MAK
STUDIE. 
KREIDE 
ZEICHNUNG. 
gestern und übermorgen, denn heute und morgen 
ist ja nur eine Uebergangsepoche — dass einst 
Ideenarmut und Schablone geradezu geheiligt 
waren und der Kühne und Geniale keine Aus 
sicht hatte „Professor" zu werden, während jetzt 
gerade das Schematische und Konventionelle, das 
so leicht zu ödem Geflunker führt, prinzipiell ver 
pönt ist und der Schwindler und Spekulant sich 
eben nur einschleichen und per nefas breit machen 
kann, indem er die 
allen eingeräumte 
Freiheit miss 
braucht. Früher 
vermochte ein 
Phraseur und 
Manierist sogar 
kunsthistorische 
Bedeutung zu ge 
winnen, heute 
kann er höchstens 
vorübergehend in 
die Mode kom 
men. Eine Mode 
aber — und sei sie 
auch die albernste 
— kann zwar im 
Augenblicke eine 
gewisse Verwir 
rung anrichten, 
auf die Dauer ist 
sie doch ohnmäch 
tig. Eine Mode 
wird im schlimm 
sten Falle von 
einer andern ab 
gelöst, die Ent 
wickelung im grossen vermag sie weder zu fördern 
noch zu hemmen. Vor Moden war die Kunst 
niemals sicher. Am wenigsten zu einer Zeit, in 
der die starre Regel und knöcherne Disciplin so 
kunstfeindlich auf uns lastete, dass wir nur zu sehr 
geneigt waren, jede kleine Abweichung von der 
Tradition auch schon für die Kundgebung eines 
Originalgenies zu halten, und oft nicht merkten, 
wie sich doch nur die Seichtigkeit auf solche Art 
drapierte und maskierte. Dagegen ist zu hoffen, 
dass die moderne Kunst mit ihrem Principe der 
Wahrhaftigkeit, welche auch gegen Regeln ver- 
stossen darf, unsere Augen und unser Gefühl immer 
besser schulen wird, bis wir endlich im stände 
sind, echt und unecht auf den ersten Blick von 
einander zu unterscheiden. Wenn täglich neue 
Formen und neue Innenwelten mit dem Ansprüche 
auf Beachtung und Würdigung uns entgegentreten, 
so müssen wir ja allmählich die Vorurteile ab 
streifen, die unser Urteil bisher so ängstlich und 
unsicher machten, und müssen schliesslich dahin 
gelangen, dass wir dem Genie nicht mehr Unrecht 
thun können, aber auch gegen Gaukler und Schelme 
keine Nachsicht 
mehr haben. 
Je excentrischer 
die Künstler sich 
gebärden, je öfter 
sie uns in Erstau 
nen und Verblüf 
fung setzen, desto 
rascher wird unser 
leibliches und gei 
stiges Auge sich 
gewöhnen, durch 
die Aeusserlich- 
keiten hindurch 
den Wesenskern 
zu erfassen und 
inmitten der reich 
sten Fülle von 
Bildern und Ge 
stalten sich mühe 
los zurecht zu 
finden. 
Noch ein an 
derer grosser Vor 
teil aber ist mit 
dem kleinen 
Nachteile ver 
bunden, den die schrankenlose Freiheit in der 
Kunst vielleicht im Gefolge haben mag. Diese 
Freiheit ermöglicht auch dem kleinen Talente 
eine früher ungeahnte, reiche und volle Thätig- 
keit. Alle, die der älteren Richtung sozusagen 
sich selbst zum Opfer bringen mussten, die den 
„klassischen“ und monumentalen Aufgaben, die 
da mit Vorliebe gestellt wurden, durchaus nicht 
gewachsen waren, die aber doch etwas Bestimmtes 
und Eigenartiges auszusprechen hatten, das sich 
nur leider im Rahmen der Tradition und der 
Schule nicht klar und erschöpfend aussprechen 
liess, alle diese kommen jetzt zur Entfaltung ihrer 
Eigenart: sie können und dürfen jetzt sagen, was
	        
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