das Schloss ersticken ... Nun sind
wir allein — vielleicht — obwohl man hier sehr auf der
Hut sein muss. Es scheint dass man hier das Herannahen
des allerkleinsten Glückes belauert. Ich habe mir eines
Tages gesagt, — ganz auf dem Grund meiner Seele, und
Gott selbst konnte es kaum hören, — ich habe mir eines
Tages gesagt, dass ich nun glücklich sein würde... Mehr
bedurfte es nicht, und kurze Zeit danach starb unser alter
Vater, und unsere beiden Brüder verschwanden, ohne dass
ein einziges menschliches Wesen uns sagen könnte, wo sie
hingekommen sind. Nun bin ich ganz allein mit meiner
armen Schwester und dir, mein kleiner Tintagiles, und ich
habe kein Vertrauen in die Zukunft... Komm her, setz'
dich auf meinen Schoss. Küss' mich erst und leg deine
kleinen Arme da ganz um meinen Hals ... Man wird sie
vielleicht nicht loslösen können... Erinnerst du dich der
Zeit, wo ich dich Abends auf meinen Armen trug, wenn
die Stunde gekommen war, und wo du dich vor den Schatten
meiner Lampe fürchtetest in den langen fensterlosen Gän
gen?—Ich habe gefühlt, dass meine Seele auf meinen Lippen
zitterte, als ich dich mit einem Male diesen Morgen sah...
Ich glaubte dich so weit, und so geborgen... Wer war es,
der dich kommen liess?
Tintagiles: Ich weiss nicht, Schwesterlein.
Ygraine: Weisst du nicht mehr, was man gesagt hat ?
Tintagiles: Man sagte, ich müsse fort.
Ygraine: Aber warum musstest du fort?
Tintagiles: Weil die Königin es wollte?
Ygraine: Man hat nicht gesagt warum sie es wollte ?
Ich bin sicher, dass man gar mancherlei gesagt hat...
Tintagiles: Schwesterlein, ich hab’ nichts gehört.
Ygraine: Wenn sie untereinander sprachen, was
sagten sie?
Tintagiles: Schwesterlein, sie sprachen ganz leise.
Ygraine: Die ganze Zeit?
T intagiles: Die ganze Zeit, Schwester Ygraine, aus
genommen wenn sie mich anblickten.
Ygraine: Sie haben nicht von der Königin gespro
chen?
Tintagiles: Sie haben gesagt, Schwester Ygraine,
dass man sie nicht sehen könne.
Ygraine: Und die mit dir auf dem Verdeck waren,
haben nichts gesagt?
Tintagiles: Sie kümmerten sich nur um denWind
und die Segel, Schwester Ygraine.
Ygraine: Ach!... das wundert mich nicht mein
Kind...
Tintagiles: Sie haben mich ganz allein gelassen,
Schwesterlein.
Ygraine: Hör' mich an, Tintagiles, ich will dir sagen
wass ich weiss...
Tintagiles: Was weisst du, Schwester Ygraine?
Ygraine: Nicht viel mein Kind... Meine Schwester
und ich, wir schleppen uns hier seit unserer Geburt hin,
ohne dass wir je wagten von all dem, was hier vorgeht,
etwas zu verstehen... Lang hab' ich wie eine Blinde auf
dieser Insel gelebt, und alles schien mir natürlich... Ich sah
keine anderen Ereignisse als einen Vogel, der flog, als ein
Blatt, das zitterte, als eine Rose, die sich öffnete... Es
herrschte eine solche Stille, dass eine reife Frucht, die im
Park herabfiel, die Gesichter an die Fenster lockte... Und
niemand schien einen Verdacht zu hegen... Aber eines
Nachts habe ich erfahren, dass noch etwas anderes da sein
muss... Ich wollte fliehen und ich vermochte es nicht...
Hast du verstanden, was ich gesagt habe ?
Tintagiles:Ja, ja, Schwesterlein, ich verstehe alles,
was man will...
Ygraine: Nun, sprechen wir nicht mehr von dem,
was man nicht weiss ... Siehst du dort, hinter den abge
storbenen Bäumen, die den Horizont vergiften, siehst du
dort das Schloss im Grund des Thaies ?
Tintagiles: Das so schwarz ist, SchwesterYgraine?
Ygraine: Es ist wirklich schwarz... Es liegt in der
tiefsten Runde von Finsternissen... Man muss wohl darin
leben... Auf dem Gipfel der hohen Berge, die es umgeben
hätte man es bauen können.. Die Berge sind blau während
des Tages... Man hätte athmen können. Man hätte das
Meer gesehen und die Wiesen jenseits der Felsen ... Aber
sie haben vorgezogen es auf den Grund des Thaies zu
setzen; und selbst die Luft steigt nicht so tief hinab... es fällt
in Trümmer und niemand achtet dessen... Die Mauern
zerfallen, man möchte sagen sie lösen sich in Finsternis
auf... Nur einenT hurm gibt es, den die Zeit nicht angreift...
Er ist riesig, und das Haus tritt niemals aus seinen Schatten...
Tint agiles: Es erhellt sich dort etwas, Schwester
Ygraine... Siehst du, siehst du die grossen rothen Fenster?...
Ygraine: Es sind die des Thurmes, Tintagiles; es
sind die einzigen, wo du Licht erblicken wirst; und dort
ist es, wo der Thron der Königin sich befindet.
Tintagiles:Werde ich sie nicht sehen, die Königin ?
Ygraine: Niemand kann sie sehen ...
Tintagiles: Warum kann man sie nicht sehen?
Ygraine: Komm noch näher, Tintagiles... Kein x
Vogel, kein Grashalm darf uns hören ...
Tintagiles:HieristkeinGrashalm,S chwesterlei n...
(Stille.) — Was macht die Königin?
Ygraine: Niemand weiss es mein Kind. Sie zeigt
sich nicht... Sie lebt da ganz allein in ihrem Turm; und