So haben wir schon Viele wiedererlebt; Fürsten
und Philosophen, Kanzler und Könige, Mütter und
Märtyrer, denen ihre Zeit Wahn und Widerstand
war, leben leiser neben uns und reichen uns lächelnd
ihre alten Gedanken, die nun keinem mehr laut
und lästerlich sind. Sie gehen neben uns zu Ende,
beschliessen müde ihre Unsterblichkeit, setzen uns
zu Erben ihres Ewigen ein und haben den täglichen
Tod. Dann haben ihre Denkmäler keine Seele
mehr, ihre Historie ist überflüssig geworden, weil
wir ihr Wesen wie ein eigenes Erlebniss besitzen.
So sind die Vergangenheiten wie Gerüste, die zu
sammenbrechen vor dem fertigen Bau; aber wir
wissen, dass jede Vollendung wieder Gerüst wird
und dass von hundert Stürzen verhüllt, das letzte
Gebäude ersteht, das Thurm und Tempel sein
wird und Haus und Heimath.
Einst, wenn dieses Monument sich bekrönt,
wird die Reihe an die Künstler kommen — Zeit
genossen jener Vollender zu sein. Denn sie sind
als die Allerzukünftigsten durch die Tage gegangen,
und wir haben noch nicht den Geringsten von
ihnen wie einen Bruder erkannt. Sie kommen
uns vielleicht mit ihrer Gesinnung nah, sie rühren
uns mit irgend einem Werke an, sie neigen sich
uns, und wir begreifen einen Blitz lang ihr Bild;
— allein wir können sie im Heut nicht leben und
nicht sterben denken. Und eher werden uns die
Hände mächtig, Berge und Bäume zu heben, als
einem von diesen Todten die Augen zu schliessen,
die schauenden.
Und selbst die Schaffenden unserer Zeit können
jene Grossen, deren Heimath erst sein wird, nicht
zu Gaste laden; denn sie sind selber nicht zu Hause
und sind Wartende und einsame Künftige und un
geduldige Einsame. Und ihr geflügeltes Herz stösst
überall an die Mauern der Zeit. Und wenn sie
gleich Weise sind, die ihre Zelle lieb gewinnen
und das Stückchen Himmel, das in ihrem Fenster
gitter wie im Netz gefangen liegt, und die eine
Schwalbe, die ihr Nest, Vertrauens voll, über ihre
Traurigkeit gehängt hat, — so sind sie doch
auch Sehnsüchtige, die nicht immer bei gefalteten
Tüchern und gehäuften Truhen warten wollen.
Oft drängt es sie, die Gewebe auszubreiten, dass
die unterbrochenen Bilder und Farben, die der
Weber ersann, Sinn erhielten vor ihren Blicken
und Zusammenhang, und sie wollen Gefässe und
Gold, das ihnen die Laden füllt, aus dem dunklen
Besitzen heben in den klaren Gebrauch.
Aber sie sind Zufrühgekommene. Und was
sich ihnen nicht löst im Leben, das wird ihr Werk.
Und sie stellen es brüderlich neben die dauernden
Dinge, und die Trauer des Nichterlebten ist die
geheimnissvolle Schönheit über ihm. Und diese
Schönheit weiht ihnen Söhne und Erben. Und so
hält sich, am Schaffen entlang, ein Geschlecht
Nochnichtlebender und harrt seiner Zeit.
Und der Künstler ist immer noch dieser: ein
Tänzer, dessen Bewegung sich bricht an dem Zwang
seiner Zelle. Was in seinen Schritten und dem
beschränkten Schwung seiner Arme nicht Raum
hat, kommt in der Ermattung von seinen Lippen,
oder er muss die noch 'ungelebten Linien seines
Leibes mit wunden Fingern in die Wände ritzen.
BUCHSCHMUCK
VON
JOSEF HOFFMANN.
RAINER
MARIA