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HEFT 13 
BAU- UND WOHNUNGSKUNST 
SEITE 249 
Zunächst werden wir ja, wenn wir unsere Zeit- 
geschehnisse ins Auge fassen, ganz von selbst dazu 
gedrängt, unseren Blick vergleichend um genau siebzig 
Jahre zurückzuwerfen, auf das Jahr 1848. Welche 
frappante Ähnlichkeit und doch zugleich welcher 
Unterschied! Damals: ein siegreicher, an den heu 
tigen Verhältnissen gemessen, recht harmloser Feld 
zug hinter uns — und eine blutige Revolution um 
uns; heute ein unglück 
licher Feldzug von ge 
waltigster Größe hinter 
uns — und eine fast 
unblutige Revolution 
rings umuns. Daß diese 
Übereinstimmung und 
zugleich Verschieden 
heit in den politischen 
Geschehnissen von 
einst und jetzt auch 
gewisse Übereinstim 
mungen und Verschie 
denheiten in ihren Ein 
flüssen auf die Kultur 
fragen — und wir den 
ken hier lediglich an 
die Frage der Bau 
kunst — zeitigen müs 
sen, liegt wohl auf 
der Hand. Und so 
gipfelte denn damals 
die Wirkung des Um 
sturzes fast ganz aus 
schließlich in dem 
Sturze des baukünst 
lerischen Bureaukratis- 
mus der vormärzlichen 
Epoche, im Empor 
kommen einer sozial 
unabhängigen bau 
künstlerischen Rich 
tung, in der Überwin 
dung des einst allmäch 
tigen „Hofbaurates“ 
durch die Gilde der 
„freischaffenden“ Ar 
chitekten. Das war in 
gewissem Sinne und 
äußerlich genommen 
recht viel; innerlich genommen aber herzlich wenig. 
Denn woran es bis dahin gefehlt hatte, nicht bloß der 
wohlbestallten Staatsbaukunst und ihrem höfischen 
Baurat, sondern der ganzen Zeit und Generation: das 
war eine festgefügte baukünstlerische und überhaupt 
künstlerischlebendige Überzeugung. Ob nun die Nobile 
und Sprenger oder die Müller und Van der Nüll von 
damals Architektur trieben, das kam schließlich auf 
ein und dasselbe hinaus: auf ein bißchen mehr klassizi 
stisch oder romantisch gesinnten Eklektizismus. Und 
so verlief denn die damalige Umgestaltung der zeit 
genössischen Baukunst zunächst ganz oder doch in 
der Hauptsache belanglos; erst jahrzehntelang später 
trat — herbeigeführt durch neue Geister einer an 
sich im ganzen alt gebliebenen Zeit — ein neuer 
Aufschwung auf baukünstlerischem Gebiet ein, dessen 
Ausläufer sich bis knapp ans Ende des 19. Jahr 
hunderts erstreckten. Wieviel an dieser unmittel 
baren Ergebnislosigkeit, an dieser künstlerischen 
Verpuffung einer scheinbar in großem Stile ein 
setzenden politischen Neugeburt die dieser alsbald 
folgende Reaktion Schuld trug, wieviel auf Rech 
nung der damals herrschenden und noch recht 
lange nachher andauernden inneren Ungeklärtheit 
in allen baukünstlerischen Grundfragen kommt, 
mag dahingestellt bleiben. Sicher ist, daß das 
Jahr 1848 keineswegs das Geburtsjahr einer neuen 
Blüte in der Baukunst bedeutet hat. 
Anders heute. Un 
sere heutige Umgestal 
tung fällt in eine Zeit 
epoche lebendigsten 
Treibens in der Bau 
kunst. Wer könnte 
blind dafür geblieben 
sein, daß die beiden 
letzten Jahrzehnte der 
Baukunst einen ganz 
neuen Aufschwung ge 
geben, daß aus inne 
rem Antriebe heraus 
sich Kräfte und Über 
zeugungen in ihr fühl 
bar gemacht haben, 
die — soweit dies auf 
dem friedlichen Gebie 
te der Kunst nur im 
mer möglich ist — an 
sich schon revolutionä 
ren Charakter trugen? 
Wir in Wien haben 
ja dieses Schauspiel, 
diesen Krieg im Frie 
den der Kunst nicht 
ohne innigste Anteil 
nahme miterlebt. Zu 
Beginn der neunziger 
Jahre hat es eingesetzt 
und bis zum Anfang 
des Weltkrieges hat es 
uns in Atem gehalten. 
Dann freilich trat es 
vorübergehend gegen 
die gewaltigen äuße 
ren Geschehnisse in 
den Hintergrund, ver 
blaßte vor ihnen, wie 
das milde Licht der Zi 
vilisation vor dem Feuerschein des Weltbrandes ver 
blaßte. Jetzt aber wird das Schauspiel wieder neu 
aufleben, freilich — und das ist es, was uns wieder 
den Zusammenhang zwischen Baukunst und Politik 
innewerden läßt — in einigermaßen veränderter, 
durch die neugewordene politische Lage von Grund 
aus beeinflußter Gestalt. Auch haben wir nicht mehr 
zu besorgen, daß heute so wie vor siebzig Jahren 
zuletzt doch alles wieder in den Sand verlaufen und 
die große Völkerbewegung unserer Tage an der 
Pforte der Baukunst vergeblich branden wird. 
Denn, wie ich an dieser Stelle schon früher ein 
mal schreiben durfte: Wie ungleich verheißungs 
voller liegen die Dinge heute, als sie vor siebzig 
Jahren lagen! Heute sind die Keime eines neuen 
künstlerischen Aufschwunges wirklich bereits in 
den Boden versenkt gewesen, als der große Krieg 
über Nacht ausbrach, ja mehr als das, sie waren 
deutlich sichtbar bereits emporgesprossen. Alles 
das also, was Voraussetzung ihres späteren völligen 
Arch. Z. V. Professor Emst Lichtblau: Aus einem Wohnraum. 
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