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holden Candida im Triumphe entführt; wenn er 
ihr diesmal sein Wohlwohlen nicht entzieht, ist 
es jedenfalls, weil er sie von Anfang; an als ein 
lustiges, unbefangenes Mädchen hingestellt hat, 
das Schiller, Goethe und Fouque zwar gelesen, 
aber auch gründlich wieder vergessen hat, reichlich 
Kuchen zum Thee isst und weder empfindsam 
noch sonst gebildet ist und sein will. Den ver 
nichtendsten Spott hat er im „Sandmann" über 
die Frauen und zugleich über die Gesellschaft aus 
gegossen, wo es dem Professor Spalanzani gelingt, 
eine Wachspuppe in die ästhetischen Kreise ein 
zuführen. In höchst vernünftigen Theezirkeln hat 
sie Glück gehabt, nur einige kluge Studenten haben 
bemerkt, dass es eine eigene Bewandtniss mit ihr 
hatte. Seitdem „schlich sich ein abscheuliches 
Misstrauen gegen menschliche Figuren ein", und 
mehrere Liebhaber verlangten von ihren Damen, 
dass sie nicht nur zuhörten, sondern auch manch 
mal so sprächen, „dass dies Sprechen wirklich ein 
Denken und Empfinden voraussetze". Es ist an 
zuerkennen, dass Hoffmann hinzusetzt, es wären 
manche Liebesbündnisse dadurch viel fester und 
anmutiger geworden. 
Aehnlich wie mit der Liebe ging es Hoffmann 
mit der Natur. Wie er am schönsten die traum 
hafte Liebe zu dem Zauberwesen Serpentina schil 
dert, so malt er auch am liebsten und am reizend 
sten Atlantis, das Dschirnistan seiner Sehnsucht, 
das sich zur Natur ungefähr so verhält, wie eine 
durch farbige Gläser geschaute Landschaft zu einer 
mit dem blossen Auge gesehenen. In seinen Gärten 
blühen Tulpen, Kaktus und Feuerlilien, exotische 
Vögel mit glitzerndem Gefieder schwirren kreischend 
darin umher. So viel er auch den Frieden des 
Waldes der Stadt gegenüber hervorhebt und gewiss 
empfunden hat, athmet uns doch nie die Natur 
selbst aus seinen Werken an, die, als etwas ein- 
müthiges, nie komisch wirkt, wenigstens erst wo 
sie sich im Thierleben darstellt. Bei dieser Ver 
anlagung hat die späte Leidenschaft, die der ster 
bende Dichter für die Natur empfand, etwas 
rührendes und merkwürdiges. Auf seinem Kranken 
lager ergriff ihn eine solche Sehnsucht nach dem 
Grün der Bäume, dass er willig die Schmerzen 
ertrug, die mit einer Ausfahrt verbunden waren, 
um nur den Anblick des Waldes zu gemessen und 
er pflegte von einem solchen Ausfluge, der für die 
begleitenden Freunde um seinetwillen etwas jammer 
volles hatte, entzückt heimzukehren. Dieses Er- 
lebniss spiegelt sich in der fragmentarischen Novelle 
„die Genesung", die man nicht das beste seiner 
Werke nennen kann, aber das seelenvollste. 
Auf das Unheimliche der Automaten, das wohl 
jeder mitempfinden kann, der einmal ein Wachs- 
figurenkabinet besucht und vielleicht eine Figur 
im ersten Augenblick für lebend gehalten hat, kam 
Hoffmann oft zurück. Es liegt wohl darin, dass 
die getreue Nachäffung des Lebens, das doch kein 
Leben ist, was auch den Anblick einer Leiche 
oder unseres Spiegelbildes, wenn es uns unerwartet 
entgegentritt, so schreckhaft machen kann, uns 
eine Anschauung unserer Doppelnatur gewährt. 
Wir gewahren ein Ich, sei es nun unser eigenes 
oder ein fremdes, das uns gleich und doch nur 
ein Trugbild ist und zu fragen scheint: wer bist 
du? glaubst du mehr zu sein als ich? oder: siehst 
du nun, in welchem Irrwahn du dahingelebt und 
wie du immer das Tote für das Lebendige ge 
nommen hast? 
Dergleichen undeutliche, erschütternde Vor 
stellungen sind am meisten mit der Erscheinung 
des sogenannten Doppelgängers verknüpft, der bei 
Hoffmann denn auch öfters auftritt. In den 
„Elixiren des Teufels" und im „Doppelgänger" 
erklärt sich allerdings das Wunder aus naher 
Verwandtschaft von zwei jungen Männern, die 
gegenseitig von ihrem Dasein keine Kenntniss 
haben, dennoch führt die Verwickelung zu einigen 
grausigen Scenen, wo z. B. dem fliehenden Me 
dard us Nachts im Walde der wahnsinnige Doppel 
gänger, heulend und lachend, auf den Rücken 
springt und sich nicht abschütteln lässt, wenn 
auch Medardus in seiner Verzweiflung gegen 
Bäume und Felsen mit ihm rast. Aber noch 
eigentümlicher erregt es uns, wenn wir hören, 
dass Hoffmann auf einem Balle den Einfall hatte, 
sich sein Ich durch ein Vervielfältigungsglas zu 
denken und alle Gestalten, die sich um ihn herum 
bewegten, als seine Ichs zu sehen, über deren 
Thun und Lassen er sich wie über sein eigenes 
ärgerte. 
Der exotischen Stimmung, in der die Seher 
gabe erwachte, war Hoffmann nicht in jedem 
Augenblick mächtig, sie hervorzurufen oder zu 
steigern diente ihm der Weingenuss. In je bun 
teren, leuchtenderen Farben, in je drolligeren Ver 
zerrungen ihm dann die Welt auf ging, desto grauer 
und kälter erschienen ihm die Stunden der Er 
mattung, woraus sich der Drang erklärt, die exo-
	        
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