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letzteren gehören z. B. „das Fräulein von Scudery” 
und „Meister Martin”, die in der Literaturgeschichte 
als seine besten und an sich vorzüglich gepriesen 
werden. Dass sie ohne starken alkoholischen Ein 
fluss geschrieben wurden, beweist unter anderem 
ihre Verwandtschaft mit denjenigen Geschichten, 
die Hoffmann auf seinem Kranken- und Toten 
bette schrieb — Johannes Wacht, der Feind, des 
Vetters Eckfenster — wo ihm der Genuss des 
Weins gänzlich untersagt war. Muss nun auch 
jeder sehen, dass sie an Einheit, Straffheit und 
Fasslichkeit den anderen überlegen sind, so wird 
der Liebhaber der Poesie doch immer, wie Hoff 
mann selbst, die vorziehen, die der stärkste Ex 
trakt seines Wesens würzt, mögen sie sich auch 
noch so zerfetzt und wirbelnd darstellen. Die 
Sehergabe, die er in „des Vetters Eckfenster” so 
anschaulich und geistreich schildert, ist nur die 
feine Beobachtung und rasche Verknüpfung eines 
guten, phantasiebegabten Kcpfes, nicht der hell 
seherische sechste Sinn, der den fünfsinnigen Durch 
schnittsmenschen zeigt, was jenseits ihrer Welt 
liegt. Ob er bei besserer Verwendung seiner Kräfte 
den sechsten Sinn mit den übrigen fünfen har 
monisch hätte verschmelzen können, welche Ein 
heit dann auch seinen Werken zu gute gekommen 
wäre? Einige Züge in seinen letzten Schriften 
lassen die Möglichkeit ahnen — aber ob sich 
nicht da schon die nahe Auflösung geltend machte, 
ähnlich der Verklärung, womit der Feenzauber 
den armen Klein Zaches nach seinem Tode 
schmückte? Er durfte ja endlich sich selber ent 
fliehen, wozu ihm seine Phantasie, während er 
lebte, hatte dienen müssen; damit es die unmög 
liche Aufgabe erfülle, hatte er das edle Flügel 
pferd über Vermögen angestrengt und immer 
wieder aufgepeitscht, bis es verendet mit ihm zu 
sammenbrach. 
Einem alten Manne entsteht infolge einer 
Nervenkrankheit die wahnsinnige Einbildung, die 
Natur habe den Menschen aus Zorn über ihre 
Abtrünnigkeit das Grün entzogen und damit alle 
Hoffnung und Seligkeit des Lebens; kein Augen 
schein kann ihn von diesem Wahne zurückbringen. 
Niemand wird ohne Rührung die Scene lesen 
können, wie der Alte, nach dem Rath eines jungen 
Arztes, in magnetischen Schlaf versetzt und so in 
einen frühlings grünen Wald gebracht wird, wo 
der unerwartete Anblick des belaubten Zeltes über 
ihm den Erwachenden heilt. 
„Da Hess es die ewige Macht des Himmels ge 
schehen, dass eine besonders anmuthige Gunst des 
Schicksals die Liebe des Fräuleins lohnte und die 
Bemühungen des guten Doktors unterstützte. In 
dem Augenblick, als der Onkel das Wort „Grün” 
lallte, fuhr nämlich ein Vogel tirilierend durch 
die Aeste des Baums, und von dem Flattern seines 
Gefieders brach ein blühender Zweig und fiel dem 
Alten auf die Brust.” 
Aber erst nachdem ein jähes Entzücken mit 
quälendem Zweifel in ihm gewechselt hat, wird 
er ruhiger und während ein Strom von Thränen 
aus seinen Augen bricht, ruft er anbetend aus : 
„O Kinder, Kinder, welche Zunge singt das Lob, 
den Preis der Mutter würdig genug! O Grün! 
Grün! mein mütterliches Grün! Nein, ich allein 
war es, der trostlos vor dem Throne des Höchsten 
lag — wie hast du der Menschheit gezürnt! 
Nimm mich auf in deine Arme!” 
Das mag in ihm selber vorgegangen sein, als 
der arme Körper, in dem er sich nie heimisch ge 
fühlt hatte, sich aufzulösen begann, als das hitzige 
Blut, das ihn so sehr gepeinigt hatte, schwächer 
rollte, und der Geist, nun ihn die Furien verliessen, 
aufathmend um sich schaute. Wie die drohenden 
Stimmen und die verfolgenden Schritte verhallten, 
zog Frieden in seine erschöpfte Seele ein. Er 
sehnte sich nicht mehr nach dem entfernten Zauber 
lande, da er die schönste Natur, eine versöhnte 
Mutter, um sich her blühen sah. Wie er im Leben 
das Kind geschiedener, durch unvereinbaren Zwie 
spalt entfremdeter Eltern war, so hatte er auch 
in seinem weiteren Kreise sich niemals des gemein 
samen liebenden Schutzes von Geist und Natur 
erfreuen können. Mit bewundernswerther Kraft 
hatte er gegen diesen Fluch des Schicksals ge 
kämpft und wohl verdient, als ein Genesener in 
das Geisterreich des Jenseits hinüberzugehen. 
RICARDA HUCH 
© 
Für die Redaktion verantwortlich: E. A. Seemann, Leipzig. 
Druck von Emst Hedrich Nachf., Leipzig.
	        
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