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als man will . * . Und das Unglück verliert sich 
in Einzelheiten ... Wenn ich aber allein komme 
... gleich hei den ersten Worten ... so wie ich sie 
kenne . . . das wäre zu schrecklich! Gott weiss, 
was geschehen würde ... Wenn wir aber abwech 
selnd sprechen, hören sie, was wir sagen, und ver 
gessen darüber, der schlimmen Botschaft in's Gesicht 
zu sehen . . . Bedenkt, dass die Mutter dabei ist, 
und dass ihr Leben an so wenig hängt ... Es ist 
gut, wenn die erste Woge sich an ein paar unnützen 
Worten bricht . . . Man muss in Gegenwart von 
Unglücklichen sprechen und sie nicht allein 
lassen. Der gleichgiltigste Mensch nimmt ihnen 
etwas von ihrem Schmerze ab, ohne es zu wissen . . . 
Auf diese Weise vertheilt er sich ohne viel Lärm, 
ohne Mühe, wie Luft und Licht . . . 
DER FREMDE: Eure Kleider sind nass und 
tropfen auf die Steine. 
DER ALTE: Es ist nur der Saum meines Man 
tels nass geworden ... Ihr scheint zu frieren. Auf 
Eurer Brust ist Erde ... Ich hatte das auf der 
Strasse nicht bemerkt; es war so dunkel . . . 
' DER FREMDE: Ich bin bis an die Hüften 
in’s Wasser gegangen. 
DER ALTE: Hattet Ihr sie schon lange ge 
funden, als ich dazu kam? 
DER FREMDE: Kaum ein paar Augenblicke. 
Ich ging auf das Dorf zu; es war schon spät und 
dunkelte am Ufer. Ich hatte die Augen auf den 
Fluss geheftet, denn es war dort heller als auf dem 
Wege; da plötzlich sah ich etwas Sonderbares, 
zwei Schritt von einem Schilfbüschel . . . Ich gehe 
darauf zu und sehe — ihr Haar, das sich über dem 
Kopfe fast kreisförmig vertheilt hatte und im Wir 
bel des Flusses sich drehte . . . 
(Die beiden jungen Mädchen im Zimmer wenden den 
Kopf nach dem Fenster.) 
DER ALTE: Saht Ihr, wie das Haar auf den 
Schultern ihrer Schwestern zitterte? 
DER FREMDE: Sie haben den Kopf hierher 
gedreht . . . Sie haben einfach den Kopf gedreht. 
Ich habe vielleicht zu laut gesprochen. (Die jungen 
Mädchen nehmen die alte Haltung wieder ein.) Aber schon 
sehen sie nicht mehr her . . . Ich bin bis an den 
Gürtel in's Wasser gegangen, und habe sie bei der 
Hand genommen und ohne Mühe an's Ufer ge 
zogen ... Sie war so schön, wie ihre Schwestern ... 
DER ALTE: Sie war vielleicht noch schöner ... 
Ich weiss nicht, ich habe allen Muth verloren... 
DER FREMDE: Welchen Muth meint Ihr? 
Wir haben doch alles gethan, was ein Mensch 
thun konnte . . . Sie war seit mehr als einer 
Stunde todt. . . 
DER ALTE: Und lebte doch noch diesen Mor 
gen! Ich begegnete ihr, als sie aus der Kirche 
kam . . . Sie sagte mir, sie ginge fort; sie 
wollte zu ihrer Grossmutter auf der andern Seite 
des Flusses, an dem Ihr sie gefunden habt. Sie 
wusste nicht, wann ich sie Wiedersehen würde . . . 
Sie muss im Begriff gewesen sein, mir etwas zu 
sagen; dann aber hat sie es nicht gewagt und 
hat mich plötzlich stehen lassen. Aber nun denke 
ich daran. Und ich hatte doch nichts gesehen! 
Sie lächelte, wie man lächelt, wenn man schweigen 
will, oder wenn man fürchtet, nicht verstanden zu 
werden ... Sie schien kaum noch zu hoffen . . . 
Ihre Augen waren nicht klar und blickten an mir 
vorbei . . . 
DER FREMDE: Die Bauern sagten mir, sie 
hätten sie bis zum Abend am Ufer herumirren 
sehen . . . Sie glaubten, sie suchte Blumen . . . 
Vielleicht war ihr Tod . . . 
DER ALTE: Das weiss man nicht . . . Und 
was weiss man denn überhaupt! Sie gehörte viel 
leicht zu Denen, die nichts sagen wollen, und jeder 
trägt in seiner Brust mehr als einen Grund, nicht 
mehr zu leben ... Man sieht in die Seelen nicht 
hinein, wie man in dieses Zimmer sieht. Sie sind 
alle so . . . Sie reden von oberflächlichen Dingen, 
und niemand ahnt etwas . . . Man lebt Monate 
lang mit Einem, der nicht mehr zu dieser Welt 
gehört, und dessen Seele sich nicht mehr herab- 
neigen kann; man spricht mit ihm, ohne daran 
zu denken: und Ihr seht, was dann die Folge ist. 
Sie sehen aus wie leblose Puppen, und in ihrer 
Seele geht doch so viel vor ... Sie wissen selbst 
nicht, was sie sind ... Sie hätte gelebt, wie die 
andern alle ... Sie hätte bis zu ihrem Tode ge- 
sagt: „Mein Herr, es wird heute Vormittag reg 
nen oder: „Wir wollen frühstücken; wir werden 
heute dreizehn bei Tische sein", oder auch: „Das 
Obst ist noch nicht reif". Sie sprechen lächelnd 
von den abgefallenen Blüthen und weinen im 
Dunkeln . . . Selbst ein Engel könnte nicht sehen, 
was man sehen muss; und der Mensch begreift 
erst, wenn es zu spät ist . . . Gestern Abend sass 
sie da bei der Lampe, wie ihre Schwestern, und 
Ihr würdet sie nicht sehen, wie man sie sehen muss, 
wenn Das nicht geschehen wäre. Es muss zum 
gewöhnlichen Leben etwas hinzu treten, damit man
	        
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