MAK
VER SACRUM. 
DER ENGLISCHE STIL. 
I n einer Runde von Wiener Künstlern und Kunstfreun 
den wurde neulich über den englischen Stil discutiert. 
Wie sollen wir uns zu den Bemühungen des Hofraths 
Scala verhalten? In einer recht lebendigen, ja bald leiden 
schaftlichen Weise gieng das Gespräch hin und her. Wir 
wollen versuchen, in ein paar Sätzen die Meinungen an 
zugeben, die dabei laut geworden sind. Wie man sehen 
wird, wollen ja eigentlich alle dasselbe; es strebt ihm nur 
jeder auf seine Art nach. Man begann damit, dem Hofrath 
Scala gegen die Tapezierer recht zu geben. Es sei eine 
gute That, dass er die Herrschaft der paar grossen Tape 
zierer gebrochen habe. Gegen sie müsse man auf seiner 
Seite sein. Die Frage sei nur, ob uns viel geholfen werde, 
wenn unsere Handwerker nun anfangen, englische und 
amerikanische Möbel zu copieren, also doch noch immer 
nicht aufhören, wieder zu copieren. 
Ein Fanatiker für den englischen Stil schilderte nun, 
wie dieser mit seiner grossen Sachlichkeit, die genaue 
Kenntnis des Materials verlangend und mit der feinsten 
Präcision das Bedürfnis befriedigend, die beste Schule sei; 
durch ihn würden wir erst wieder richtige Handwerker 
bekommen, und es sei der Handwerker, nicht der Künst 
ler, der die Hauskunst ausüben solle. Diese Bemerkung 
wird mit Unwillen aufgenommen. Man mag das „Hand 
werker oder Künstler“ nicht gelten lassen, sondern „Hand 
werker und Künstler“. Jeder Künstler müsse auch ein gutes 
Stück Handwerker sein, jeder Handwerker soll zum Künst 
ler erzogen werden. 
Gegen den englischen Fanatiker erhob sich ein öster 
reichischer Schwärmer: Keine deutsche Renaissance, aber 
auch keinen englischen Stil, beide sagen uns nichts, son 
dern einen Stil im Wohnen, der unserem Dialect im 
Reden, unserer Musik, unseremTanzen entsprechen würde, 
einen österreichischen Stil! Wie soll der sein? DerSchwär- 
mer gibt zu, das nicht zu wissen, nur zu fühlen; es lasse 
sich etwa durch die Worte Mozart, Grillparzer, Kahlen- 
berg, Prater und Walzer umschreiben. 
Indessen war ein thätiger Künstler ein bischen unge 
duldig geworden und rief aus: „Was englisch, was öster 
reichisch! Der Künstler mache, was ihm gefällt, und mache 
es so, wie es ihm gefällt! Dieses ewige „du sollst“ — du 
sollst englisch sein, du sollst österreichisch sein — ist das 
Verderben der Künstler. Für den Künstler gibt es kein: 
Du sollst das! Er kann nicht schaffen, was er soll; es drängt 
ihn, zu schaffen, was er muss, nach seiner Natur muss. 
Man lasse mich doch machen, was ich empfinde! Man 
lasse mich doch bauen, wie es nach meinem Gefühl schön 
ist. Man lasse mich nach meinem inneren Gebote bauen! 
Das ist unser Unglück, dass wir das nicht dürfen, dass der 
Architekt gehindert wird, seiner Schönheit zu gehorchen, 
dass wir „auf Bestellung“ schaffen sollen! Solange die 
Maler beim Malen gefragt haben, was dem Publicum ge 
fällt, haben sie schlecht gemalt. Künstler sind sie erst ge 
worden, als sie angefangen haben, so zu malen, wie es 
ihnen selbst gefällt, aus ihrem Drange heraus, ohne nach 
dem Publicum zu fragen. Dann hat das Publicum auf ein 
mal nach ihnen gefragt. Solange die Architekten beim 
Bauen fragen müssen, wie es das Publicum haben will, 
werden wir nichts leisten. Dass wir uns commandieren 
lassen sollen, ist unser Unglück, ob es jetzt zur „deutschen 
Renaissance“ oder zum englischen oder zu einem öster 
reichischen Stil ist. Wir wollen nicht commandiert wer 
den. Wir wollen jeder nach seinem individuellen Stile 
schaffen!“ 
Ein Vermittler erlaubte sich nun anzufragen, wie 
sich denn das mit dem Bedürfnisse des Publicums vertragen 
könne, das doch auch seinen Geschmack habe und nicht 
aufgeben wolle: „Ich will doch in meiner Wohnung 
wohnen. In meiner Wohnung, das heisst, sie soll so sein, 
wie ich es als schön empfinde. Sie aber, Herr Architekt, 
wollen nur etwas schaffen, das Sie als schön empfinden. 
Das wird dann eben Ihre Wohnung sein. Wenn Sie mir 
aber statt meiner Wohnung Ihre Wohnung geben, so werde 
ich nicht zufrieden sein.“ 
Der Architekt replicierte: „Dann gehören wir zwei 
eben nicht zusammen, wenn das, was ich als schön em-
	        
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