Norden, dem kurischen Half, stammen
jene kleinen, aus Bernstein gesägten und
mit Bohrlöchem notdürftig gegliederten
„Brettidole" her, die unsere erste Abbil-
dung wiedergibt. Sie sind in ihrer silhou-
ettenhaft rohen Unterscheidung typisch
für die europäische neolithische Periode,
wie denn auch formverwandte Puppen-
gestalten zum Beispiel in dem vor-
homerischen Hissarlik aufgetaucht sind.
Und ebenso haben die Wilden Afrikas,
Amerikas und Australiens, die Bewohner
des östlichen Asiens und des malayischen
Archipels allerlei Puppen von jeher ge-
kannt, wovon uns ein Gang durch die
Völkermuseen sofort überzeugt, wenn
auch häufig Puppen von nur primitiver
Abb. 2. Zwei aus Holz geschnitzte indianische
Puppen. Muner mit Kind, von der Insel Van- _ _
couver am Stillen Ozean (Westliches Britisch- materieller Gestaltung, so doch immer mit
Nmdammka) bewußter Absicht, Menschen im kleinen
darzustellen. Die beiden nordamerikanischen Holz-
liguren aus Vancouver (Abb. 2) geben das für den
Genre der Puppe so bezeichnende Verhältnis einer
Mutter zu ihrem Kind, wie sie es liebevoll stillt, wie
sie es in der bei Naturvölkern typischen Weise auf
dem Rücken trägt, in einer räumlich stilisierten Form
wieder, die den plastischen Darstellungen der ganzen
primitiven Kunst, besonders auch Ozeaniens, eignet:
in einer strengen Frontalität, die nur eine einzige
Betrachtungsseite, auf eine unverrückbare Median-
ebene bezogen, kennt. Im Gegensatz zu diesen nord-
amerikanischen Stücken von so starker Stilisierung
erscheinen die tönernen Puppen und Spieliigürchen
aus dem alten Inkareiche in Südamerika, die somit
zeitlich noch vor das XVI. Jahrhundert fallen, von
einer mehr naturalistischen Tendenz: das Totenfeld
von Ancon in Perui barg als Grabbeigaben von Kinder-
mumien neben primitiveren flachen Figürchen, die an
Stelle der Arme die üblichen Henkelösen zeigen, bis
auf das Leitseil getreue Nachbildungen des für Peru
wichtigsten Haustieres, des Lamas, ferner einen
Inka, der nach landesüblicher Weise eine Last in
Abb. 3. Chinesische Puppe
in der vornehmen Tracht
einem zusammengeschlagenen Tuche trägt, dessen dkrCvMlineinßShßhenMan-
darinen, Kopf europäisch
" Vergleiche W. Reiß und A. Slübel, Das Totenfeld von Ancon in (Frankfurt am Main, Städti-
Peru. Berlin, 1880 bis 1884. II. Band, Tafel 89 bis 9x. sches Völlrermuseum)